Richtig gut meinte das Schicksal es am Mittwoch nicht mit CSV-Finanzminister Gilles Roth: Kaum hatte er seine Budgetsried in der Abgeordnetenkammer gehalten und den Auftritt sichtlich genossen, war im Internet die Schlagzeile zu lesen, Mamer, wo er bis Mitte November Bürgermeister war, sei die „am höchsten verschuldete Gemeinde“.
In Wirklichkeit sind die Verhältnisse komplexer, muss die Kreditaufnahme einer Gemeinde an ihrer Finanzlage insgesamt gemessen werden. Darauf wies CSV-Innenminister Léon Gloden hin, als er in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von ADR-Fraktionschef Fred Keup den Schuldenstand aller Gemeinden Ende 2023 auflistete. Um diese Feinheit aber kümmerten sich die Online-Redaktionen von rtl.lu bis wort.lu erst in zweiter Linie. Die Kommentatoren auf rtl.lu reagierten auf die News prompt mit Einträgen wie: „Ween war do lang Zäit Buergermeeschter? Wat mecht den haut?“
Vermutlich aber ist die Halbwertszeit der Mamer Schulden-Meldung kürzer als die Nachrichten um den Haushaltsentwurf fürs laufende Jahr es sein werden. Der ist zwar nur die Ergänzung zum Übergangsbudget bis Ende April mit monatlichen Zwölfteln, das die vorige Regierung aufgestellt hatte. Doch wie er haushaltstechnisch und politisch gemeint ist, wird einigen Gesprächsstoff liefern bis zur Verabschiedung in nur sieben Wochen. Gilles Roth hielt eine taktische Rede. Sprach innerhalb von zwei Minuten fünf Mal von „neuem Schwung“, „Aufschwung“ und „Aufbruch“. Man konnte meinen, er widersprach sich selber, denn vor zwei Wochen nahm er gegenüber RTL noch den Begriff „Sparmaßnahmen“ in den Mund. Das ist gefährlich nach den Wahlkampfversprechen der CSV auf Steuerleichterungen. So kurz vor den Europawahlen muss man ja kein Eigentor schießen.
Doch was heißt sparen? Mitte Oktober war die Generalinspektion der Finanzen (IGF) in einer Note an formateur Luc Frieden noch von einem Defizit von 3,6 Milliarden Euro im Zentralstaat für 2024 ausgegangen. Die von der Tripartite 2022 und 2023 beschlossenen drei „Solidaritätspakete“ allein würden dieses Jahr 1,3 Milliarden kosten. In Gilles Roths Haushaltsentwurf ist das Defizit auf 1,9 Milliarden geschrumpft. Neue Statec-Prognosen vom Januar erlauben das; als Ergänzungshaushalt ist Roths Entwurf näher am makroökonomischen Geschehen als ein Text, der im Oktober deponiert wird. Und wie der Finanzminister am Mittwoch sagte, spielt „die Entwicklung der Einnahmen uns in die Hand“. Die „gute Entwicklung am Jahresende 2023 wird sich auch 2024 bemerkbar machen“. Ende 2023 lagen die Einnahmen aus direkten und indirekten Steuern bei 21,6 Milliarden Euro, wie der Minister dem parlamentarischen Finanzausschuss am 23. Januar berichten konnte, sieben Prozent höher als 2022. Die Einnahmen aus der Einkommensteuer auf Löhne und Gehälter seien „spektakulär“ gewachsen und betrügen sechs Milliarden Euro, vor allem wegen der Indextranchen und dem Anfang 2023 in Kraft getretenen neuen Gehältervertrag für den öffentlichen Dienst. Diese Sicht auf die Finanzen folgt den nationalen Regeln zum Aufstellen des Haushalts.
Ebenfalls den nationalen Regeln nach rechnet Gilles Roths Entwurf für dieses Jahr mit 10,8 Prozent mehr Einnahmen (23,8 Milliarden Euro). Die aus der Steuer auf Löhne und Gehälter würden trotz der teilweisen Inflationsbereinigung der Steuertabelle um 7,7 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro zunehmen. Bei Zugrundelegung der EU-Haushaltsregeln, die eine Kreditaufnahme von 2,5 Milliarden einschließen (1,25 Milliarden wurden vor zwei Wochen aufgenommen), lägen die Einnahmen bei 27,5 Milliarden Euro. Macht bei Ausgaben von 29,4 Milliarden Euro laut EU-Regeln 1,9 Milliarden Defizit im Zentralstaat.
