Wer hätte gedacht, dass die fleißigsten Tweets über die Reisen des Luxemburger Außenministers von deutschen Sexdienstleistern stammen? Frauen_anzeigen, sex_thüringen oder sex_niedersachse twitterten am 18. April über Jean Asselborns Arbeitstreffen in Japan, das heißt, sie verschickten eine Kurzmitteilung per Twitter, die nun die ganze Welt, so sie sich denn dafür interessiert, im Internet nachlesen kann. Auch einen Link haben sie hinzugestellt. Wer darauf klickt, stößt nicht etwa auf schlüpfrige Fotos von knapp bekleideten Damen oder auf einen Minister in knackiger Fahrradmontur. Der Link führt auf die RTL-Nachrichtenseite, auf der Asselborn mit ernster Miene neben seinem Homolog, dem japanischen Außenminister Takeaki Matsumoto, zu sehen ist.
Sehr wohl sexuell gemeint sind dagegen die kuscheligen Ostergrüße, die ein gewisser Dave Heck, mit Künstlernamen snaked.lu, passend zur Jahreszeit verschickt hat: „Lo ass geschwenn ouschteren ech hun eer am leiwsten geheemelt an net gefierwt ;)“. Offenbar war dem jungen Mann aus Ettelbrück, der in der Freizeit gerne Biergläser bei der Freiwilligen Feuerwehr stemmt (www.snaked.lu/Snakeds_Site/divers.html#166), langweilig, oder er hatte sonst welche Nöte.
Nun dreht sich beileibe nicht alles, was auf Twitter aus Luxemburg kommt, um Sex. Genauer gesagt, geht es bei dem Kommunikationsnetzwerk, das wie ein öffentlich geführtes Tagebuch funktioniert – und dessen Beiträge teils von ähnlicher Qualität sind, eigentlich kaum darum. Es sei denn, Twittern wäre nur etwas für geschwätzige Fetischisten. Was so falsch vielleicht auch nicht ist, denn bei den eifrigsten Twitterern in Luxemburg handelt es sich vermutlich um IT-Begeisterte mit erhöhtem Mitteilungsdrang. Und trotzdem hinkt das Land, das sich rühmt, eine der größten Anhängerschaften von I-Phone und I-Pad zu haben, in dieser Domäne hinterher. Wer sich bei Twitter umtut, stellt fest: In Luxemburg ist die Plattform, außer in der Geschäftswelt, vor allem in einer überschaubaren Gemeinde meist jugendlicher Nutzer angesagt – sofern die Profilnotizen dies erkennen lassen.
Sie frönen einem gemeinsamen Hobby: via 140-Zeichen-SMS ihre Lust und ihren Frust in Echtzeit in alle Welt zu verbreiten. Optimistik_Moi etwa informierte alle, die es wissen wollten, am Karfreitag um 15.30 Uhr darüber, dass sie ein Nickerchen halten wird. Falls sie eine Sie ist, im Profil ist als Name Audrey G. DR angegeben, darunter steht etwas auf Portugiesisch. Der Übersetzungsdienst von Google macht daraus: Lusitana Herz und portista. Den Dienst können Interessierte, die unter www.search.twitter.com gezielt Tweets von, aus und über Luxemburg lesen wollen, gut gebrauchen, denn das Gros der Kurzmeldungen in Luxemburg wird nicht etwa auf Französisch oder Deutsch (Googles Suchmaschinen kennen kein Luxemburgisch), sondern offensichtlich auf Japanisch verfasst. Aber auch Luxemburger twittern, wenngleich nicht unbedingt in ihrer Landessprache. Ein HoffmannMich, Michel Hoffmann, meldete, ebenfalls am Karfreitag: „Anyone around Coyote @utopolis? join us – it’s like death over here – cocktails only half the price!“ Wenn das kein verlockendes Angebot ist.
