Bürgernah, zupackend, aufgeschlossen. So sieht sich die Regierung selbst am liebsten und so zeigten sich Nachhaltigkeitsminister François Bausch, Staatssekretär Camille Gira, Innenminister Dan Kersch, Wirtschaftsminister Etienne Schneider und Wohnungsbauministerin Maggy Nagel am Montag, als sie in Marnach die Sektorpläne erläuterten und sich den Fragen der Bevölkerung stellte. Rund 400 Interessierte waren gekommen. Ein Erfolg, meldet das Nachhaltigkeitsministerium zufrieden.
Doch vielleicht waren die Menschen nicht nur gekommen, um über die Landesentwicklung zu diskutieren, sondern um überhaupt mal wieder Standpunkte der Regierung zu hören. Seitdem die CSV über die Geheimdienstaffäre stolperte und die DP-LSAP-Déi Gréng-Koalition die Zügel übernahm, ist von großen Reformen wenig zu sehen. Stattdessen reihte sich zunächst eine Kommunikationspanne an die nächste. Von einer Staatssekretärin, die wenig Gespür bei der Nutzung ihres Dienstautos zeigte, über eine Familienministerin, die munter drauflosredete, das Kindergeld vereinheitlichen zu wollen bis zu einer Kulturministerin, die ruppig angekündigte, alle Konventionen im Kulturbereich aufkündigen zu wollen. Dann der Streit um scheidende hohe Beamten im Finanzministerium und um eine Weltkriegsausstellung, die zunächst annulliert, dann durch eine Wanderausstellung in der Großregion ersetzt würde, um 256 000 Euro im Kulturetat zu sparen – ein gelungener Einstand sieht anders aus.
Paul Konsbrück, Sprecher von Staatsminister Xavier Bettel (DP), mag gleichwohl keine Kommunikationspannen erkennen. Er spricht lieber von „unglücklichen Interviews“ und „unvollständigen Aussagen“. Das seien „Anfangsfehler“ gewesen. Man habe „gelernt und Prozeduren verändert“. An virtuellen Stammtischen wird derweil gewitzelt, dass die Dreierkoalition über mehr Journalisten verfüge als jede Regierung vor ihr, die Kommunikations- und Informationspolitik dafür aber ziemlich amateurhaft wirke. Man sei „viel offener“ und „gehe in puncto Informationen viel weiter“, verteidigt Konsbrück die Regierung gegen Kritik von außen. Das stimmt insofern, als mit Premier und Publikumsliebling Xavier Bettel der Kontakt mit den Medien eine Regelmäßigkeit bekommen hat, wie es sie zuvor unter Jean-Claude Juncker seit Jahren nicht mehr gegeben hatte. Der belehrende Ton, der die Freitagsbriefings seines Vorgängers prägte, ist Vergangenheit. Stattdessen stehen die Ressortminister den Journalisten nach dem Regierungsrat geduldig Rede und Antwort. Wer nachfasst, erhält zusätzliche Informationen. Es wird gescherzt, oft sich geduzt. Man kennt sich aus der Zeit der Opposition, andere waren sogar einst Redaktionskollegen gewesen.
Dafür sieht man sich auf Pressekonferenzen seltener, denn die wurden deutlich reduziert. Dahinter stehe „keine Strategie“, betont Paul Konsbrück, jeder Minister sei für seine Kommunikation zuständig. Konferenzen würden einberufen, „wenn Bedarf besteht“. Der Informationsdienst der Regierung, SIP, verschickt fast nur Mitteilungen über Schul-einweihungen, Militärauszeichnungen oder EU-Gipfeltreffen, selten aber Einladungen zu thematischen Pressekonferenzen. „Wir entscheiden nicht über die Kommunikation. Unsere Aufgabe ist es, zu informieren“, betont SIP-Chef Guy Schuller. Seit dieser Woche übrigens auch auf Facebook und Twitter. Der ehemalige Sprecher Jean-Claude Junckers bestätigt, dass es „weniger Pressekonferenzen gibt“. Auch die Mondorfer Gruppe, in der Regierung, hohe Beamte und Berater über gemeinsame Vorgehensweisen berieten, trifft sich seltener, was einige bedauern. „Es gibt keine abgestimmte Kommunikationsstrategie der Regierung, jeder kümmert sich um sein Ministerium“, verrät einer, der es wissen muss, dem Land. Anders als etwa in Deutschland gibt es hierzulande keinen Regierungssprecher, Paul Konsbrück ist Sprachrohr des Premierministers.
So lobt er eifrig die gute Zusammenarbeit innerhalb der Regierung, die Sitzungen des Ministerrats verliefen in „freundschaftlicher Atmosphäre“, unterstreichen Insider. Netzaffine Minister stellen Fotos von sich und Kollegen ins Internet, bei und nach getaner Arbei, stolz im schicken Kostüm zum Nationalfeiertag. Das Netzwerk ist bekannt für seine penetrant gute Laune, Fotos disliken geht schon technisch nicht.
