Man sehe, dass „wir eine immens lebendige Partei sind“, freute sich Agrarminister und bis zum Wochenende Generalsekretär Fernand Etgen nach den Auftritten der Unterorganisationen und fragte: „Hat jemand etwas zu den Berichten zu sagen?“ Wie meist auf den DP-Kongressen hatte keiner der rund 200 Zuhörer etwas zu den Berichten zu sagen. Auch nicht zu einer Motion der Jungdemokraten, die mehr Transparenz und Mitsprache in der Partei verlangten. Die Mitglieder der DP kommen zu Landeskongressen, um ihre Loyalität zur Partei zu demonstrieren, die Parteiprominenz zu feiern und anschließend vielleicht auf dem Parkplatz mit Kollegen eine Grillwurst zu essen. Nicht aber, um Berichte, Resolutionen und Positionen auszuhandeln. Zudem ist die Partei noch immer ein wenig siegestrunken, dass sie „zum zweiten Mal in ihrer Geschichte“, wie sich ein Redner freute, den Premierminister stellen darf. Bekanntlich ist liberale Politik zuerst eine Praxis und zwar eine sehr pragmatische.
Der Parteitag am Samstag war eine Nummer bescheidener als seine Vorgänger: Der Saal im Junglinster Kulturzentrum war enger, kein Großbildschirm für Videoprojektionen, kein Showmaster, der im Scheinwerferlicht über die Bühne spazierte und den Kongress moderierte, die Dekoration war auf zwei traurige Zimmerpalmen zusammengeschrumpft. Natürlich bilanziert die Partei nach einem 638 843 Euro teuren Wahlkampf vergangenes Jahr einen Verlust von 135 404 Euro, und natürlich war der politische Höhepunkt des zweieinhalbstündigen statutarischen Kongresses, dass der nicht ganz charismatische Abgeordnete Gilles Baum ohne Gegenkandidat zum neuen Generalsekretär gewählt wurde.
Aber der Parteitag zeigte auch, dass die DP nach dem Wahlsieg im Oktober sachte auf dem Boden der Tatsachen landet. „Das Ergebnis der Europawahlen blieb hinter unseren Erwartungen zurück“, klagte der Europaabgeordnete Charles Goerens. In Wirklichkeit fuhren die Liberalen mit 14,77 Prozent der Stimmen im Mai ihr schlechtestes Ergebnis seit Einführung der Direktwahlen zum Europaparlament vor 35 Jahren ein, rund vier Prozentpunkte weniger als 2009 oder bei den Kammerwahlen 2013. Der im Wahlkampf als blauer Riese angebotene „Charel“ endete weit hinter CSV-Spitzenkandidatin Viviane Reding. Der Präsident des Nordbezirks, Marco Koeune, hatte auf Goerens erfolglosen Einsatz für eine Koalition mit der CSV angespielt, als er berichtete, dass angesichts der „großen programmatischen Differenzen von Gambia“ die Koalition mit LSAP und Grünen „für uns im Norden ganz überraschend kam“. Aber Goerens ging nicht weiter auf seinen merkwürdigen Gastauftritt bei den Kammerwahlen ein.
Die vom Tageblatt bei TNS-Ilres bestellte Wählerbefragung bescheinigte der DP sogar den Verlust von zwei Parlamentsmandaten, wenn gerade Legislativwahlen gewesen wären – DP-Premier Xavier Bettel würde über keine parlamentarische Mehrheit mehr verfügen. Was peinlich aussieht, auch wenn der Regierungschef am Samstag vor seiner Partei verlangte, „nicht auf der Sonntagsfrage beurteilt zu werden, sondern auf der Arbeitslosigkeit, der Wohnungsbaupolitik, der Staatsschuld...“.
So verzichtete Xavier Bettel in seiner Kongressansprache auf die großen Zukunftspläne und beschränkte sich weitgehend darauf, mit Polemik gegen die CSV die Regierungspolitik zu rechtfertigen. „Man wirft uns vor, noch nicht das ganze Regierungsprogramm umgesetzt zu haben. Aber wir haben noch viereinhalb Jahre Zeit“, rechnete er nicht nur für die Fernsehkamera im Saal, sondern auch für die eigenen Mitglieder. Die beginnen nämlich zu befürchten, dass die DP sich auf große Ankündigungen beschränkt, die sie dann zurücknehmen muss, während der gewieftere LSAP-Vizepremier Etienne Schneider den Ton angibt und selbst die Grünen gezielter in ihren Ressorts voranzukommen scheinen. Derweil Claude Meisch sich mit der unpopulären Kürzung der Stipendien herumplagen muss, „einer Reform, die nötig ist“, so Xavier Bettel.
„Pierre war die richtige Wahl“, versicherte Bettel auch jenen Zuhörern, die nach den ersten Ungeschicklichkeiten bezweifelten, ob es so eine tolle Idee war, statt eines verdienten und erfahrenen Parteimitglieds den Direktor der Handelskammer zum Finanzminister zu machen. Deshalb musste Gramegna, erst seit dem Herbst DP-Mitglied, „zum ersten Mal in meinem Leben vor einem Parteikongress stehen und reden“ und für die Mehrwertsteuererhöhung „auf der siebten Wohnung“ oder auf Tafelwein in Restaurants werben, für den „im letzten Augenblick vor dem Gesichtsverlust beschlossenen“ automatischen Informationsaustausch und für die „externen Fachleute“ bei der Budgetreform.
„Wir wollen eine Evolution, keine Revolution“, versicherte Xavier Bettel jenen, die ihn für einen Himmelsstürmer hielten. Und behält, anders als Agrarminister Fernand Etgen, auch als Premierminister sicherheitshalber sein Mandat an der Spitze der Partei.