Ein Politiker könne nicht viel mehr als „abwarten, bis man den Schritt Gottes durch die Ereignisse hallen hört; dann vorspringen und den Zipfel seines Mantels zu fassen – das ist Alles“, zitierte Arnold Oskar Meyer 1933 Bismarcks Glaube. Derzeit springen Kandidaten aller Parteien um die Wette, um nach dem Zipfel von Gottes Mantel zu schnappen. Das heißt nun Wahlkampf.
Seit einigen Wahlgängen hat sich der Wahlkampf drastisch verändert. Die Parteisoldaten werden seltener, die von Hand vervielfältigte Flugblätter verteilten und auf jede Kuh am Wegesrand ein Plakat klebten. Die Wahlversammlungen sind nur noch schlecht besucht
Zudem wollen die Zeitungen, ob Luxemburger Wort, Tageblatt oder Journal, aus kommerziellen Überlegungen heraus keine Parteiorgane mehr sein und nehmen sogar bezahlte Anzeigen nicht so nahestehender Parteien an. Trotzdem käme am 13. Oktober das Luxemburger Wort nicht im Traum auf die Idee, zur Wahl der LSAP, das Journal zur Wahl der CSV oder das Tageblatt zur Wahl der DP aufzurufen. Als Konstante ist die Angst geblieben, gegenüber Konkurrenzparteien benachteiligt zu werden, eine kleinere oder plötzlich gar keine Zeitung mehr hinter sich zu wissen, weniger Sendezeit im Radio und Fernsehen zu bekommen. Deshalb haben alle Parteien begonnen, Pressekonferenzen als berichtenswerte Scheinereignisse zu organisieren, wo sie scheibenweise ihre Wahlprogramme veröffentlichen.
Was auch geändert hat, ist die staatliche Bezuschussung der Parteien und ihres Wahlkampfs, die andererseits wieder durch Wahlkampfabkommen über die Zahl der Plakate und Werbegeschenke begrenz wird. Das Geld vom Staat führt zu einer Professionalisierung des Wahlkampfs, das heißt einem verstärkten Rückgriff auf Werbeagenturen. Dadurch kapituliert der Wahlkampf vor dem Marketing. Das erkennt man bereits an den Wahlkampfzeitungen. Jede Partei versucht, mindestens zwei Wahlkampfzeitungen zu veröffentlichen, weil sie im Rahmen der Wahlkampfförderung Anrecht auf die Portokosten von zwei Postwurfsendungen hat. Aber gleichzeitig werden die Wahlkampfzeitungen immer mehr zu bunten Werbeblättern mit großformatigen Fotos und einem Minimum an Text. Politische Ideen lassen sich aber nur durch Text vermitteln.
Dazu, dass der Wahlkampf zum Marketing wird, trägt auch eine liberale Politikwissenschaft bei, die Wahlen nicht als mehr oder weniger demokratischen Prozess beschreiben, um gesellschaftliche Interessen zu bündeln und zu verhandeln, sondern als einen Markt, wo Parteien „Politikangebote“ machen. Die Wähler sind so keine Staatsbürger, sondern Konsumenten, die sich auf dem Parteienmarkt für das bunteste (liberal) oder behaglichste Angebot (konservativ) entscheiden sollen. Marktforschungsfirmen dienen dazu mit Umfragen, die Politiken testen, ob sie bei den Wählern beziehungsweise Konsumenten ankommen.
Geändert hat auch die Zahl der Kanäle, durch die Wahlkampfpropaganda verbreitet werden kann. Nach den staatlich geregelten Radio- und Fernsehauftritten (siehe Seite 24 in dieser Ausgabe) erlaubt nun das Internet den Parteien, sich direkt und unabhängig vom Wohlwollen der befreundeten Presse an die Wähler zu richten. Deshalb unterhalten alle Parteien Web-Seiten, aber die sehen mittlerweile so aus, als richteten sie sich zuerst an die eigenen Mitglieder und Sympathisanten: Die Web-Seite der CSV ist eine bunte Aneinanderreihung von Kongressfotos und parlamentarischen Anfragen mit den Porträts ihrer Autoren. Die LSAP bietet Dossiers zu aktuellen Themen und ausreichend Kandidatenfotos. Terminkalender listen die Grillfeste der Lokalsektionen, seltener die Landeskongresse oder den Wahlsonntag auf.
An die weniger politisierte Öffentlichkeit richten sich die Parteien über die kommerziellen US-Kanäle: Die CSV berichtet auf Facebook ausführlich über Parteiveranstaltungen und zeigt ihre Prominenz beim Wahlkampf „um Terrain“. Dagegen scheint sie die Lust an Twitter zu verlieren, vielleicht auch um die Selbstdarstellung ihres Spitzenkandidaten Claude Wiseler nicht in den Schatten zu stellen. Denn die Botschaft der Parteien wird nicht dadurch klarer, dass manche Kandidaten sich auf eigenen Internet-Seiten abbilden, die mitteilungsbedürftigsten auch eigene Blogs füllen.
Die LSAP nutzt Twitter und Facebook vor allem, um auf die Anwesenheit der Parteiprominenz auf Volksbelustigungen und bei Interviews oder Podiumsdiskussionen in den Medien hinzuweisen. Dagegen verbreitet die DP über Twitter mehr Kommentare und verzichtet auf viele Fotos. Aber auch ihr Spitzenkandidat, Xavier Bettel, hat die Darstellung auf Twitter selbst übernommen. Auf Facebook zeigen die Liberalen vor allem die Auftritte ihrer Kandidaten im Wahlkampf.
Die Grünen berichten auf Twitter über Parteiveranstaltungen. Auf Facebook verbreiten sie Videos mit eigenen Talking heads, aber auch Fremdbeiträge mit Ratschlägen zum angemessenen Umweltschutz. Die ADR übernimmt auf Twitter ebenfalls Nachrichten aus der weiten Welt, meist um die Bedrohung des christlichen Abendlands vorzuführen. Auf Facebook weiß sie sich nicht der Trolls aus anderen Parteien zu erwehren, die die ehemalige Rentenpartei als rechtspopulistisch beschimpfen. Ähnlich ergeht es den von der ADR abgespaltenen Konservativen, deren Interessenten öfters bei einer parodistischen Seite von Richtung 22 landen, die den Nationalismus verhöhnt.
Die Linke verbreitet auf Facebook und Twitter Videos von Parteiveranstaltungen und Pressekonferenzen zu Schwerpunktthemen ihres Wahlprogramms. Die Piratenpartei ist wenig auf Twitter aktiv, auf Facebook reicht dafür die Berichterstattung vom Nationalfeiertag in Remich bis zum Petinger Gemeinderat. Die LSAP und die Grünen verbreiten auf Instagram Bilder glücklicher Menschen auf Parteiveranstaltungen und in der Natur sowie Schnappschüsse aus dem Leben ihrer Kandidaten. Die Linke hat auf Instagram einige traurige Videos ihrer Pressekonferenzen.
Die kommerziellen Internetkanäle wie Facebook, Twitter und Instagram tragen das Ihre dazu bei, Politik in die Formate und Ästhetik der Werbeindustrie zu zwängen und weiter ausholende Reflexionen zu unterbinden. Wenn sie so die Politik dazu zu bringen, nicht nach Gottes Mantel zu haschen, sondern der Wirtschaft freien Lauf zu lassen, ensprechen sich wieder einmal Form und Inhalt.