„Es ist wichtig, darauf zu bestehen, dass alle Kredite ab dem ersten Euro gerechtfertigt werden müssen“, schreibt Finanzminister Luc Frieden in Fettdruck in seiner Circulaire aux départements ministériels, mit der er in diesen Tagen alle Verwaltungen, öffentlichen Einrichtungen, Gemeinden und die Sozialversicherung auffordert, bis zum 6. Mai ihre Vorschläge zur Vorbereitung des Staatshaushalt für 2012 einzureichen. Der nächste Staatshaushalt wird erstmals im Rahmen eines Europäischen Semesters vorbereitet, damit die Europäische Kommission und der Europäische Rat die ökonomische Orthodoxie begutachten können, bevor das nationale Parlament ihn am Jahresende zum Gesetz macht.
Um die Befürchtung zu zerstreuen, dass die Kammer dadurch ihres wichtigsten Vorrechts beraubt würde, sollte sie vor drei Wochen in der um einen Monat vorverlegten Debatte über die Erklärung zur Lage der Nation die „großen Orientierungen der Wirtschafts- und Haushaltspolitik“ diskutieren. Doch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist der Versuch gescheitert. Denn Premier Jean-Claude Juncker redete zwar von den Staatsfinanzen im vergangenen Jahr und von den Staatsfinanzen am Ende der Legislaturperiode, nicht aber vom Staatshaushalt für 2012. Auch die Parlamentarier schienen nicht weiter an der Vorbereitung des nächsten Budgets interessiert und beschränkten sich auf allgemeine Betrachtungen zur Haushaltspolitik. Dabei hätte ihre geneigte Wählerschaft zumindest erfahren wollen, ob die Krisensteuer nächstes Jahr wieder abgeschafft wird.
So bleibt es dann erst einmal wieder dem christlich-sozialen Finanzminister überlassen zu entscheiden, welche Staatausgaben steigen, zurückgehen oder stagnieren sollen – von den Einnahmen gar nicht zu reden. In seiner Circulaire budgétaire weist er Verwaltungen, Gemeinden und Sozialversicherung an, die Investitionshilfen zu kürzen und bei den Bestriebskosten dafür zu sorgen, „dass der Gesamtbetrag dieser Ausgaben zwischen 2011 und 2012 auf das 2011 erreichte Niveau begrenzt werden kann“. Bei einer für 2012 erwarteten Inflationsrate von 1,8 bis 2,4 Prozent käme eine nominale Stagnation der Betriebskosten einer Realsenkung um etwa zwei Prozent gleich. Das soll ein neuer Anlauf zum Sparen sein, nachdem die für den Staatshaushalt des laufenden Jahres angekündigte Wende von der Konjunkturförderung zur Defizitreduzierung ziemlich widersprüchlich ausgefallen war: Die Betriebskosten für 2011 waren eher symbolisch um 34 Millionen Euro gekürzt worden, die laufenden Ausgaben steigen um beeindruckende 13,7 Prozent und ein wichtiger Teil der vor einem Jahr der Tripartite angekündigten Steuererhöhungen und Transferkürzungen war bis zum Jahresende wieder abgesagt worden.
Dies mag überraschen, da laut den Berechnungen, die das vor allem die Steuereinnahmen schätzende Comité de prévision des finances publiques vor einem Monat dem parlamentarischen Haushalts- und Finanzausschuss vorlegte, 2012 ein deutlicher Anstieg des Gesamtdefizits von Staat, Gemeinden und Sozialversicherung zu erwarten ist. Der Minister macht in seinem Rundschreiben vor allem die Tatsache, dass die Steuereinnahmen langsamer als das Bruttoinlandsprodukt wachsen, für die Schieflage der Staatsfinanzen verantwortlich. Und so bleibt die Regierung dabei, ihr Ziel fast ausgeglichener öffentlicher Finanzen bis zum Ende der Legislaturperiode auch 2012 vor allem mit viel Vertrauen in ein hohes Wirtschaftswachstum anzustreben. Das muss weder unrealistisch noch verwerflich sein. Vorausgesetzt, die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank und die Schuldenkrise in der Euro-Zone und den USA machen den Aufschwung nicht kaputt.