Zum Appell des Premiers an die „Vernunft“ am Dienstag lieferte Finanzministerin Yuriko Backes am Mittwoch die Zahlen und manch Prosa. „Finanzpolitisches Harakiri“ wäre es, gerade jetzt an der Einkommensteuer zu drehen. Die Individualisierung einzuführen, wie im Koalitionsvertrag versprochen. Oder die Steuertabelle an die Inflation anzupassen. Oder innerhalb der Tabelle von oben nach unten umzuverteilen, wie der LSAP-Abgeordnete Dan Kersch vorgeschlagen hat. Wohin sowas in Krisenzeiten führen kann, zeige Großbritannien.
Der Vergleich hinkt natürlich: Liz Truss wollte dem Vereinigten Königreich eine Portion Finanzpolitik à la Margaret Thatcher verabreichen, den Steuersatz für Höchstverdiener abschaffen und die Wirtschaft weiter deregulieren. In Luxemburg dagegen sind unter den großen Parteien LSAP, Grüne und CSV sich relativ einig, Besserverdienende stärker zu besteuern, um Geringverdiener zu entlasten.
Fragt sich nur, wen genau man stärker belasten will. Die Finanzministerin wiederholte am Mittwoch, was ihre Beamten Ende September im parlamentarischen Finanzausschuss vorgerechnet hatten und anschließend DP-Fraktionschef Gilles Baum vertrat: Würde der Spitzensteuersatz um „ein paar“ Prozentpunkte erhöht, brächte das nur 30 bis 50 Millionen Euro, während Entlastungen „unten“ eine Milliarde kosten würden. Wo genau „oben“ und „unten“ liegen sollen, ist aber unklar. Die Einkommensteuer auf Löhne und Gehälter stellt nicht nur die Hälfte der Einnahmen aus direkten Steuern. Sie ist auch die dynamischste. Zwischen 2021 und 2022 wird sie voraussichtlich um fast eine halbe Milliarde Euro, von 4 799 auf 5 270 Millionen, zugenommen haben. Der Budgetentwurf 2023 geht von einem erneuten Zuwachs um mehr als 800 Millionen aus. Vorausgesetzt natürlich, es bleibt bei dem Beschäftigungszuwachs um wenigstens zwei Prozent, mit denen das Statec zurzeit rechnet, und es kommt zu keiner Anpassung der Steuertabelle an die Inflation. Die hohen Einnahmen aus den Steuern auf Löhne und Gehälter deuten aber darauf hin, dass es Spielraum für eine Umverteilung innerhalb der Tabelle geben dürfte.
Doch eine gerechte Steuerreform – und von „Gerechtigkeit“ reden alle – müssten neben hohen Einkommen aus Arbeit auch Einkommen aus Vermögen in den Blick nehmen. Das würde die Abschaffung des Bankgeheimnisses für Ansässige bedingen, wofür kein politischer Wille besteht. Auch die vor einer Woche vorgestellten Änderungen bei der Immobilien-Besteuerung und die Reaktionen darauf zeigen, dass sowohl die Regierung als auch die größte Oppositionspartei der Besitzerklasse nicht zu nahe treten will: Die aktuelle Grundsteuer wurde in den letzten zwanzig Jahren immer wieder „lachhaft“ genannt und den Aufwand für ihre Eintreibung nicht wert. Viel mehr Geld in die Kassen spülen aber sollen weder die reformierte Grundsteuer noch die beiden neuen Abgaben zur Spekulationsdämpfung. Sie sollen lenken, was auch ein politisches Ziel sein kann. Aus ihnen mehr Einnahmen schöpfen zu wollen, hätte vorausgesetzt, das Steuersystem als Ganzes infrage zu stellen. Um es zum Beispiel gerechter zu machen. Einen Plan dazu gab es nie.
Und so hatte Yuriko Backes mit ihrem Britannien-Vergleich in einem Punkt recht: Bei dem politischen Skandal in London ging es auch um die Glaubwürdigkeit einer Regierung in Krisenzeiten. Weil in Luxemburg kein Plan für eine richtige Steuerreform besteht, ist natürlich jetzt kein guter Moment für Basteleien. Der Haushaltsentwurf 2023 ist einer unter Vorbehalt. Das Defizit im Zentralstaat wird auf 2,8 Milliarden Euro veranschlagt. 2020 lag es wegen Corona zwar mit 3,1 Milliarden noch höher. Aber 2019, als die Welt noch in Ordnung war, bei nur 74 Millionen. Was nächstes Jahr sein wird, kann niemand sagen. Ob die Wirtschaft tatsächlich um zwei Prozent wächst, wie das Statec vorsichtig schätzt, oder ob sie mit der Eurozone in eine Rezession gerät. Politisch spielt das der DP in die Hände. Hält die Krise an, kann sie sich als verantwortungsvoll präsentieren. Wird alles weniger schlimm, könnte mit „Sputt“ in den Finanzen versucht werden, sich die Herzen der Wähler zu erkaufen. Wobei von jenen, die Gerechtigkeit am nötigsten haben, die meisten vermutlich kein Wahlrecht besitzen.
Bernard Thomas
Kategorien: Öffentliche Finanzen
Ausgabe: 25.03.2022