Luxemburg ist nicht Spanien, beruhigte der sozialistische Arbeitsminister Nicolas Schmit am Dienstagmorgen nach dem Treffen mit dem Comité permanent du travail et de l’emploi sinngemäß die Journalisten. Damit meinte er nicht etwa die Haushaltslage, sondern die Jugendarbeitslosigkeit. Mit 13,7 Prozent, das sind rund 2 100 Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren, ist Luxemburg von spanischen Verhältnissen, wo die Jugendarbeitslosigkeit mittlerweile fast 40 Prozent beträgt, weit entfernt.
Doch für diejenigen, die keine Arbeit finden, ist das allenfalls ein schwacher Trost. Wie zum Beispiel Noé, 22 Jahre alt, den das Land auf der hauptstädtischen Kinnekswiss mit Freunden antraf. Er sucht eine Lehrstelle als Elektriker, nachdem er vor fast zwei Jahren eine 11e Telekommunikation abgebrochen hatte. Noé ist frustriert: Betriebe würden zu hohe Qualifikationen verlangen für Jobs, die „jeder in zwei oder drei Wochen erlernen könnte“, so seine Analyse. Sein Kollege John, 17 Jahre alt, hat im vergangenen Jahr zwar die 11e abgeschlossen und danach in Frankreich mit behinderten Kindern gearbeitet, als Vorbereitung auf eine eventuelle Lehre als Aide socio-psychologique. So weit sollte es nicht kommen: Die Arbeit sei ihm „zu krass“ gewesen, so John. Nun müsse er sich erst einmal erholen und dann neu orientieren.
Zwei junge Menschen, die ein Schicksal teilen: Sie sind arbeitslos gemeldet, wissen nicht genau, wie es weitergehen soll, und zählen damit zur Zielgruppe des von Minister Schmit und Jugendministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) angekündigten Aktionsplans Jugendarbeitslosigkeit zählen. So rosig, wie der Vergleich mit Spanien vermuten lässt, ist die Situation nämlich dann doch nicht. Von denen 2 119 Jugendlichen, die arbeitslos gemeldet sind, sind immerhin 407 länger als ein Jahr ohne Arbeit. Junge Erwachsene von 22 Jahren sind mit 17,1 Prozent noch einmal stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Es gibt also politischen Handlungsbedarf.
Den gibt es auch, weil sich hierzulande ein Trend abzeichnet, der sich in anderen europäischen Ländern ebenfalls beobachten lässt: Immer mehr Jungen und Mädchen verlassen die Schule ganz ohne oder mit einem geringen Abschluss. Das Unterrichtsministerium veröffentlicht jedes Jahr eine Studie zum Décrochage scolaire. Und auch wenn sich die Quote der Schulabbrecher zuletzt bei neun Prozent eingependelt hat und damit unter der Brüsseler Benchmark von zehn Prozent liegt und die niedrigste seit über fünf Jahren ist, bleibt das Thema brandaktuell.
„Die Profile und Hintergründe der jungen Menschen, die zu uns kommen, sind ganz unterschiedlich“, betont Nobert Hanck vom Regionalbüro Luxemburg-Stadt der Action locale pour jeunes. Sein Team kümmert sich, neben dem Jugenddienst SNJ, dem Berufsinformationszentrum sowie der Adem, um jugendliche Schulabgänger, bietet Praktika an, berät sie. Inzwischen sind sie in ein Gebäude umgezogen: Ab April sind sämtliche Beratungsdienste für arbeitssuchende Jugendliche am Boulevard Grande-Duchesse Charlotte erreichbar.
