Die „Smart“-Heftchen von Kremart haben es vorgemacht: Lektüre im kleinen, leichten Format, perfekte Bücher für zwischendurch, gerade für Leser, die sich mit dem Luxemburgischen schwertun und sich umfangreiche Romane nicht zutrauen. Mit zwei Neuerscheinungen knüpft Editions Schortgen offenbar an dieses Konzept an und erfüllt zudem eine Voraussetzung, die mit einer langjährigen Forderung von Autoren und anderen Mitwirkenden des Literaturbetriebs einhergeht: dass mehr Bücher von Luxemburger Autoren in den Schulen gelesen werden müssten. Zwar richtet sich lediglich Cathy Clements De Fäert-Uasch ausdrücklich an ein junges Publikum, doch auch Jos Kaysers Erzählung D’Bomi ass dout wird aus der Perspektive eines jungen Protagonisten erzählt und könnte ohne Weiteres von älteren Grundschulkindern gelesen werden. Die Bücher bestechen durch ein gepflegtes Layout, die Texte sind nahezu tippfehlerfrei. Alles richtiggemacht, möchte man schon meinen. Während aber die Optik den Eindruck erweckt, solche kurzen Texte würden eigens für Kleinformate verfasst, lässt die Lektüre eher Zweifel aufkommen. Beide Erzählungen wirken wie verhinderte Romane. Sie zeigen, dass es im Luxemburger Verlagswesen nach wie vor am meisten an einem vernünftigen Lektorat fehlt.
De Fäert-Uasch erzählt die Geschichte einer ängstlichen Schülerin, die sich mit allerlei vorpubertären Unannehmlichkeiten wie Verliebtheit, Sportunterricht und Geschwisterzwist herumschlägt. Ihre Angst konkretisiert sich in einem flauschigen Monster, das sie immer bei sich trägt und das mit dem Angstpegel wächst – bis es entgegen seiner Bestimmung anfängt, Partei für das Mädchen zu ergreifen und ihm Mut zuzusprechen. Dass sich diese vielleicht nicht übermäßig originelle, aber leidliche Idee in der Umsetzung nicht zu einer kohärenten Geschichte zusammenfügt, liegt vor allem an der fahrigen Erzählweise, die einen Einfall um den anderen – quasi „on the go“ – ins Spiel bringt, ohne dass diese Einfälle irgendeinen Impakt auf den Verlauf der Geschichte hätten. So ärgert sich das Monster auf der ersten Seite über seinen Spitznamen, wird aber im weiteren Verlauf überhaupt nicht mehr beim Namen genannt. Die Hauptfigur wünscht sich sehnlichst eine Ameisenkolonie im Schlafzimmer, vergisst diesen wunderbar konflikt- und katastrophenträchtigen Plan dann aber wieder. Bei aller Unmittelbarkeit, mit der Clement vornehmlich die für das Mädchen unangenehmen Momente beschreibt, bleibt am Ende der Eindruck des Unfertigen.
D’Bomi ass dout von Jos Kayser ist zwar keine Novelle, wie der Untertitel glauben macht, dafür aber über die ersten zwei Drittel des Textes eine amüsante Geschichte über den typischen Strandurlaub Anfang der siebziger Jahre. Die Familie fährt auf Einladung der „Bomi“ nach Ostend, wo der neunjährige Julien, als Schachspieler und Brillenträger in seiner Schule eher unbeliebt, zwar nicht schwimmen lernt, aber immerhin einen Freund findet, mit dem er Sandburgen verwüsten und abends ausbüxen kann. Daraus hätte ein unterhaltsamer Entwicklungsroman in der Tradition eines Perl oder Pica werden können, doch während Kayser die kleinen Kläglichkeiten und Missgeschicke dieses Urlaubs mit einer sympathischen Ironie beschreibt, weiß der Leser durch den Titel längst, auf welches Unglück die Geschichte hinauslaufen soll. Seltsam allerdings, wie verhalten die Familie auf das plötzliche Ableben der Großmutter reagiert und wie umstandslos sich die Situation in die urbane Legende verwandelt, nach der in Luxemburg ungefähr jede dritte Familie in der Zeit ante Schengen eine tote Großmutter über die Landesgrenzen schmuggelte, um Geld und Formalitäten zu sparen. Wozu es darüber hinaus der unglaubwürdigen Affäre des Vaters mit einer Urlaubsbekanntschaft bedarf (sie trug immerhin bei der ersten Begegnung ein enges rotes Kleid), bleibt offen.
Ebenso rätselhaft erscheinen die zahlreichen Anspielungen auf die Schachnovelle („Schach spillt een am Kapp!“), die Stefan Zweig 1942 wenige Tage vor seinem Selbstmord fertigstellte. Wo Zweig sich mit der Verzweiflung befasste, in die ihn die Vertreibung aus dem besetzten Österreich und das Exil in Südamerika gestürzt hatten, beschreibt Kayser einen betulichen Familienurlaub. Während das Schachspiel Dr. B. dabei hilft, in der Isolationshaft nicht den Verstand zu verlieren, ist das Schach für Kaysers Julien von einer existentiellen Bedeutung meilenweit entfernt. Julien erspielt sich mit seinen Fähigkeiten zwar den Respekt der Erwachsenen, die Sympathien seines Spielkameraden Pol gewinnt er aber eher durchs Go-Kart-Fahren auf der Strandpromenade. Unabhängig davon, dass die literaturgeschichtlichen Verweise keinen Mehrwert für das Verständnis der Handlung erzeugen, bleibt zu bedauern, dass Kayser das Potential der Figurenkonstellation nicht nutzt und eine gefällige, unterhaltsame Geschichte zu einem albernen Kalauer vermurkst.