Geschichten von scheiternden Stars, von gebrochenen Künstlern, kaputten Menschen scheinen derzeit eine Hochphase im Hollywood-Kino zu erleben. Judy erzählt von der amerikanischen Schauspielerin und Sängerin Judy Garland (Renée Zellweger). Mit The Wizard of Oz, unter der Regie von Victor Fleming, wurde Garland bereits 1939 im Alter von sechzehn Jahren weltberühmt. Ihre einzigartige Stärke: die Stimme. Das Lied Somewhere over the Rainbow erlangte Kultstatus. Aber ebendieser Ort hinter dem Regenbogen, dieses zauberhafte Märchenland, in dem Träume wahr werden, wird der aufstrebende Star nie erreichen, ja, er entpuppt sich für diese Judy Garland schnell als Illusion. Regisseur Rupert Goold fokussiert in seinem Biopic die späten Sechzigerjahre, in denen Garlands definitives Karriere-Aus eigentlich schon vollzogen war. In Großbritannien hat sie allerdings noch ein Publikum; so soll Garland ein mehrwöchiges Engagement im Londoner Nachtclub Talk of the Town annehmen, während sie ihre beiden Kinder Lorna und Joey bei ihrem Ex-Ehemann Sid Luft (Rufus Sewell) zurücklässt ...
Dass die klassische Hollywoodstudio-Ära zumindest von innen betrachtet alles andere als die einer Traumfabrik war, das will Rupert Goold zeigen und vielleicht greifen auch hier die Zeichen der Zeit: Es ist der böse Studioboss Louis B. Mayer, ein dominanter, mächtiger Mann, der sich vor der jungen Judy aufbäumt und ihr großen Ruhm voraussagt. Aber sie ist dafür über einen äußerst strengen Vertrag an das Studio gebunden, bekommt Pillen zur Beruhigung verabreicht, die man als harmlos einstuft. Kurz: Der Weg zum Ruhm wird mit einer verlorenen Jugend bezahlt. Und auch Jahre später lebt Judy mit den Konsequenzen des frühen Erfolgs und versucht sich mühsam gegen den Druck ihres Managements durchzusetzen.
Judy erzählt in all seinen Widersprüchen so unmittelbar wie eindringlich von den Mechanismen der Unterhaltungsindustrie, die den Menschen als Ware, als Konsumgut, ausstellen. Die äußeren Ursachen für diese Opferrolle bleiben jedoch allenfalls zitathaft: Judy Garland ist hier ausdrücklich als Opfer des frühen Ruhms, von Studiointeressen und ihrer Sucht porträtiert. Das bleibt alles recht einseitig und angedeutet und reduziert Judy als filmische Biografie auf stellenweise fast das Küchenpsychologische; die Darstellung der Komplexität des Menschen Judy Garland wird indes nicht erreicht. Seine Hauptdarstellerin allerdings kann derlei Mängel kompensieren. Renée Zellweger gilt als Oscar-Favoritin, und sie zeigt, dass eine selbstzweifelnde Frau eine Stärke und eine Unbeugsamkeit ausstrahlen kann. Diese gebrochene amerikanische Frau leidet nämlich nicht nur an der eigenen emotionalen Instabilität, dem Misstrauen und der inneren Verzweiflung, sie leidet nicht zuletzt unter der Außen- und Fremdbestimmung, gegen die sie sich zur Wehr setzt. Und auch hier müssen, wie für das Biopic typisch, einmal mehr die inneren Dämonen erst äußere Gestalt annehmen, damit man sie konfrontieren kann, um auf Selbstbestimmung hoffen zu dürfen. Und in alldem hat Judy die eigene Selbsttäuschung noch nicht überwunden. Renée Zellweger spielt das entsprechend mit einer kindlichen Naivität, die Judy auch im höheren Alter nicht ganz abgelegt hat; irgendwie scheint sie doch noch an dieses Märchenland zu glauben – das ist tragisch und wirkt sonderbar. Ähnlich wie Al Pacino in der titelgebenden Rolle in Danny Collins (2015) will Judy das gebrochene Künstler-Image zeigen: Diese Künstlerin lebt in einer Scheinwelt auf der Bühne, lebt dort ein zweites Leben. Nach dem Auftritt sitzt sie aber in ihrer Garderobe zusammengesackt, rauchend, in einer Menge von Blumensträußen und ist bei allem Prunk innerlich doch vollkommen leer. Etwas wert sein zu wollen, die Show als eine Art Lebenselixier: Ja, neben all den Drogen, Medikamenten und Schlaftabletten ist die eigentliche Sucht doch letztlich die Bestätigung auf der Bühne. Dass Judy dann, in einem letzten Moment des Ruhms, den Song Somewhere Over the Rainbow vorträgt, das ist ein abzusehendes Zugeständnis an das Mainstream-Kino, um dem Publikum dann doch noch positive Gefühle abzugewinnen in einer ansonsten schonungslosen und bewegenden filmischen Biographie. Marc Trappendreher