Kino

Pfiffige Gauner

d'Lëtzebuerger Land vom 24.01.2020

Wenn ein Thriller mit Iggy Pops The Passenger eröffnet wird, dann darf man sich auf eine rhythmische, temporeiche Geschichte einstellen und ja, in La Gomera geht es rasant zu. Der Film, der in Cannes um die Goldene Palme konkurrierte und den Abschluss des vergangenen CineEast-Festivals feierte, zeigt freilich eine ganz pfiffige Gruppe von kriminellen Menschen, die so ganz rastlos sind: Der verschlagene Zsolt (Sabin Tambrea) wäscht über seine Matratzenfabrik Gelder für die Drogenmafia, sitzt allerdings nun eine Haftstrafe ab. Er allein weiß um den Verbleib von 30 Millionen Euro, und deshalb soll er aus dem Gefängnis befreit werden. Seine attraktive und verführerische Freundin Gilda (Catrinel Marlon) wirbt dafür den korrupten Polizisten Cristi (Vlad Ivanov) an und überrascht ihn mit einem sonderbaren Auftrag: Er soll auf der Kanareninsel La Gomera die (real existierende) Pfeifsprache El Silbo erlernen und sie als Sprachcode nutzen, um die Befreiung zu koordinieren. Die Drogenmafia überwacht jeden seiner Schritte, aber auch seine Kollegin Magda (Rodica Lazar) ist an dem Fall dran.

Wer bei dem semantischen Netz von Kriminalität – korrupter Polizist, verführerische Frau, die sogar den Namen Gilda trägt – nicht sofort an den Film noir denkt, der kennt diese filmhistorische Strömung wohl nicht. Verspielt reichert der rumänische Regisseur Corneliu Porumboiu seine Thriller-Geschichte mit den typischen Merkmalen des Film noir an und spart dabei auch nicht an filmgeschichtlichen Verweisen: Von Vertigo über die exotischen Schauplätze, die so prominent die James-Bond-Reihe bebildern, bis hin zu The Searchers verdichtet er La Gomera zur Reverenz an die Filmgeschichte und mitunter zur Parodie auf das Genre. Auch der wendungsreichste Krimi basiert zuvorderst und besonders auf einem Kommunikationsspiel: Wer weiß was wann von wem? Hier wird der Kommunikationsakt freilich reflexiv-ironisch unterlaufen. Da nämlich jeder Anhänger dieser kriminellen Bande die allzu albern wirkende Pfeifsprache bitterernst nimmt, oszillieren die Gauner ins Bizarr-Komische. Der Film blickt mit schwarzem Humor auf eine kriminelle Gemeinschaft, in der die Gier nach immer mehr Luxuriosität – die vielen erstklassigen Wagen, die der Film stilvoll in Szene setzt, sind dahingehend vielsagend – die einzige Antriebsquelle ist. Das Gut-Böse-Schema, bei dieser Gangsterbande ohnehin fragwürdig, scheint sich im Laufe der wendungsreichen Handlung vollends zu verflüchtigen. Dass sich Gilda und Cristi bei der Befreiungsaktion auch persönlich näher kommen, gehört zu den Standards des Genres, schließlich muss ja der Erfolg eines noch so perfekt geplanten Coups durch die Liebe gestört werden. In La Gomera aber haben die Menschen längst die Fähigkeit verloren, ihre Gefühle und ihre Handlungen zu reflektieren und verbalsprachlich zu äußern, ja drohen sogar, in diesem undurchsichtigen Verwirrspiel, dem Vorspiegeln von Identitäten, vollends unterzugehen. Das Darstellerpaar Vlad Ivanov und Catrinel Marlon spielt das zwielichtig, sodass man nie genau weiß, wo man bei wem dran ist und von wem das verführerische Spiel nun ausgeht. Und was La Gomera die besondere Spannung verleiht, ist der Umstand, dass in der Welt des tiefsitzenden Misstrauens die einzige Möglichkeit der Rettung darin besteht, zueinander Vertrauen zu fassen. La Gomera steht deshalb auch nicht in der Reihe der besonders Action-betonten Varianten des Genres, ja er pfeift regelrecht auf diese.

Obwohl Regisseur Corneliu Porumboiu seine Erzählabschnitte mit neonfarbenen Tafeln markiert, verlangt er dem Zuschauer einiges an Konzentration ab, um dieser achronologischen Erzählung in all ihrer Noir-typischen Unübersichtlichkeit zu folgen. Doch dass die vielen Wendungen und Verschachtelungen eine erhöhte Konzentration beanspruchen, ist intellektuell nicht so befriedigend wie in Porumboius früherem Werk. Ein Film wie 12:08 East of Bucharest (2006), eine kammerspielartige Komödie, die sich durch sensible Beobachtungsgabe auszeichnet und auf unterhaltsame Weise die Aufarbeitung der Vergangenheit thematisiert, war tiefgründiger. La Gomera ist vielmehr ein cleverer, stilisierter Neo-Noir, in dem die thematische Handschrift von Porumboiu nachlässt.

Marc Trappendreher
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