Weil dahinter Entwicklungen stattfinden, die jedenfalls im Moment gut aussehen, kann Gilles Roth statt von „Sparmaßnahmen“ nur von „Anstrengungen“ sprechen. Nicht von Anstrengungen der Bürgerinnen und Steuerzahler oder der Betriebe, sondern beim Staat: Alle Ministerien hätten „Anstrengungen“ zur Senkung der „Funktionskosten“ unternommen. Einzelheiten nannte er nicht. Das Finanzministerium erklärte dem Land auf die Nachfrage, welche Funktionskosten wie stark sinken sollen: „Alle Ministerien haben Anstrengungen unternommen.“ Demnach muss es viele geben, um eine Wirkung zu entfalten, doch sich auch nur vorzustellen, ist nicht leicht. In der Maison du Grand-Duc zum Beispiel sollen die „frais d’exploitation et frais administratifs; dépenses diverses“ von den 575 810 Euro, die im Haushalt 2023 standen, auf 566 000 Euro sinken – vielleicht, letzten Endes ist das ein crédit non-limitatif. Für das Außenministerium stehen 684 500 Euro als allgemeine Betriebskosten in Gilles Roths Entwurf. 2023 waren es 527 871 Euro. Wäre der Zuwachs ohne einen effort höher gewesen? Schon möglich.
Sicherer scheint, dass die Ausgaben des Zentralstaats dadurch gedämpft werden, dass der Staatsapparat Probleme bei der Rekrutierung von Personal hat: 6 555 Posten seien in den Jahren 2020 bis 2023 neu geschaffen worden, bilanzierte Gilles Roth am Mittwoch. Rund 1 800 aber waren Ende 2023 noch immer vakant. „Et wäert schwiereg sinn, de Staatsapparat am Rhythmus vun de vergaangene Joere wuessen ze loossen.“ Auch deshalb „setze mir verstäerkt op Digitaliséierung fir ee méi performante Staat“.
Weil der Haushaltsentwurf 2025 schon in sieben Monaten im Parlament deponiert werden muss, eignet das Ergänzungsbudget für das laufende Jahr sich gut als Einstimmung zu einer politischen Erzählung. Die der CSV-DP-Regierung soll optimistisch sein, nicht vom Bettelverbot handeln, sondern von „neuem Schwung“. Eine schöne Vokabel ist auch der „positive Schereneffekt“, den der Finanzminister am Mittwoch in den Sprachgebrauch einführte und der ab dem Haushaltsjahr 2025 „angesteuert“ werden soll: Die Einnahmen sollen dann schneller wachsen als die Ausgaben.
Das Schöne am positiven Schereneffekt ist, dass er anscheinend ebenfalls ohne große Einsparungen zu haben sein soll. Wirken soll vermutlich, dass die Krisenmaßnahmen allmählich auslaufen und der zurzeit noch „negative Schereneffekt“, wie Roth ihn nannte, bereits dieses Jahr fast vier Mal kleiner sein soll als 2023. Was der erste Haushaltsentwurf der CSV-DP-Regierung „prioritäre“ Ausgaben nennt, weicht kaum von den Prioritäten der Vorgängerin ab: Investitionen von 4,3 Milliarden Euro in Verkehrswege über die nächsten vier Jahre. 2,47 Milliarden zur Umsetzung des Energie- und Klimaplans dieses Jahr, 2,68 Milliarden 2025. 320 Millionen für die Digitalisierung beim Staat. 78 Millionen für Wohnungs-Kaufbeihilfen 2024, 105 Millionen 2025. Zu den aktuell 110 Millionen Euro für den Aufkauf von Vefa-Wohnungsbauvorhaben sollen weitere 480 Millionen im Laufe der nächsten Jahre kommen. In den subventionierten Wohnungsbau sollen dieses Jahr 431 Millionen Euro fließen und die Ausgabe bis 2027 auf 600 Millionen steigen. Wie seine DP-Vorgängerin Yuriko Backes im Oktober 2022 veranschlagt auch Gilles Roth die „Sozialtransfers“ auf 47 Prozent der Staatsausgaben – vom Fiskalanteil an der Sozialversicherung über Kindergeld, Revis bis hin zum Beschäftigungsfonds. 696 Millionen sind für dieses Jahr für die Verteidigung eingeplant, ein Zehntel als Militärhilfe an die Ukraine. Der effort de défense nähme damit von 0,77 Prozent auf 0,83 Prozent des BIP zu. Vielleicht ist die einzige originäre Priorität der CSV-DP-Regierung die Neutralisierung „zusätzlicher Indextranchen“ in der Steuertabelle, eine „Entlastung“ von Steuerpflichtigen in der Steuerklasse 1a und die Senkung der Betriebsbesteuerung um einen Prozentpunkt als einen „ersten Schritt“ – Gilles Roth kündigte all das für das Haushaltsjahr 2025 an.
