Als Elitesoldaten der US-Marine am Wochenende den saudi-arabischen Terroristen Osama Bin Laden im pakistanischen Abbottabad umbrachten und umgehend seine Leiche verschwinden ließen, schien auch ein Kapitel in der Geschichte der politischen Kultur und der Demokratie zumindest symbolisch abgeschlossen. Denn die Erschießung des Unbewaffneten ohne das Recht auf einen Prozess, das selbst Goering in Nürnberg und Eichmann in Jerusalem genossen, ist nur das letzte Beispiel dafür, welche bis kurz zuvor noch unvorstellbare Regression das Recht und die Zivilisation schlechthin in dem Jahrzehnt des „Kriegs gegen den Terrorismus“ seit dem Anschlag auf die New Yorker Twin Towers erfuhren – weltweit, also auch hierzulande.
Dazu gehört, dass die größten Militärmächte die ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen internationalen Konventionen zum Schutz von Kriegsgefangenen missachten. Sie sprechen den im Krieg gegen den Terrorismus Gefangenen willkürlich das Statut der Kriegsgefangenen ab und verschleppen sie in rechtlose Territorien wie Guantánamo, wo sie während Jahren ohne Gerichtsverfahren und Kontakt zur Außenwelt eingesperrt bleiben.
Wer hätte gedacht, dass die im 18. Jahrhundert von der Aufklärung geächtete Folter, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Kolonialkriegen Frankreichs und den „schmutzigen Kriegen“ der USA nur heimlich praktiziert wurde, nun als Water boarding juristisch legitimiert zum Arsenal parlamentarischer Demokratien gehören? Dazu zählt auch der größte Sündenfall der Luxemburger Regierung und Justiz im Krieg gegen den Terrorismus, die im Frühjahr 2003 den des Terrorismus verdächtigten Taoufik Salmi festnehmen und kaltblütig seinen tunesischen Folterern überstellen ließen.
Die polizeiliche Überwachung nicht nur Verdächtiger, sondern aller Staatsbürger trieb ungeahnte Blüten, von denen der biometrische Pass und das Shampoo-Verbot im Handgepäck auf dem Findel wohl noch die harmlosesten sind. Eine nationale Einrichtung wie das Bankgeheimnis wurde noch vor allerlei europäischen Harmonisierungsbestrebungen dem von den USA dekretierten Kampf gegen die Finanzierung des Terrorismus geopfert. Gab es kurz zuvor noch einen allgemeinen Konsens, dass der Service de renseignement ein nicht ganz ernst zu nehmendes Relikt des Kampfs gegen die rote Gefahr war, so erhielt der Spëtzeldéngscht nach dem 11. September personelle, finanzielle und rechtliche Mittel, von denen er nicht zu träumen gewagt hatte.
Im Kalten Krieg war die Angst vor den Ennemi auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ein lieb gewordenes Herrschaftsinstrument. Dank Osama Bin Laden muss auch künftig nicht darauf verzichtet werden. Nur dass die Angst vor dem Kommunismus beziehungsweise Imperialismus durch die Angst vor dem Islamismus ersetzt wurde, unter der als erste arabische Einwanderer mit und ohne Schleier zu leiden haben.
Dabei müssten wir wissen, dass Terrorismus ein politisches Phänomen ist und nur als solches bekämpft werden könnte. Denn die Terroristen der einen sind immer die Freiheitkämpfer der anderen. So waren auch Bin Laden und seine von den USA finanzierten Mudschahidin in den Achtzigerjahren unsere in der Chamber und der Presse viel gefeierten Freiheitshelden im Kampf gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans. Genau wie die hiesigen Bombenleger während derselben Epoche bis heute nicht Terroristen genannt werden dürfen, weil sie keine muselmanischen Bärtigen waren, sondern 5/6-pensionsberechtigt aus unserer aller Mitte stammten.