d’Lëtzebuerger Land: Herr Görgen, Herr Pfister, Sie beschäftigen sich mit der Modellierung des Klimawandels und seiner Auswirkungen auf regionaler Ebene. Kann man für ein kleines Land wie Luxemburg Angaben machen, die präzise genug sind, damit zum Beispiel die Politik sie nutzen kann?
Klaus Görgen: Man kann. Der globale Klimawandel äußert sich zum Teil sehr differenziert auf regionaler Ebene. Auf der Skala der Großregion etwa erkennt man sowohl die Fortsetzung globaler Veränderungen als auch sehr spezifische regionale Veränderungen. Derzeit existiert weltweit rund ein halbes Dutzend globaler Klimamodelle. Deren Auflösung aber reicht nicht aus, um regionale Fragen zu beantworten und den Entscheidungsträgern in einem Bundesland, einer Provinz oder einem kleinen Nationalstaat wie Luxemburg zweckdienlich zu sein. Deshalb arbeiten wir zusätzlich mit regionalen Modellen. Mit ihnen liegen wir momentan bei Auflösungen um 25 Kilometer und können zumindest für Gesamt-Luxemburg Aussagen treffen.
Wie sind die Klimamodelle eigentlich entstanden?
KG: Die Modelle, die heute benutzt werden, sind komplexe Softwaresysteme, die auf Hochleistungscomputern laufen. Deshalb ging ihre Entwicklung in den 1950-er und 1960-er Jahren Hand in Hand mit der Entwicklung von Großrechnern. Aber bereits im 19. Jahrhundert gab es erste Forschungen zum Treibhauseffekt und zur so genannten Klima-Empfindlichkeit der Erde: damit ist die Temperaturdifferenz gemeint, die sich mit jeder Verdoppelung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre einstellt. Um das Klima modellieren zu können, musste man Wettervorhersagemodelle abwandeln. Im Grunde steckt in jedem Klimamodell ein Wettervorhersagemodell. Die grundlegenden physikalischen und chemischen Prozesse, die in der Atmosphäre und im Erdsystem ablaufen, sind in beiden Modellen enthalten. Ein Wettervorhersagemodell aber bezieht verschiedene Subsysteme nicht ein – zum Beispiel den Ozean, die Eisschilde oder die Pflanzendecke. Heute gibt es Wettervorhersage- und Klimamodelle auf einer globalen wie auch auf regionaler Ebene. Meist wird, wenn ich eine regionale Aussage möchte, zunächst ein globales Modell gerechnet, beziehungsweise dessen Daten genutzt. In die Globaldaten wird dann ein regionales Modell eingebettet.
Gibt es Phänomene, die von den Modellen noch nicht gut genug erfasst werden?
KG: Die Modelle werden kontinuierlich weiterentwickelt. Schwierig aber ist zum Beispiel mit vielen Modellen die exakte Simulation von Niederschlag. Das ist ein klares Defizit. Einzelne extreme Ereignisse zu simulieren, ist oft ebenfalls kompliziert. Ein weiteres Forschungsfeld ist, die Strahlungswirkungen von Aerosolen exakt abzubilden.
Das hat mit Wolkenbildung zu tun, nicht wahr?
KG: Ja, dabei spielen Aerosole, das heißt Teilchen in der Atmosphäre als Kondensationskerne, eine Rolle. Wolken können sowohl eine abkühlende als auch eine erwärmende Wirkung haben. Daneben sind Aerosole selbst aber auch strahlungswirksam und können erwärmend oder kühlend wirken. Da gibt es noch sehr große Unsicherheiten. Das manifestiert sich dann auch darin, wie die Modelle die-se Prozesse erfassen.
Versteht man alle Prozesse gut genug, um sie zuverlässig modellieren zu können?
KG: Es gibt sicherlich Defizite. Aber die sind größtenteils bekannt, auch kommuniziert, und man arbeitet daran, sie abzubauen. Weil man zum Beispiel noch nicht genug weiß über die kleinräumigen Wechselwirkungen von Atmosphäre und Meereis, gibt es dazu in den Polarregionen sehr intensive Feldforschungen. Oft ist es ja ein Argument der Klimaskeptiker zu fragen: Sind die Modelle gut genug? Wissen wir genug, dass wir verlässliche Informationen erhalten und auf der Grundlage der Resultate auch handeln können?
Wissen wir denn genug?