Nach einem Spuerpak sieht das natürlich nicht aus. Die CSV-DP-Regierung möchte das „Triple A“ bewahren. Doch das Wirtschaftsumfeld ist volatil, die Weltpolitik auch, und welche Haushaltsregeln in der EU ab Ende dieses Jahres gelten sollen, steht noch nicht fest. Die escape clause, die 2020 nach Ausbruch der Covid-Seuche die Verpflichtung zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien außer Kraft setzte und wegen Ukraine-Krieg und Energiekrise verlängert wurde, gilt ab diesem Jahr nicht mehr. In Erwartung der neuen Stabilitätsregeln nimmt die Regierung vorsichtshalber an, die aktuellen Regeln blieben weiter in Kraft.
Auch aus den Erläuterungen zum Mehrjahreshaushalt 2023 bis 2027 geht hervor, dass der „positive Schereneffekt“ ab 2025 sich in erster Linie aus mehr Einnahmen ergeben soll. In diese Richtung konnte man Gilles Roth schon in der Budgetsried verstehen: „In den nächsten Jahren“ könnten die Funktionskosten des Staates – da waren sie wieder – „kaum“ so weiterwachsen wie im Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2023 mit zehn Prozent. Neue Posten beim Staat sollten „über einen längeren Zeitraum“ geplant werden, aber das hat vielleicht weniger mit Sparen zu tun als mit einer strategischeren Suche nach Kandidaten, die sich schwer finden lassen. Investitionen in den bezahlbaren Wohnungsbau schließlich sollten „nicht alle aus dem Staatshaushalt finanziert werden“. Noch „vor dem Sommer“ werde „ein Fonds geschaffen, um konkrete Projekte zu finanzieren“.
Die Steuereinnahmen dagegen werden im Mehrjahreshaushalt erklecklich geschätzt. Die direkten Steuern würden von 13,55 Milliarden Euro, die nun für dieses Jahr geplant sind, auf 15,71 Milliarden im Jahr 2027 zunehmen, allen voran die Einkommensteuer auf Löhne und Gehälter von 6,44 Milliarden auf 8,21 Milliarden im selben Zeitraum; ohne weitere Bereinigungen der Steuertabelle allerdings. Die Einkommensteuer der Betriebe stiege von 2,65 auf 2,76 Milliarden Euro, ohne Steuersenkungen und trickle-down-Effekt, den Luc Frieden im Wahlkampf versprach. Die TVA-Einnahmen nähmen von 5,6 Milliarden 2024 auf 6,6 Milliarden 2027 zu. Die Einnahmen aus der Abonnment-Taxe stiegen von 1,23 auf 1,57 Milliarden; die aus der Einregistrierungsgebühr von 220 Millionen auf 447 Millionen und damit noch immer 15 Prozent weniger als für 2023 geplant war, aber wegen der Hypothekenzinsen nicht erreicht wurden. Wer will, kann darin einen Widerspruch zum für Investoren und Promotoren geschnürten „Paket“ nach dem Logementsdësch erkennen.
Einen besonders bemerkenswerten Beitrag zum positiven Schereneffekt sieht der Mehrjahreshaushalt für die Zigarettenakzisen vor: 2023 sollten sie zu Einnahmen von 263,6 Millionen Euro führen, dieses Jahr sollen es 389 Millionen sein und 2027 – fast eine halbe Milliarde (456,5 Millionen Euro). So richtig ernst meint es die neue Regierung und ihr Finanzmninister offenbar nicht mit einer nachhaltigen Haushaltsplanung, die „anders“ wäre als die von Blau-Rot-Grün.
Die Verschuldung der Gemeinde Mamer übrigens ist kein Anlass zur Sorge. Das Innenministerium wacht darüber, dass die Kosten zur Bedienung eines Kredits nicht höher werden als 20 Prozent der ordentlichen Einnahmen einer Gemeinde. Wie das Innenministerium dem Land mitteilte, wandte Mamer 2023 zur Bedienung des 80-Millionen-Kredits 11,9 Prozent seiner ordentlichen Einnahmen auf und war so gesehen die prozentual am drittstärksten mit Kreditkosten belastete Gemeinde. Am meisten wandte Echternach auf (16,4%), aber davon war schon oft die Rede.