„Ein Rezept, wie wir ihnen erfolgreich helfen können, gibt es nicht“, betont Hanck. Zu dem Erzieher kommen Jugendliche mit sehr unterschiedlichen Profilen, anderen telefonieren er und seine Kollegen hinterher, um sich nach ihren Verbleib zu erkundigen. Bei den meisten hakte es in der Schule, oft, aber beileibe nicht immer, sind es Jungen und Mädchen mit frankophonem Hintergrund. Sie sehen ihre letzte Chance, doch noch einen Abschluss zu machen, nicht selten in einem Schulbesuch im nahe gelegenen Ausland. In der Grenzregion gibt es Schulen, deren Schüler zu fast einem Drittel täglich aus Luxemburg angereist kommen.
Andere haben den Zeitpunkt verpasst, um sich auf einen Lehrplatz zu bewerben. Weil sie noch nicht arbeiten wollen, weil sie nicht motiviert sind oder sich nicht gut anzulegen wissen. Denn im Grunde ist die Lage am Lehrstellenmarkt trotz Krise überraschend gut: Vor allem das Handwerk meldet knapp 30 Prozent mehr besetzte Lehrstellen als im Vorjahr. Allerdings – oft handelt es sich dabei um Ausbildungsplätze für ein Diplôme d’Aptitude Professionnelle (DAP) – und dafür kommen Schulabbrecher meist nicht in Frage. Kate Schummer, Leiterin des Service pour jeunes demandeurs de l’emploi im Arbeitsamt: „Die meisten kommen aus unterschiedlichen Ecken. Ihre Probleme sind multifaktoriell.“ Eines aber haben viele doch gemeinsam: Die meisten hatten schon als Kinder oder Jugendliche Schwierigkeiten in der Schule, haben abgebrochen und finden jetzt keine Lehrstelle. Von allen arbeitslos gemeldeten Jugendlichen haben 43,7 Prozent lediglich ein „Niveau inférieur“, das entspricht in etwa der Grundschule. Zählt man jene mit praktischen Basisausbildungen (CCM und CITP, heute CCP) hinzu, sind es fast die Hälfte aller Jugendlichen. Junge Männer sind besonders betroffen, nämlich doppelt bis dreimal so häufig wie junge Frauen.
Ihnen bleibt oft nur der Gang zum Arbeitsamt, in der Hoffnung über eine der seit November 2009 im Rahmen des Krisen-Beschäftigungsplans eingeführten beruflichen Einführungsmaßnahmen den Sprung ins Berufsleben zu schaffen. Für die gering oder gar nicht Qualifizierten gibt es den Contrat d’appui-emploi (CAE) für die Qualifizierten unter ihnen den Contrat d’initiation à l’emploi (CIE). Es gibt Erfolgsmeldungen: „53 Prozent der Jugendlichen mit einem CIE finden eine Arbeit, 66 Prozent davon im gleichen Betrieb“, freut sich Kate Schummer. Beim CAE liegt die Quote mit 34 Prozent deutlich niedriger: Nur jedem dritten Jugendlichen gelingt es, über den CAE eine Anstellung zu finden. Während der einjährigen, vom Beschäftigungsfonds kofinanzierten Maßnahme wird der Jugendliche von einem Tutor begleitet, der ihm bei der Arbeitssuche hilft. Zudem sind Stunden vorgesehen, damit der Jugendliche tätigkeitsbezogene Fortbildungen besuchen sowie sich bewerben kann.
Andere Jugendliche ohne Arbeit melden sich beim Service volontaire d’orientation (SVO) des Jugenddienstes SNJ. Eine 2010 vom Deutschen Jugendinstitut in München und dem SNJ ausgeführte Studie zeigt bei aller Vielfalt Gemeinsamkeiten: Knapp 60 Prozent der Befragten haben einen Migrationshintergrund und gehören der zweiten Zuwanderergeneration an. Als Herkunftsland werden vor allem Italien, die Kapverden, Portugal und Länder von Ex-Jugoslawien genannt. Die Wege zum SVO verlaufen oft nicht gradlinieg: Während einige nach wenigen Monaten beim SNJ anklopfen, weil sie über den schulpsychologischen Dienst oder die Action locale pour jeunes davon gehört haben, liegt bei anderen die Schulzeit Jahre zurück – ein Hinweis darauf, wie problematisch ihre Suche nach der Schule verlaufen ist und wie holprig und voller Stolpersteine sich für sie der Eintritt in den Arbeitsmarkt erweist.