KG: Ja. Zum Beispiel wurde im vergangenen Jahr ein großes interna-tionales Projekt abgeschlossen: RheinBlick 2050. Dafür hat ein internationales Forscher-Konsortium die Auswirkungen des Klimawandels auf das Rhein-Einzugsgebiet untersucht; wir haben die Arbeiten koordiniert. Die Änderungen, die dort simuliert wurden, weisen zwar eine Unsicherheit auf, eine Ergebnis-Bandbreite. Die Änderungstendenzen zeigen aber dennoch immer klar in eine Richtung. Das ist ein wichtiger Punkt: Wir betrachten stets die Ergebnisse mehrerer Modelle und erhalten eine Vielzahl von Resultaten, ein so genanntes Ensemble. Es ist die Zusammenschau verschiedener Ergebnisse, die zum größten Erkenntnisgewinn führt.
Was sehen Sie denn für das Rhein-Gebiet – Temperatur, Regen, Sturmbildung?
KG: Sturmbildung nicht, deren Simulation ist sehr schwierig. Aber wir sehen zusammenfassend eine klare Temperaturzunahme über das ganze Jahr, im Sommer wie im Winter. Und eine Niederschlagszunahme im Winter, dagegen eine Abnahme im Sommer, mit einer klaren räumlichen Differenzierung.
Fühlen Sie sich als Klimaforscher besonderen Erwartungen seitens der Politik oder der Öffentlichkeit ausgesetzt?
KG: Im RheinBlick-Projekt haben wir eine wissenschaftliche Politikberatung für die IKSR, die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins, gemacht. Es ging darin allerdings nicht um Anpassungsmaßnahmen oder Strategien zum Klimaschutz. Wir untersuchen Änderungen am physikalischen System. Dazu versuchen wir möglichst geeignete Informationen zu liefern. Das ist unsere Rolle. In dieser Rolle verspüren wir keinen Druck der Politik. Es wird auch keinerlei Einfluss genommen auf die Auswertung der Ergebnisse.
Aber wie die Dinge liegen, ist Ihre Rolle auch die, vielleicht nicht den Weltuntergang zu beschwören, aber doch eine sehr gefährdete Zukunft.
KG: Eigentlich nicht: Für den Rhein-Bericht haben wir das A1B-Emissionsszenario angenommen. Das ist ein mittleres Szenario. Wir können unsere Daten aus den Modellierungen aber mit Beobachtungen des letzten Jahrzehnts vergleichen. Ab dem Startjahr 2000 laufen mittlerweile die Zukunftsprojektionen seit zehn Jahren parallel mit Beobachtungen. Die in den letzten zehn Jahren tatsächlich beobachteten saisonalen Temperaturen waren höher als in unseren Modellergebnissen.
Sie rechnen also zu optimistisch?
KG: Naja, das sind heikle Begrifflichkeiten. Ich will vermeiden zu sagen, dass wir Systemänderungen unterschätzen. Aber wir sind eher moderat.
Laurent Pfister: Wir versuchen auch immer klarzumachen, dass es eine natürliche Klima-Variabilität schon immer gegeben hat und auch immer geben wird. Man muss alles in einen größeren Kontext stellen. Wir haben durchaus Beweise, dass es in der schon etwas länger zurückliegenden Vergangenheit auch in der Großregion Klimaänderungen gab.
Spielt der Mensch auch eine Rolle?
LP: Er ist ein Katalysator. Bei der Auswertung so genannter Proxy-Daten aus der Großregion erkennt man die Temperaturveränderungen vom Mittelalter über die Renaissance bis in die Neuzeit. Da gab es immer Schwankungen. Man sieht auch, dass wir eigentlich aus einer kleinen Eiszeit kommen – deshalb erleben wir jetzt eine relativ starke Erwärmung. Der Trend geht nun aber über das hinaus, was über die letzten Jahrhunderte dokumentiert wurde. Das belegt die Rolle, die der Mensch spielt.
KG: Es gibt Kollegen, die sich schwerpunktmäßig mit der Erfassung des zurückliegenden und des derzeit stattfindenden Klimawandels beschäftigen. Sie können sehr schön zeigen, dass die Klimamodelle die natürliche Klima-Variabilität gut abbilden. Aus Modellen lässt sich auch der Einfluss des Menschen herausrechnen. Macht man das, passiert etwas ganz Interessantes: Man ist dann nicht mehr in der Lage, mit den Modellen diejenigen Phänomene zu reproduzieren, die schon beobachtet wurden.
Könnten Sie behaupten, der Klimawandel enthalte sowohl Risiken als auch Chancen; vielleicht für eine Region, ein Land?
KG: Dazu gibt es spezielle Studien, und in der Regel ist es so, dass die negativen Auswirkungen klar überwiegen. Wir haben solche Analysen ganz allgemein einmal exemplarisch für den Luxemburger Weinbau gemacht. Sie wurden vor kurzem auf dem Weinbautag vorgestellt. In Luxemburg ist es so: In der nahen und fernen Zukunft verändert sich die Temperatur – statistisch, wohlgemerkt – günstig. Nach unserer in diesem Fall vereinfachten Betrachtung könnten dann zum Beispiel andere Rebsorten angebaut werden. Gleichzeitig aber ändern sich in solchen Fällen immer auch andere Bedingungen. Die Schädlingsproblematik zum Beispiel. Hinzu kommt auch eine stärkere Variabilität der Niederschläge im Sommer.