Und trotzdem trügen Dauerlächeln und Schulterklopfen. Um die tiefgreifenden Probleme – die Geheimdienstaffäre und Verquickungen zwischen Politik und Wirtschaft –, denen die Dreierkoalition ihren Wechsel an die Regierungsspitze verdankt, ist es still geworden. War es früher der Staatsminister, der heikle Dossiers als Chefsache für sich reklamierte und im Alleingang Dinge entschied (oder eben nicht), scheint sich jetzt niemand um diese Themen zu reißen. Bei seiner Erklärung zur Lage der Nation hinterlegte Xavier Bettel zwar den überfälligen Gesetzestext zur Neuorganisation des Geheimdiensts. Aber die Vorlage, die dem überdrehten Geheimdienst mehr, nicht etwa weniger Mittel und Zuständigkeiten zuweist, ging in der demonstrativen Modernisierungseuphorie unter.
Dabei hatten DP und die Grünen, und teils die Sozialisten, eindringlich gewarnt, der Rechtsstaat sei in Gefahr, und versprochen, die Affäre um den Geheimdienst restlos aufzuklären. Von dem Tatendrang von einst ist heute nicht mehr viel zu spüren. Weder die Regierung noch die Mehrheitsparteien im Parlament sind bisher auf die Geheimdienstreform eingegangen. „Wir mussten unsere neue Rolle finden“, sagt Eugène Berger von der DP. Der Wechsel von der Opposition habe bedeutet, „alles neu aufzustellen, die parlamentarischen Mitarbeiter, die Abgeordneten, die Zuständigkeiten“. Das brauche Zeit. „Wir können Pressekonferenzen nicht mehr so machen wie früher. Das muss mit der Regierung abgestimmt werden“, sagt der Fraktionschef fast entschuldigend: „Wir haben viel Zeit gebraucht, unerledigte Dossiers unserer Vorgänger zu evakuieren.“
Sogar die Grünen, die einst die Speerspitze des Protests gegen politische Bespitzelung durch inländische und ausländische Geheimdienste gaben, sind fast komplett abgetaucht. Es sei „relativ ruhig“, umschreibt Abbes Jacoby die momentane Zurückhaltung euphemistisch. Der grüne Fraktionssekretär, der auf dem Höhepunkt der Srel-Affäre mit anderen bespitzelten Bürgern eine Initiative gegen die staatliche Überwachung ins Leben rief, gibt zu: „Außer Absichtserklärungen“ sei bei der Aufarbeitung der Bespitzelung noch nicht viel geschehen. Nach der Sommerpause, so sagt er, werde seine Initiative das Thema neu vorantreiben.
Dann wird auch der Haushaltentwurf für 2015 vorliegen – und die Dreierkoalition erstmals Farbe bekennen müssen. Einen Vorgeschmack darauf, wie schwierig die nächste Haushaltsdebatte werden wird, gab die unbedachte Bemerkung der frisch gebackenen Familienministerin Corinne Cahen im Januar zum Kindergeld: Die Gewerkschaften protestierten sogleich, die Ministerin wurde für ihr Vorpreschen parteiintern ermahnt. Seitdem äußert sich die quirlige Geschäftsfrau außer mit menschelnden Facebook-Einträgen inhaltlich kaum noch zu Wort.Das liegt auch daran, dass die Ministerin das schwierige Familienministerium geerbt hat – und sie sich, wie andere Ministerkollegen, als Polit-Neuling mit dem Ministeramt, den (CSV-dominierten) Strukturen, technischen Inhalten und mit ihrer eigenen Partei erst noch vertraut machen muss. Da überrascht es schon, dass es Monate dauerte, bis auch Cahen einen Berater an die Seite bekam. Andere Minister sind sieben Monate nach Antritt noch immer auf Suche.
Die Grünen hatten wohlweislich gefordert, jede Regierung ihren politischen Beraterstab mitbringen zu lassen. Ursprünglich gab es Pläne, kundige Parteileute zügig in den jeweiligen Ministerien unterzubringen. Ungeklärte Gehälterfragen und ein Premier, der angesichts des Sparversprechens und dreier Staatssekretäre nicht noch eine Debatte über politische Berater und erhöhte Personalkosten riskieren wollte, bremsten den Übergang. Für die betroffenen Minister hieß das, dass sie beim Austarieren des Kräfteverhältnisses zwischen Verwaltung und neuem Dienstherr zunächst etwas verloren dastanden. Beim Schulminister kam zu einem Staatssekretär, der schon nach wenigen Wochen aus Überforderung das Handtuch warf, erschwerend eine mit drei Männern besetzte Generalkoordination hinzu. Die Fusion von Kindheit, Jugend, Hochschule, Forschung und Erziehung zu einem Superministerium macht das Einarbeiten und Entscheiden nicht leichter. Zudem bringt jeder Minister seinen eigenen Führungsstil mit – was erklärt, warum der Streit um die Industriezone Um Monkeler nicht ausuferte, der um die Studienbeihilfen aber schon. Camille Gira und Fränz Bausch, in grüner partizipativer Diskussionskultur geübt, hatten sich rasch den Fragen besorgter Bürger gestellt – und konnten damit punkten.
