Muss es die Luxemburger Politik interessieren, wenn ein französischer Investmentfonds seine Beteiligung an einem französischen Unternehmen zu veräußern gedenkt? Nicht unbedingt, aber dass der Private-Equity-Fonds PAI Partners bis zum Jahresende seine Beteiligung an Cerba European Lab weiterverkaufen will, ist für Luxemburg durchaus bedeutsam.
Cerba European Lab ist ein Konzern, der biomedizinische Analyselabors in Frankreich und Belgien betreibt, aber auch in den USA und Südafrika. Seit Juni 2011 sind ihm auch die Laboratoires Ketterthill angeschlossen, das größte Luxemburger Privatlabor mit an die 56 Prozent Marktanteil hierzulande. Aber erst nach und nach zeigt sich, dass dem Finanzkapitalismus die Tür zur heimischen Laborbranche geöffnet wurde, als der frühere Ketterthill-Besitzer Jean-Luc Dourson seine Firma vor vier Jahren in Cerba einbrachte.
PAI Partners hält 77 Prozent der Anteile an Cerba European Lab und seit vier Jahren nun auch an Ketterthill. Doch Private-Equity-Fonds verlassen in der Regel das Unternehmen, in das sie investiert hatten, nach fünf Jahren wieder – nicht aber ohne auf ihre Investition einen Gewinn zu erzielen, der sich sehen lassen kann. Im Juli 2010 hatte PAI Partners seine Cerba-Aktien für 550 Millionen Euro von einem anderen Private-Equity-Fonds übernommen. Weiterverkauft werden sollen sie, Land-Informationen zufolge, nun für rund eine Milliarde.
Die spannende Frage stellt sich, wie ein Unternehmen innerhalb von fünf Jahren so viel rentabler werden kann. Die Antwort lautet: Das muss es gar nicht wirklich. Private-Equity-Fonds legen ihr Geld nicht nur in Aussichten auf Rentabilität an, sondern verkaufen neue Rentabilitätsversprechen weiter. Maßstab ist dabei nicht der Nettoerlös, den ein Betrieb auf seinen Umsatz nach Abzug aller Kosten erzielt, sondern das operative Betriebsergebnis vor Steuern, Schulden, Zinsen und Abschreibungen, der so genannte Ebitda, und wohin dieser vielleicht wachsen kann. Als PAI Partners 550 Millionen Euro in Cerba investierte, entsprach das dem damals 10,5-fachen Ebitda der Cerba-Gruppe. Fünf Jahre später liegt Cerbas Ebitda nicht bei 550 Millionen, geschweige bei einer Milliarde, sondern lediglich bei mehr als 120 Millionen. Bewertet wird die Labor-Gruppe aber weiterhin 10,5 Mal höher.
Für Luxemburg ist das deshalb von Belang, weil der heimische Marktführer Ketterthill von den 35,5 Millionen Euro Umsatz, die er in seiner Bilanz 2014 ausweist, 33,3 Millionen aus „prestations CNS“ erwirtschaftete, also aus Krankenversicherungsbeiträgen sowie dem Staatsanteil an der Krankenversicherung. Damit aber finanziert die Allgemeinheit hierzulande die Rentabilitätsabenteuer der Cerba-Gruppe und ihres Hauptaktionärs mit: Seine Ebitda-Zuwächse erreicht Cerba European Lab offenbar nicht zuletzt durch Firmenübernahmen. Die versprechen, die ganze Gruppe durch „Skaleneffekte“ rentabler zu machen – theoretisch. Denn als Cerba 2014 und Anfang dieses Jahres zwei andere Laborketten in Frankreich für insgesamt 375 Millionen Euro übernahm, konnte der Konzern das dafür nötige Geld nur zum Teil aufbringen und musste nacheinander zwei Obligationen über insgesamt 225 Millionen Euro ausgeben. Nachdem schon 2013 eine Obligation über 365 Millionen Euro ausgegeben worden war, kletterte die Nettoschuld von Cerba European Lab auf nunmehr rund 600 Millionen oder das Fünffache des realen Ebitda der Gruppe.
Hinzu kommt, dass auch die Finanzmärkte, wie die Dinge liegen, immer weniger an Cerbas Rentabilitätsversprechen für die Zukunft „glauben“: Schon die Obligationen von 2013 und 2014 musste der Konzern zum hohen Zinssatz von sieben Prozent eingehen, die jüngste von Anfang dieses Jahres sogar zum Satz von 8,25 Prozent. Die Ratingagenturen Fitch und Moody’s stuften Cerbas Kreditwürdigkeit herab, Moody’s auf „negativ“. Moody’s schrieb zur Begründung, Cerbas Schuldenstand werde wohl auch 2016 sechs Mal höher sein als der – tatsächliche – Ebitda.
All das muss nicht heißen, dass Cerbas Hauptaktionär seine Beteiligung nicht gewinnbringend weiterverkaufen kann. Schulden mitzuverkaufen gehört zum Geschäft von Private-Equity-Fonds, und solange die laufenden Zinsen bedient werden können, legt auch keine Bank sich quer – immerhin gibt es daran gut zu verdienen. Doch wie d’Land erfuhr, kostet Cerbas Schuldenstand nun pro Jahr an die 45 Millionen Euro Zinsen. Kosten dieser Art gibt Cerba an seine Tochterunternehmen weiter. Auch an Ketterthill. Bereits in seiner Bilanz 2014 weist Ketterthill 27,5 Millionen Euro Langfristschulden aus, die Cerba aus Obligationen abwälzte. 2015 dürfte die wegen der letzten, von Cerba im April ausgegebenen Obligation über 145 Millionen Euro noch zunehmen.