Doch es gibt auch seriösere Tweets. Die Piratenpartei etwa nutzt den vor fünf Jahren von drei Kaliforniern ins Leben gerufenen Kommunika-tionsdienst zum Infoaustausch – und das ziemlich professionell. Da werden Links zur neuesten Pressemitteilung gesendet, Artikel veröffentlicht, Statistiken verschickt und Mitglieder geworben. Die Kollegen halten sich via Twitter über Parteikonferenzen im Ausland auf dem Laufenden – und wenn es mal keine gibt, dann wird eben das Finale im Luxemburger Basketball zwischen Etzella und Amicale per Live-Tweets übertragen. Wer den Luxemburger Piraten via Twitter folgt, konnte noch vor der offiziellen Ankündigung erfahren, dass sie Ende Mai eine Solidaritätsdemonstration zum vom US-Militär inhaftierten mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Bradley Manning planen. An die radelnden Gebrüder Schleck, andy_schleck (125 065) und schleckfränk (61 214), reicht sie zwar lange nicht heran, aber mit 614 Followers und 1 783 Tweets (Stand 27.02.2011) hat die Nischenpartei unter den hiesigen Parteien die Nase vorn: noch vor der CSV mit 110 Lesern und den Grünen (108). Die LSAP twitterte zuletzt vor genau einem Jahr von ihrem Tripartite-Landeskongress in Moutfort. So gut wie gar gar nicht bei Twitter vertreten sind die Kommunisten und die DP.
Dabei eignet sich der Dienst genau dafür: Leser blitzschnell per öffentlicher SMS über persönliche und/oder Partei-Aktivitäten oder Meinungen zu informieren. Oder die aktuellsten News, den Lieblingswitz oder den markantesten Politikerausspruch pushen, in dem man sie per Re-Tweet an die eigene Fangemeinde weiterleitet. Mit einem so genannten Hashtag, einer Markierung per Rautensymbol #, werden diskussionswürdige Themen gekennzeichnet. So lassen sich gezielt Tweets zu bestimmten Stichwörtern finden, ohne dass man lange suchen muss.
Erstaunlich nur, dass ausgerechnet die Medien von Twitter noch vergleichsweise wenig Gebrauch machen. Zwar stellen Luxemburger Zeitungen wie das Tageblatt oder das Luxemburger Wort ihre Nachrichten ins Netz. Auch Sportnachrichten können unter letzebuergSport abgerufen werden. Ansonsten sind Luxemburgs Journalisten aber recht maulfaul, wenn es um Twitter geht, diese Zeitung eingeschlossen.
Einige unter ihnen haben zwar ein Konto angemeldet, aber wohl eher um mitzulesen, denn um mitzureden. Selber twittern tun gerade einmal drei, die Autorin dieses Artikel eingeschlossen. Während Facebook zu einer mehr oder weniger festen Größe herangewachsen ist, in dem jeder, der etwas auf sich hält, eifrig Freunde sammelt, scheint Twitter in Luxemburg das Stiefkind unter den sozialen Netzwerken zu sein.
Das gilt, zum Glück, auch für die Politiker und Ministerien. Sonst stünde den Luxemburger Medienvertretern vielleicht dieselbe Überraschung bevor, die ihre deutschen Kollegen erleben mussten. Regierungssprecher und Ex-ZDF-Journalist Stefan Seibert hatte kurzerhand via Twitter gemeldet, die Bundeskanzlerin würde im Juni auf Pressereise gehen. Die Empörung unter den Hauptstadtjournalisten, an Fax und an Email gewöhnt, war groß. Die Häme und Schadenfreude in der Bloggerszene ebenso. Denn während in anderen Ländern Revolutionen über Twitter und Facebook organisiert werden, hält sich die Mehrheit der deutschen Journalisten noch immer fein aus sozialen Netzwerken heraus. Dabei hatte doch ein gewisser Barack Obama vorgemacht, was für eine wichtige Rolle diese inzwischen in der öffentlichen Mobilmachung spielen.
In Luxemburg können Journalisten in ihrem Schonraum verharren. Noch. Der Informationsdienst der Regierung ist auf Twitter nicht vertreten (einzelne Beamte aus Staats- und Unterrichtsministerium jedoch sehr wohl). Die Begeisterung des einzigen twitternden Politikers, des liberalen Abgeordneten und Facebook-Fans Xavier Bettel, hält sich ebenfalls in Grenzen. Sein letzter Eintrag stammt vom 23. März: „Midd an gleich an d’Bett.“ Sogar ein gewisser JCJuncker ist beim globalen SMS-Dienst vertreten. Getweetet hat er aber noch nichts. Trotzdem haben sich zehn Personen bereits als Follower eingetragen. Man kann ja nie wissen.