Claude Meisch hat als ehemaliger DP-Fraktionschef, im Parlament und als Differdinger Bürgermeister zwar reichlich politische Erfahrung, aber seine Partei ist nicht unbedingt für gleichberechtigtes Diskutieren bekannt und das Schulministerium gilt traditionell als echter Brocken. Die Lehrervertretungen sind eine der stärksten Lobbygruppen im Land. Eine Schule ist kein Bankbetrieb. Dass Meischs Ministerium nur schwer aus den Negativschlagzeilen herauskommt, liegt auch daran, dass der Ex-Banker direkt die Lehrer-Tâche und ausufernde Bildungsausgaben attackierte. Da verstehen Gewerkschaften nunmal keinen Spaß.
Kaum war der Streit um die Tâche, die Universitäts-Finanzen und schließlich die Studienbeihilfen einigermaßen unter Kontrolle, sorgte die nächste Äußerung für Aufregung. Nach dem Regierungsrat vor zwei Wochen kündigte Meisch an, gläubige Schüler dürften in der öffentlichen Schule Kopftuch, Kippa oder Kreuz tragen. Eine entsprechende Direktive wurde an die Schulen verschickt. In den sozialen Netzwerken schlug die Nachricht ein wie eine Bombe, Medienberichte wurden minutenschnell weitergeschickt und kommentiert. Luxemburg hatte seinen Mini-Kopftuchstreit.
Während in den Reihen der LSAP-Basis manch einer fassungslos feststellt, dass „eine politische Grundsatzfrage mal eben per Direktive entschieden wird“, will PR-Mann Paul Konsbrück einmal mehr keinen Fehler erkennen: Die Kopftuchfrage sei „Hauptthema“ jener Sitzung des Regierungsrates gewesen, die Direktive und ihre Kommunikation falle „unter die Souveränität des Ministers“. Dass die Öffentlichkeit sich nicht mit einer technischen Regelung abspeisen lässt, hätte angesichts der emotionalen Auseinandersetzungen in den Nachbarländern allerdings jedem klar sein müssen.
Zumal die Trennung von Kirche und Staat das zentrale Wahlversprechen der Dreierkoalition war, neben der Staatsreform. Während die Initiativ fir de Choix für die vermeintliche Wahlfreiheit zwischen katholischem Religions- und Moralunterricht demonstriert, Aha und andere Kirchenkritiker dagegenhalten, glänzen die Mehrheitsparteien durch diskursive Abstinenz. Intern heißt es, interministerielle Arbeitsgruppen würden nächste Schritte vorbereiten. Die berufliche Zukunft der Religionslehrer bereitet Kopfzerbrechen. Andere grübeln vielleicht mehr darüber, dass mit Regierungsrat Luc Feller ein Beamter, der eng mit Jean-Claude Juncker zusammengearbeitet hat, mit Kultusfragen beauftragt wurde. Das alles erklärt aber nicht, warum die Mehrheitsparteien sich insgesamt so zurückhalten. Ob sozialer Wohnungsbau, Ausländerwahlrecht, Schulreformen oder Geheimdienst – von den Parteien kommt außerhalb der Parlamentsausschüsse fast nichts. „Die Vorarbeiten laufen, das geht nicht so schnell“, bittet Eugène Berger um mehr Geduld. Abbes Jacoby von Déi Gréng weist daraufhin, dass man dabei sei, „eine Reihe von Hausaufgaben vorzubereiten, wo wir Reformen konkretisieren“. Und die Index-Frage habe man doch „geschickt gelöst“. Wegen der niedrigen Inflation sei keine weitere Modulation des Indexes nötig, findet die Regierung, sehr zum Missfallen der Arbeitgeber.
In den sozialen Netzwerken mehren sich derweil Stimmen, die fragen, ob die blau-rot-grüne Regierung hält, was sie versprochen hat, und die aufmerksam registrieren, dass die bisherigen Reformen,wie die des Ehe- und des Adoptionsrechts, von der Vorgängerregierung vorbereitet wurden. Der automatische Informationsaustausch, mit dem der Premier gleich zu Beginn im Ausland Sympathiepunkte sammelte, war nur eine Frage der Zeit. Nur neu zu sein, ist aber kein Programm. Während die einen ungeduldig mit den Füßen scharren, ängstlich in Richtung Regierung starren und hoffen, dass von dort bald echte Aufbruchsignale kommen, wagen andere sich allmählich aus der Deckung. Wie der LSAP-Abgeordnete Franz Fayot, der kürzlich in einer Radio-100,7-Talkrunde seine Partei aufforderte, sich der Diskussion um eine Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen nicht zu verschließen. Könnte sein, dass es der Stimmen bald mehr werden.