Jetzt verhandeln sie wieder. Seit Montag, sagen die Institutionen, als da sind: EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB), Internationaler Währungsfonds und, neu, der Europäische Stabilitätsmechanismus. Seit Dienstag, sagt die griechische Regierung. Richtig los aber ging es erst am Mittwoch nach Ankunft der Chefunterhändler. Die griechische Regierung wollte die Vertreter der Institutionen aus Sicherheitsgründen weit außerhalb der Innenstadt unterbringen und damit in größtmöglicher Entfernung zu den Unterlagen, die in den Ministerien liegen. Die Geldgeber haben das abgelehnt und sich durchgesetzt, sie logieren jetzt in der Nähe der Akten. Schon soll es erste Beschwerden geben, dass man nicht den vollen Zugriff erhalte. Der aber ist notwendig, da die Auswirkungen der Bankenschließung und der Restriktionen im Kapitalverkehr auf die griechische Wirtschaft viele bisherige Prognosen Makulatur werden ließen und diese nun überprüft werden müssen. Das Hickhack zwischen Griechenland und seinen Gläubigern geht weiter.
Anfang Februar hatte die EU-Kommission noch mit einem Wachstum von 2,5 Prozent gerechnet. Aktuelle Berechnungen des griechischen Wirtschaftsforschungsinstituts IOBE gehen inzwischen von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 2,5 Prozent für 2015 und wieder steigenden Arbeitslosenzahlen aus. Diese Entwicklung haben nicht die Geldgeber, sondern allein Alexis Tsipras und seine Regierung zu verantworten. Überall sonst in der EU gibt es ein zumindest moderates Wachstum. Die desaströse griechische Politik hat alles Vertrauen verspielt. Nicht nur das der Geldgeber, sondern auch das Vertrauen möglicher Investoren und das der Konsumenten. Damit hat sie die kostbarste Währung zerstört, die eine Wirtschaft am Laufen hält und ohne die keine Ökonomie florieren kann.
Der Zeitrahmen für die Verhandlungen ist denkbar eng. Griechische Regierungsvertreter sagen, man könne schon an diesem Wochenende fertig sein. Die Institutionen sehen das völlig anders. Möglichst bis zum 10. August soll es eine Einigung für das dritte Hilfspaket geben, das zwischen 60 und 90 Milliarden Euro schwer sein soll. Am 11. August könnten die Euro-Finanzminister das Paket absegnen. Bis zum18. August sollen alle Regierungen und nationalen Parlamente, die dies tun müssen, den Hilfsmaßnahmen zustimmen, bevor das griechische Parlament dann die ausgehandelten Gesetzesänderungen am 18. August im Parlament beschließt. Am 20. August müssen 3,2 Milliarden Euro an die EZB zurückgezahlt werden.
Verhandelt werden dieselben Themen wie schon seit fünf Jahren: eine Rentenreform, eine Arbeitsmarktreform, die Öffnung bestimmter Berufe und die Lockerung von Regeln wie den Ladenöffnungszeiten, die Sanierung des Staatshaushalts, eine Verwaltungsreform sowie Privatisierungen, für die Fantasiezahlen kursieren. Praktisch alle sind sich einig, dass das dritte Hilfspaket ohne einen großen Schuldenschnitt nicht funktionieren kann, der politisch als nicht durchsetzbar gilt. Erschwerend kommt hinzu, dass niemand in der griechischen Regierung die geplanten Maßnahmen aus Überzeugung mitträgt. Man fühlt sich an den Irak erinnert, der von Amerika in die Demokratie geführt werden sollte. Seit diesem Krieg weiß noch der Blauäugigste, dass man kein Land zu seinem Glück zwingen kann. Diese Lehre gilt auch für Griechenland.
Das Kind ist in den Brunnen gefallen und es gibt weit und breit keine Feuerwehr, die es wieder herausholen könnte. Wie konnte es so weit kommen? Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. In der griechischen Schuldenkrise gibt es nur Verlierer. Zuallererst die Griechen, die sich seit Beginn der Schuldenkrise mit allen Tricks geweigert haben, ihre Wirtschaft und ihr politisches System zu sanieren und fit für das 21. Jahrhundert zu machen. Dann die Retter des Euros, die sich eingestehen müssten, dass ihre intergouvernemental gestrickte Hilfe inzwischen höhere Kosten verursacht, als es Eurobonds je getan hätten. Nicht nur die Eurogruppe, sondern die gesamte EU hat sich trotz aller Hilfs- und Stützungsmaßnahmen für Griechenland entsolidarisiert. Deutschland und Frankreich wahrten während des 14-stündigen Euro-Gipfels am 12. und 13. Juli nur mühsam die Fassade eines gemeinsamen Vorgehens.
Es rächt sich bitter, dass fast alle europäischen Politiker, die Verantwortung zur Lösung der griechischen Schuldenkrise trugen oder tragen, ihren Wählern nicht die Wahrheit gesagt haben und ihnen keinerlei positive Visionen für die Zukunft vermitteln wollten oder konnten. Dabei sind die Wähler nicht so blöd wie sie oft gehalten werden. Laut einem Politbarometer von Mitte Juli in Deutschland will eine knappe Mehrheit Griechenland im Euro halten, aber 71 Prozent glauben nicht, dass der Bankrott abzuwenden ist, und 73 Prozent glauben nicht, dass das Land Reformen wie versprochen umsetzen wird. Fast möchte man rufen: Wo ist der Alexander, der den gordischen Knoten zerschlagen kann?