Etwas unglücklich wirkte es, als Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) am Freitag beim Regierungsbriefing die Eckpunkte des nationalen Aktionsplan zur Prävention von Suiziden vorstellte. Nicht nur, dass sie das lebenswichtige Thema erst am Ende ihrer Ausführung ansprach, sie befand, dass 85 Suizide in Luxemburg vergangenes Jahr „viel zu viel“ seien. Als gäbe es eine Zahl an Selbsttötungen, die irgendwie vertretbar sein könnte. Am Mittwoch, bei der offiziellen Vorstellung des Aktionsplans, betonte Mutsch daher, wie wichtig der Regierung es sei, „das Tabu“ Suizid anzugehen.
Vielleicht drückt sich im sprachlichen Lapsus und den leeren Phrasen die Unsicherheit aus, mit der sich nicht nur Politiker dem traurigen Phänomen nähern. Der Suizid zählt weltweit zu den zehn häufigsten Todesursachen, bei den jungen Menschen bis 25 Jahren ist er sogar die zweithäufigste. Ein Tabu in den Medien ist er aber nicht mehr. Seit 2007 gibt es ein Zentrum zur Prävention, aber außer Kampagnen am alljährlichen Präventionstag dürfte dessen Arbeit selten eine breitere Öffentlichkeit erfahren. Obwohl Luxemburg ein überschaubares Land ist, gibt es noch immer keine Analysen über die Hintergründe der Selbsttötungen hierzulande. Sie soll nun im Rahmen des Aktionsplans erfolgen. Das ist kein Moment zu früh.
Oft setzt ein Mensch seinem Leben aus einer spontanen verzweifelten Stimmung ein Ende. Zu den präventiven Maßnahmen gehört deshalb eine koordinierte Verhinderungsstrategie. Das sind Nottelefone und Therapieangebote für Suizidgefährdete rund um die Uhr, Ansprechpartner auf der Arbeit, aber nicht nur. Insofern ist ein Aktionsplan, der die Vernetzung etwa von schulpsychologischen Diensten, Beratungsstellen, Polizei, Lehrern, Sozialpädagogen und Ärzten als eine von 33 Maßnahmen vorantreibt, der richtige Weg. Seit Jahren herrscht ein Engpass bei der psychiatrischen Versorgung insbesondere von jungen Menschen. Hierzulande vergehen zudem oft Monate, sogar Jahre, bis der Staat reagiert, um etwa architektonische Gefahrenzonen zu entschärfen, wie die traurige Geschichte der Suizidserie von der Roten Brücke in den 1970-er Jahre belegt.
Vielen Selbsttötungen gehen ein oder mehrere Hilferufe voraus, wobei es für Angehörige oft schwierig ist, zwischen einer leeren Androhung und ernsthaften Absichtserklärungen zu unterscheiden. Auch sie brauchen Anlaufstellen. Sicher, einen hundertprozentigen Schutz gegen Suizid gibt es nicht. Dafür sind die Gründe, warum ein Mensch freiwillig aus dem Leben scheidet, zu vielschichtig. Oft sind es psychische Probleme, Depressionen oder persönliche Schicksalsschläge, wie eine Trennung oder der Verlust eines geliebten Menschen. Drogenabhängigkeit und Medikamentenmissbrauch können depressive Stimmungen zusätzlich befeuern.
Aber auch Arbeitslosigkeit, Armut, Mobbing und Leistungsdruck können dazu führen dazu, dass Menschen keinen anderen Ausweg für sich sehen. Hohe Suizidraten können auch ein dramatisches Zeichen dafür sein, dass gesellschaftlich etwas schief läuft. Ein reiches Land wie Luxemburg muss sich fragen, warum insbesondere junge Männer verzweifelt den Tod wählen, was dahinter steht, wenn schon Teenager keinen Ausweg mehr sehen – und wie ihnen aus ihrer Not geholfen werden kann. Dabei ist die Stärkung des Einzelnen sicher wichtig. Aber ebenso wichtig wäre es, dass Politiker auch auf den sozialen Aspekt mancher Selbsttötungen eingingen. Slogans wie Living is for everyone, mit dem der australische Aktionsplan zur Suizidprävention überschrieben ist, an den sich der Luxemburger Plan anlehnt, klingen schön. Sie bleiben aber leeres Gerede, wenn ein Einzelner ohnmächtig gesellschaftlichen Leistungsnormen, Zielvorstellungen oder Diskriminierungen gegenübersteht. Darüber, über die gesundheitlichen Folgen unserer Wirtschaftsweise, wird kaum gesprochen. Das ist das eigentliche Tabu.