Genau hier soll die Garantie jeunes ansetzen, die Arbeitsminister Nicolas Schmit am Dienstag ebenfalls der Presse vorstellte: Jugendliche sollen künftig, verspricht er, spätestens vier Monate nach ihrer Einschreibung beim Arbeitsamt ein Angebot erhalten. Wer über eine abgeschlossene Ausbildung verfügt oder sonst einen fitten Eindruck macht, soll direkt Stellenangebote erhalten. Andere bekommen eine Grundausbildung, um die nötigen sozialen Kompetenzen aufzubauen.
„Das sind vor allem Pünktlichkeit, Disziplin, aber auch Beharrungsvermögen und Tipps zur besseren Selbstpräsentation“, so Schummer von der Adem. Dass mangelnde Sozialkompetenz ein ernstzunehmendes Problem ist, zeigt nicht nur die Tatsache, dass ein Teil der Jugendlichen die Berufseinglie-derungsmaßnahmen vorzeitig abbricht. Auch im Lehrstellenbereich häufen sich die Konfliktfälle. Dan Schroeder, Ausbildungsleiter bei der Handwerkskammer, der die Arbeit der Schlichtungskommissionen gut kennt, hat beobachtet: „Wir diskutieren immer weniger Ausbildungsaspekte und dafür mehr fehlendes sozial angemessenes Verhalten“. Auch im Comité permanent war das zuletzt Thema: „Wir können den Betrieben nicht zumuten, neben der beruflichen Ausbildung die Jugendlichen auch noch sozial aufzufangen“, betont Paul Krier. Gewerkschaften, Berufskammern, Adem und das Ministerium verständigten sich darauf, dass vor allem die Adem, aber auch externe Anbieter, verstärkt Kurse zur Sozialkompetenz anbieten. Auch die Rolle der Gemeinden bei der Eingliederung von niedrig qualifizierten Jugendlichen wurde thematisiert.
Schmackhaft gemacht werden soll den Jugendlichen die neue Grundausbildung durch ein Taschengeld, das allerdings unterhalb dem Gehalt eines Lehrlings liegen wird. Damit die verbesserte Betreuung klappt, soll zudem das Personal im zuständigen Service verdoppelt werden: von sechs Mitarbeitern auf zwölf, verspricht der Arbeitsminister. Bei rund 2 100 gemeldeten jungen Arbeitslosen sicherlich keine schlechte Idee.
Die tiefer liegenden Ursachen wird der Aktionsplan, der nach den Osterferien vorliegen soll, aber kaum lösen können: schwierige familiäre Verhältnisse, in denen beide Eltern oder ein Elternteil berufstätig sind, und keine Zeit oder nicht den nötigen Bildungshintergrund haben, um sich für den schulischen Erfolg ihres Sohnes oder ihrer Tochter stark zu machen; ein Arbeitsmarkt, der verstärkt auf höher qualifizierte Fachkräfte setzt; sowie ein Schulsystem, dem es aufgrund überzogener Sprachanforderungen immer seltener gelingt, besonders Kindern mit Migrationshintergrund eine hochwertige Ausbildung zukommen zu lassen.
Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) weiß um das Pulverfass. „Die Schülerpopulation ist im Gange, sich dramatisch zu ändern“, unterstrich sie in einem Hintergrundgespräch am Dienstag vor Journalisten deshalb noch einmal die Notwendigkeit einer Reform. Und: Eine Arbeit zu finden, sei „immer noch die größte Sorge der Leute“. Zumindest da dürfte der Ministerin kaum jemand widersprechen. Auch die arbeitslosen Schulabbrecher Noé und John nicht.