Wer Leany Sealy und ihr Quintett schon einmal live gehört hat, wundert sich bestimmt, dass plötzlich klassisches Musical angesagt sein soll, und denkt sich: "Aber warum denn nicht?" Cole Porter artig und nett für kleine Besetzung zu arrangieren und von einer schönen, vollen, gut ausgebildeten Jazz-Stimme tragen zu lassen, ist bestimmt keine schlechte Idee. Man lehnt sich zurück, freut sich auf ein paar gemütliche, besinnliche Minuten und fliegt dann vom Hocker. Der alte Cole Porter ist jeder My Fair Lady-Romantik entkleidet und, ja, richtig sensationell.
Die Hälfte der Tracks wurden von Gitarrist David Laborier arrangiert und ist aufpeitschend gut, perfekt gespielt und richtig mutig. Aus unterschiedlichstem Ausgangsmarterial von Gershwin bis Avril Lavigne bringen Leany Sealy und ihre Band überzeugende eigene Interpretationen, erstaunliche, mit grandioser Respektlosigkeit vor dem Klischee. Aus Avril Lavigne and the Matrix's krachender Punk-Hymne Sk8er Boi wird, ganz ohne Drums, eine dramatische Ballade, schwingend ohne Swing, und die Sängerin entwickelt eine Intensität und Poesie die einen - der Vergleich mag komisch klingen, aber ist als großes Lob gemeint - an einen Fado erinnert.
Genau das Gegenteil geschieht mit Summertime, einem Titel, der in den Repertoires der meisten seriösen Jazzer unter: "Nur nach Mitternacht, bei alkohilisiertem Publikum und als Zugabe Nummer 17 auf besonderen Wunsch, wenn die Band Durst hat" abgelegt ist. Hier wird mit purer, ansteckender Freude gefetzt, man hört Flamenco-Akkorde abfahren, muntere Soli, sehr "Gitano", was Laborier angeht, und einen knallharten, blitzschnellen und unheimlich gut strukturierten Drum-Part von Jean-Marc Robin. Uns gefiel auch Bob Morhards perfekte Symbiose an Vibes und Percussion mit allen Band-Mitgliedern. Ein Musiker, dessen Live-Dynamik wir schon bei der Jazz-Rallye bewunderten, der sich aber im Studio mit puristischen Akkord-Folgen und der eleganten Linie auf dieser CD besonders profiliert. Eigentlich eine Meisterstunde in punkto moderner Percussion.
Zu Leana Sealy selbst will ich nichts schreiben. Es ist viel schöner, sie auf dieser CD zu erleben. Oder irgendwie in einem der so seltenen guten Jazz-Lokale, oder auf einer Jazz-Rallye. Was für eine Sängerin! Man geht an einem Lokal vorbei und ist irgendwie verzaubert. Eigentlich ist es schon unheimlich. Man findet plötzlich Cole Porter gut. Ein Glück, dass niemand davon weiß.
Leana Sealy Quintett: On the Street Where You Live; LSBM 0401; CD zu beziehen unter www.leanasealy.com oder beim Jazz Club Luxembourg.