Was sich dabei zu rächen droht, ist, dass bei der Reform des Luxemburger Gesetzes über die Privatlabors im Frühjahr 2011 keine Klausel eingebaut wurde, die das Kapital von Labors davor schützt, von Beteiligungsunternehmen dominiert zu werden. Ironischerweise war es ausgerechnet Ex-Ketterthill-Chef Dourson gewesen, der die damalige Regierung über eine Beschwerde bei der EU-Kommission zwang, die Regeln zu ändern und Privatlabors nicht länger nur als Personenbetriebe, sondern auch als Kapitalgesellschaften zuzulassen. Doch weder der damalige Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) noch der parlamentarische Gesundheitsausschuss rea-gierten auf die Warnung der Beratenden Laborkommission, man müsse verhindern, dass „egal wer“ Anteile eines Labors erwerben könnte. Am Ende fiel die Luxemburger Regelung liberal aus: Der Laborchef muss ein Mann oder eine Frau vom Fach sein; dass die Mehrheit der Anteile von einem Biomedizin-Betrieb gehalten werden muss, schreibt das Laborgesetz dagegen nicht vor. Und als das Gesetz 2014 erneut geändert wurde und seitdem auch für Krankenhauslabors gilt, falls die sich „ausgründen“ aus einem Spital und einen Partner suchen, wurde die Aktionärsfreiheit auch auf diese Fälle ausgedehnt.
Was das für Folgen hat, könnte an Ketterthill nicht erst dann beobachtet werden, wenn ein neuer Mehrheitsaktionär die Cerba-Anteile von PAI Partners übernimmt und das Schneeballspiel um mehr artifizielle Rentabilität noch weiter treibt. Schon jetzt tritt Cerba in Luxemburg auf die Kostenbremse: Das Netz der lokalen Blutentnahmezentren von Ketterthill schrumpft; die Camionette, die auch in kleinen Dörfern Blutproben einsammelt, wurde abgeschafft. Ketter-thills Neubau in Belval, der Mitte Juni eingeweiht wurde, hat Cerba zwar als Beweis seiner Investitionswilligkeit in Luxemburg ins Fenster gestellt, die von Ketterthill benutzte Fläche in dem Gebäude aber wurde gegenüber den ursprünglichen Plänen verkleinert. Und die für die Mitarbeiter vorgesehenen Firmenparkplätze in der Tiefgarage werden nun fremdvermietet.
Noch ist das stark automatisierte Labor, das als erstes hierzulande eine vollautomatische Analysestraße in Betrieb nahm, ausgesprochen rentabel. Auf dem Umsatz von 35,5 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr 7,7 Millionen Euro Nettogewinn erzielt, und Ketterthills Ebitda lag mit 13,2 Millionen Euro zehn Prozent über dem von 2013. Bei so viel Rentabilität kann Luxemburgs größtes Privatlabor auch die zwanzigprozentige Kürzung der Labortarife wegstecken, die die Regierung im Haushaltsgesetz für dieses Jahr verordnete. Die 9,3 Millionen Euro Schulden bei der Spuerkees aus alten Zeiten noch dazu.
Ein um 20 Prozent gekürzter Ebitda, multipliziert mit 10,5 täte aber womöglich Cerba weh. Und 2012 zumindest soll Ketterthill einer der wenigen rentablen Tochterbetriebe des Konzerns gewesen sein, vielleicht sogar die Geldmaschine der Gruppe. Das könnte sich eines Tages in Luxemburg auch politisch bemerkbar machen, wenn über Labortarife verhandelt wird: Dass Ketter-thill derart rentabel ist, heißt auch, dass die aktuell geltenden Tarife noch immer hoch sind, auch wenn Dourson als Betriebschef und Präsident des Branchenverbands FLLAM seinerzeit stets das Gegenteil behauptet hatte. Gut möglich ist jedoch, dass es sich für die CNS und den Sozialminister mit Luxemburger Laborbesitzern vom Fach leichter verhandeln lässt als mit einem Konzern, hinter dem ein Private-Equity-Fonds steht. Und wenngleich bisher keines der beiden anderen Privatlabors sich mit einem ausländischen Partner zusammengetan hat, heißt das nicht, dass das so bleiben muss.
Klar scheint aber auch: Wollte die Regierung das Privatlabor-Gesetz ändern und eine Kapitalschutzklausel einführen, wäre das keine ganz leichte Übung. Gerade in Frankreich, wo Cerba seinen Sitz hat, existiert seit 2010 ein Gesetz, das vorschreibt, mindestens 51 Prozent der Labor-Kapitalanteile müssen „vom Fach“ gehalten werden. Bei dieser Gesetzesänderung war aber nicht durchsetzbar, die neue Regel auch rückwirkend anzuwenden und Finanzierungsgesellschaften aus der Aktienmehrheit von Laborfirmen zu zwingen. Davon profitiert Cerba heute, und was Ketterthill betrifft, könnte der Konzern womöglich argumentieren, dessen Anteile würden hundertprozentig vom Fach gehalten: Einziger Aktionär von Ketterthill ist LBS, ein Labor mit Sitz in Brüssel. Dass es zu hundert Prozent Cerba gehört, ist in Belgien kein Problem. Dort gibt es keinen Labor-Kapitalschutz vor dem Finanzkapitalismus, und die derzeitigen Luxemburger Regeln sind eine Kopie der belgischen.