Dunkle Seitengassen, eine leere Bank und eine verlassene Terrasse. Dann ein vorbeiziehender Vogelschwarm und zwei Mädchen beim Versteckspielen: Es liegt etwas Mysteriöses und bedrückend Schicksalhaftes in diesen Bildern, mit denen Filippo
Meneghetti in seine filmische Welt einführt. Mit Deux, seinem bemerkenswerten Debütfilm, der bei seiner Weltpremiere in der Kategorie Discovery des 44. Toronto Filmfestivals vorgestellt wurde, gestaltet der in Frankreich lebende italienische Filmemacher mit zarter Virtuosität die heimliche Liebesaffäre zweier Frauen im Ruhestand und bietet der Deutschen Barbara Sukowa und der Französin Martine Chevallier delikate Rollen an.
Nina (Barbara Sukowa) und Madeleine (Martine Chevallier) sind tief ineinander verliebt. In den Augen aller sind sie einfach Nachbarinnen, die im obersten Stockwerk ihres Appartementgebäudes wohnen. Täglich kommen und gehen sie zwischen ihren beiden Wohnungen ein und aus und teilen ihr Leben miteinander. Niemand kennt sie wirklich, nicht einmal Anne (Léa Drucker), Madeleines achtsame Tochter. Ein tragisches Ereignis wird dann alles auf den Kopf stellen...
Der melodramatische Liebesfilm zielte immer schon auf eine emotionale Eindringlichkeit, um das Publikum in einen bewegenden Gefühlsrausch zu versetzen. In Hollywood stand dafür in den Fünfzigerjahren geradezu paradigmatisch Douglas Sirk (All That Heaven Allows, 1955; Written on the Wind, 1956) – die Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe war indes undenkbar. Dennoch: Sirks Wirkungsmacht hat freilich bis heute nicht nachgelassen. Todd Haynes reihte sich mit Carol (2015) offenkundig in die Tradition des klassischen Hollywood-Melodrams ein und ließ Cate Blanchett und Rooney Mara ihre Liebe auf der Leinwand in rauschenden Bildern ausleben.
Ganz den Regeln des melodramatischen Stoffes entsprechend, kreist Deux um eine unglückliche Liebesgeschichte, die auch Identitätsgeschichte ist und das in den Vorstellungswelten einer konservativen, repressiven Gesellschaft. Wenn man bedenkt, wie schnell nun diese Erzählung von einer verbotenen Liebe mit allerlei Geheimnissen und Versteckspielen – die Anfangsszene ist bedeutend – Deux ins Sentimental-Melodramatische hätte umkippen können, so ist es bemerkenswert, dass Regisseur Filippo Meneghetti einen viel reduzierteren visuellen Stil wählt, der allerdings nicht minder eindrücklich ist. Es gibt nicht die wilden Gefühlsausbrüche und auch mit La vie d’Adèle von Abdellatif Kechiche, dem Palme d’Or-Gewinner von 2013, hat Deux wenig gemein. Viel eher setzt der Filmemacher auf die stillen Momente.
Um die räumliche und symbolische Logik der beiden einander gegenüberliegenden Wohnungen herum demonstriert Filippo Meneghetti unbestreitbare Qualität in seiner mise-en-scène; sie vermittelt eine elegante Diskretion in der Darstellung. Sehr zurückgenommen ist auch das Schauspiel beider Hauptdarstellerinnen. Sukowa und Chevallier verschreiben sich ganz den kleinen Gesten und intensiven Blicken, um diese gleichgeschlechtliche Liebe darzustellen.
Barbara Sukowa hat in Hannah Arendt bereits viel von ihrem schauspielerischen Potenzial unter Beweis gestellt; hier teilt sie auch noch in den stoischsten und entleertesten Blicken eine erhebliche Kraft mit. Sie ist die energischere der beiden Frauen und entgegen der gesellschaftlichen Vorurteile setzt sie sich kompromisslos für ihre Liebe ein. Martine Chevallier muss überwiegend eine stumme und nahezu geistesabwesende Frau mimen und die Schauspielerin, die 2019 zum Ehrenmitglied der Comédie-Française ernannt wurde, versteht es, eine Würde zu vermitteln, die nie aufdringlich wird.
Filippo Meneghetti erzählt mit viel Respekt eine, von der luxemburgischen Gesellschaft Tarantula mitproduzierten Geschichte von einer Amour fou, bei der vielleicht die Flucht nach vorn die einzige Lösung ist. Nicht alle Beziehungen und Intrigen dieses Plots werden am Ende wirklich aufgelöst. Die Frage, ob Liebe tatsächlich alle Grenzen überwinden kann, muss Meneghetti interessiert haben. Wer Geheimnisse hat, Lügen vor die Wahrheit schiebt und das über einen langen Zeitraum hinweg, der kann daran zugrunde gehen – nicht nur emotional, sondern auch körperlich. So schafft er mit Deux ein zwar komplexes Beziehungsgeflecht, das aber auf eine simple Botschaft hinausläuft: Wenn man zu zweit in Liebe verbunden ist, hat man alles, was man braucht.