LP: Wir haben vor kurzem unser Projekt Moneau abgeschlossen: eine hydroklimatologische Monografie. In die sind Tageswerte für Temperatur und Niederschlag eingeflossen, die seit 1838 vorliegen. Wir haben statistisch aufbereitete Beobachtungen mit Modellierungen und Projektionen in die Zukunft kombiniert. Man sieht: Von 1961 bis 1990 – das ist die Klima-Normalperiode der Weltorganisation für Meteorologie – betrug die gemittelte Temperatur über die gesamte Luxemburger Landesfläche 8,1 Grad Celsius. Zwischen 2020 und 2050 dürfte das dreißigjährige Mittel auf 9,2 Grad steigen und bis zum Ende des Jahrhunderts – von 2069 bis 2098 – auf 11,2 Grad. Die Niederschläge dürften im Frühjahr und im Herbst ungefähr gleich bleiben, im Winter zunehmen, im Sommer dagegen abnehmen; natürlich mit einer starken Differenzierung im Detail.
Das politische Ziel besteht ja darin, die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf höchstens zwei Grad zu begrenzen. Es heißt, über ein Grad Erwärmung seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es schon. Sie schließen nun für Luxemburg darüber hinaus eine Erwärmung zwischen 1960 und 2100 um drei Grad nicht aus. Das ist ziemlich viel, oder?
KG: Das können wir nicht genau sagen. Die „zwei Grad“ beziehen sich auf die global gemittelte bodennahe Durchschnittstemperatur. Lokal manifestiert die sich sehr, sehr unterschiedlich. Ganz pauschal kann man sagen, dass Luxemburg – wie die anderen Industrienationen im westlichen Zentraleuropa – wohl mit am wenigsten unter den projizierten Auswirkungen zu leiden haben dürfte. Das sind zwar Modellierungen, die auf dem mittleren A1B-Szenario basieren, aber das grundlegende Bild ändert sich schon seit etlichen Jahren nicht mehr stark.
Letztes Jahr geriet die Klimawissenschaft stark unter Druck: Aus einer britischen Universität entwendete E-Mails sahen so aus, als hätten Klimaforscher Resultate manipuliert ...
KG: Der Vorwurf war am Ende aber haltlos.
... und das Wissenschaftsgremium IPCC hatte irrtümlich verbreitet, die Gletscher im Himalaja würden bis 2035 komplett schmelzen ...
LP: Das war ein Bericht von einer Konferenz gewesen, keine Arbeit, die durch die wissenschaftliche Peer review gegangen war. Die hätte im IPCC-Bericht eigentlich nicht auftauchen dürfen.
Ist die Klimawissenschaft seitdem gezwungen, anders zu kommunizieren, Fehler einzuräumen, Unsicherheiten zuzugeben?
KG: Man muss Unsicherheiten kommunizieren. In dem politikrelevanten Umfeld des RheinBlick-2050-Projekts habe ich die Erfahrung gemacht, dass das sehr wohl klappt. Ich denke auch, dass in der breiten Öffentlichkeit mittlerweile mehr Verständnis dafür herrscht, dass auch eine präzise Wissenschaft mit Unsicherheiten umgehen muss, weil viele Prozesse eben unabänderlich unsicher sind. Und dass daraus nicht folgt, dass man eine unsichere oder unpräzise Wissenschaft betreibt.
Wie kommunizieren Sie das denn? Der Bürger will ja letzten Endes wissen, was in seinem Hinterhof passiert, und die Politik will Handlungsempfehlungen haben.
LP: Der einzig gangbare Weg besteht darin, Ensembles von Ergebnissen zu betrachten und mitzuteilen; transparent zu machen, was man betrachtet hat und wie man das getan hat. Einfach ist das nicht! Aber es hat tatsächlich ein Wandel in den Köpfen eingesetzt. Ich erinnere mich noch, wie wir von zehn, fünfzehn Jahren erste Studien zur Hochwasserentstehung in Luxemburg gemacht haben. Wenn wir da von Unsicherheiten sprachen, kam das ganz schlecht an. Das ist heute anders. Kennt der Entscheidungsträger eine Ergebnis-Bandbreite, kennt er seine eigene Unsicherheit. Dann kann er entscheiden, ob er auf der absolut sicheren Seite bleiben will und das schlimmstmögliche Szenario annimmt, oder ob er vielleicht in der Mitte bleibt.