Der Imaginationsraum eines Kindes kann ein Refugium sein, auch und besonders für den zehnjährigen Johannes Betzler (Roman Griffin Davis), der zur Zeit des Niedergangs des Dritten Reiches aufwächst. Dieser Johannes, dem man hämischerweise den Spitznamen „Jojo Rabbit“ zugewiesen hat, hat die NS-Propaganda völlig verinnerlicht. Um den Faschismus um sich herum besser zu begreifen, hat er sich sogar den Führer Adolf Hitler (Taika Waititi) höchst selbst zum imaginären Freund erwählt. Auch nach seinem Unfall im Rahmen der HJ-Ausbildung, die ihn nicht nur entstellt, sondern auch kriegsuntauglich macht, hält er an seiner parteitreuen Einstellung fest. Als er aber erfahren muss, dass seine alleinerziehende Mutter (Scarlett Johannson) das jüdische Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) zu Hause versteckt, wird Johannes’ antisemitische Weltsicht auf die Probe gestellt...
Der Regisseur Taika Waititi zeigt in Jojo Rabbit eine skurrile Mischung aus Coming-of-Age-Drama und spritziger Satire in einem überzeichneten, märchenhaften und ganz knallig-farbigem Nazideutschland, das so nie existiert hat. Und darin liegt die Besonderheit dieses Films, die nicht zuletzt die Filmwelten eines Wes Anderson ins Bewusstsein ruft: Jojo Rabbit präsentiert die brutale, militante Härte des Nazi-Regimes durch die Augen eines heranwachsenden Jungen und kann dahingehend aus allerlei komödiantischen Motiven schöpfen, die so für satirische Unterhaltung sorgen.
Weil der junge Johannes den Antisemitismus um sich herum und entsprechend auch die HJ-Ausbildung nicht vollends begreifen kann, nimmt er diese Gesellschaft in erster Linie als einen wilden, bunten Spielplatz voller Nazi-Klamauk wahr und auf dieser Spielwiese gesellt sich dann auch der vergnügt hüpfende Adolf hinzu. Dass man über Adolf Hitler lachen darf und soll, das war nicht nur Charlie Chaplins Absicht in The Great Dictator (1940), auch dem amerikanischen Office of War Information (OWI) war dieser Umstand klar; es unterstützte den Kinder-Cartoon Der Fuehrer’s Face und viele weitere Propaganda-Filme – und so mancher Gag scheint direkt daraus übernommen zu sein. Taika Waititis Hitler erinnert freilich an Chaplins Diktator Hynkel: Er tanzt, singt und wirkt in seiner exaltierten Großgestik wie ein alberner Clown. Überhaupt scheint sein Nazi-Regime wie ein mit überdrehtem Pathos aufgeladener Zirkus, der spätestens mit den zwanghaft-mechanischen Wiederholungen des Hitlergrußes vollends ins Absurde übergeht. Da sich das Ganze aus der Perspektive eines Kindes abspielt, hat das konzeptuellen Charakter, allerdings wirken die Auftritte der HJ-Ausbilderin Fräulein Rahm (Rebel Wilson) in deren Überzeichnung derart forciert, dass der Eindruck entsteht, man wolle hier unbedingt für sichere Lacher sorgen. Das Ganze basiert eher lose auf Christine Leunens Roman Caging Skies aus dem Jahr 2004. Der Film ging bei der Oscar-Verleihung vergangene Woche mit sechs Nominierungen ins Rennen und konnte sich die Trophäe für das beste adaptierte Drehbuch sichern.
Unter dieser Oberfläche des knallbunt karikierten Totalitarismus will Taika Waititi aber auch eine herzerwärmende Geschichte von Humanität erzählen. Es ist nämlich nicht nur die Mutterfigur, dargestellt von einer ganz liebenswerten Scarlett Johansson, sondern auch die Figur der sechzehnjährigen Jüdin Elsa, die als Funktionsträgerin zuvorderst dazu dient, den Initiationsritus des Helden in Gang zu setzen. Johannes begegnet Elsa zuerst mit Argwohn, sie spielt sein Spiel erst mit, um ihn dann allmählich zum Umdenken zu bewegen. Waititi möchte von deren Beziehung, der gegenseitigen Annäherung erzählen, die gleichsam als große Versöhnungsgeste zwischen Deutschen und Juden stehen soll – gerade so als ob die faschistische Indoktrination mit dem nahenden Happy-End überwunden und nahezu vergessen wäre. Und da wird die Kinderperspektive mitunter äußerst problematisch: Sie neigt dazu, die historische Wahrheit zu verfälschen, den Holocaust eben auch als infantilen Nazi-Klamauk zu verharmlosen. Nichtsdestotrotz kann Hauptdarsteller Roman Griffin Davis, nicht zuletzt dank treffender Schauspielführung, auf ganzer Linie überzeugen. Er spielt das von ultra-parteitreuem, Spitzbuben-Arier bis zum reiferen, selbstständig denkenden Menschen mit dem Schalk im Blick und beweist dabei ein komödiantisches Gespür für Timing und Präzision – eine Entdeckung.