Es riecht nach Zuschauermanipulation, wie Marion Rothhaar Schnitzlers Anatol auf die Bühne bringt. Der Gang durch die umdefinierte Bühnenwelt des Sichel Home nach Ladenschluss erlaubt einen entspannten Blick auf die Produktpalette des Einrichtungshauses. Dagegen wirkte die FedEx-Werbung im Hollywood-Hit Cast Away wie ein ungewollter Zufall. Augenkrebs erregen zudem Bösenbergs stilistisch höchst zweifelhafte, grellbunte Socken. Die Schauspielerin Alexandra Bentz wird dann auch noch unmittelbar vor dem Logo der Marke Rolf Benz hypnotisiert. Der Gipfel: Im Programmheft wird eine schlüpfrige Nacktszene der attraktiven Darstellerinnen und Darsteller angekündigt. Mit nichts dergleichen wird die 90-minütige Konzentration des Publikums belohnt!
Schluss mit diesen oberflächlichen Randbemerkungen, obwohl Rothhaars Inszenierung von Arthur Schnitzlers Lustspiel aus dem Jahre 1893 die menschliche Oberflächlichkeit als Thema an sich breit auslegt. Die textlich leicht angepasste Bearbeitung der freien Künstlergruppe Maskénada schöpft aus dem Vollen, wenn es darum geht, die Flüchtigkeit und Zerstörungskraft der Frauengeschichten der Hauptfigur Anatol (Markus Bader) auszuarbeiten. So austauschbar wie die mit Preisschildern ausgehangenen Einrichtungsmöbel ist auch das Freiwild, mit dem er seine Betten teilt. Sex, Äußerlichkeit und Eitelkeit stehen im Zentrum seiner hedonistischen Weltanschauung, verziert mit geschliffenen Bonmots. Keine Dame kann ihm widerstehen, niemand.
Fast niemand. Da ist lediglich seine x-te Episode Lilly, seine derzeitige LAP (zu Deutsch: Lebensabschnitts-partnerin), die dem smart anmutenden Schürzenjäger anlässlich des Abendessens, da er die Trennung verkünden möchte, mit dessen eigenen Waffen zusetzt. Sie ist es, die die Trennung verkündet. Entsetzt gibt er das Heft aus der Hand. Sein bester Freund Max (Nickel Bösenberg) wird Zeuge dieser plötzlichen Dekonstruktion eines Unantastbaren. Es ist Max, der stetig versucht, seinen Freund zur Räson zu bringen, ohne dabei aber je gänzlich von seiner sarkastischen Tonlage ablassen zu können, und damit stellenweise an die Rolle des shakespeareschen Hofnarren erinnert. Selbst dort sorgt er für die Komik im Fünfakter, wo Sa-scha Ley in ihrer Rolle als betrogene Femme fatale droht, Anatols bevorstehende Hochzeit zu torpedieren.
Das thematische Steckenpferd des Vertreters der Wiener Moderne ist die psychologische Sektion zwischenmenschlicher, ja sexueller Beziehungen. Eher selten erlebt der Zuschauer Schnitzler jedoch derart komisch, bisweilen leicht. Zwar wagt sich Rothhaar mit ihrem Ensemble an ein Drama, das sich ebenso mit Missgunst und der Zerstörungskraft der Untreue auseinandersetzt, und doch erzeugt die Dramaturgie Komik zwischen den Betten, Sitzkissen und Couchtischen des Ladens.
Dies ist auch der Sprache geschuldet: Will er wissen, ob Lilly ihm treu ist? „Dir ist die Illusion tausend mal lieber als die Wahrheit“, antwortet Max. Ob die Erinnerungsstücke seiner Verflossenen alphabetisch oder nach Körbchengröße geordnet seien? Auch solle Max ihm anlässlich des Abschiedsessens beistehen, der Gute „halte einfach weinende Frauen nicht aus“.
Zum anderen trägt die engagierte Darstellung des gesamten Ensembles ihren Teil dazu bei, dass das Publikum sich auf gepflegte Weise unterhalten lässt. Die Freude am Spiel, an der Bewegung inmitten des Publikums und am komödientypischen Exzess ist den Akteuren anzusehen. Lediglich Ley neigt mit Letzterem in der Schlussszene zu leichter Übertreibung.
Das Gesamtkonzept der Bühnen inmitten des austauschbaren und doch ästhetischen Kommerzes geht trotz anfänglicher Skepsis auf. Was in der Eingangsszene dem Verdacht des Product placements unterliegt, festigt letztendlich die Deutung des Textes. So mag es vor allem ein Moment geben, das an Schönheit, Bildhaftigkeit und fotografischer Präzision im Gedächtnis bleiben wird: Die sinnliche und attraktive, eigentlich als Opernsängerin tätige Alexandra Bentz betritt Anatols Wohnung. Ihr lockiges dunkelbraunes Haar und ihre Kleidung erinnern an antike römische Schönheiten. Am Kerzenständer zündet sie einen Docht nach dem anderen an. Das Licht bescheint ihr zartes Gesicht. Es ist der Gedanke an die Ware „Kerzenständer“, an die Ware „Frau“, der dieses Moment tiefster Schönheit so grauenvoll zerstört. Ja, Schnitzlers Anatol ist witzig, im Inneren aber zutiefst brutal.