Fünf Jahre ist es her, dass das erste Spin-off der Uni Luxemburg gegründet wurde. Axo Glia Therapeutics ist benannt nach der Interaktion der Axo- und der myelinisierenden Gliazellen, die bei der Übertragung von Nervenreizen im Gehirn eine wichtige Rolle spielen. Hinter dem Hauptgebäude der Uni in Limpertsberg entwickelt und testet Axo Glia in einem Container-Gebäude Moleküle, die zu Medikamenten gegen neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose entwickelt werden sollen. Noch gibt es kein Medikament, das auf Basis von Axo-Glia-Molekülen hergestellt wird. Denn der größte Vorzug von Axo Glias Entwicklungen, ihr innovativer Charakter, ist gleichzeitig ihr Nachteil.
„Unsere Moleküle erfüllen immer zwei Kriterien: sie sind entzündungshemmend und wirken regenerativ“, erklärt Jean-Paul Scheuren, CEO von Axo Glia. Klassische Immunsuppressiva wirken, indem sie das Immunsystem ausschalten, das den Verbindungsstoff zwischen den Zellen, das Myelin, das für die gute Übertragung der Reize sorgt, angreift. Doch wird das Immunsystem lahmgelegt, hat das unangenehme Nebenwirkungen. Und: Medikamente, die nach diesem Schema funktionieren, stoppen eine Krankheit lediglich. Heilen tun sie sie nicht.
„Wir haben einen anderen Weg. Wir wollen das Immunsystem nicht völlig ausschalten, sondern die Entzündung so weit unterdrücken, dass sich der Körper selbst erholen kann.“ Was bei betroffenen Patienten Hoffnung auf bessere Therapien weckt, bleibt nicht ohne Bremswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung der Firma Axo Glia. Denn damit aus TFA12, dem Molekül, von dem Axo Glia glaubt, dass es entzündungshemmend und regenerativ wirkt, ein Medikament werden kann, muss weiter geforscht werden. Das kostet Geld und das sollen, wie bei anderen Biotechnologieunternehmen auch, Risikokapitalfonds stellen. Sie hat Axo Glia bereits kontaktiert und es gibt, sagt Scheuren, noch rund zehn Fonds, die Interesse haben, in Axo Glia oder das Molekül zu investieren.
Doch weil TFA12 nicht nach dem bekannten Schema funktioniert, wollen die Investoren weitere Testergebnisse sehen, um sicher zu sein, dass die neue Methode nicht nur gut klingt, sondern auch funktioniert. Deswegen hinkt die Firma dem ursprünglichen Zeitplan ihres wissenschaftlichen Leiters Dr. Djalil Coowar, der 2010 zum kreativen Jungunternehmer des Jahres gekürt wurde, etwas hinterher. „Wer Material vorlegt, das nach altbewährter Methode funktioniert, das aber effizienter ist als das Referenzprodukt, das nach gleicher Methode funktioniert, hat es leichter, Geldgeber zu finden“, erklärt Scheuren. Wer nachahmt, anstatt zu innovieren, hat in diesem Fall den Vorteil. Zudem war das Umfeld 2009, als Axo Glia anfing, nach Risikokapital zu suchen, wegen der Wirtschaftskrise nicht gerade günstig, gibt Scheuren zu bedenken.
„Innerhalb der nächsten zwei Monate werden die Ergebnisse vorliegen und wenn sie positiv sind, stehen die Chancen gut, dass ein Investor an Bord kommt“, sagt Scheuren. Noch dieses Jahr will er die Finanzierung unter Dach und Fach bringen, die für die nächsten Entwicklungsphasen von TFA12 gebraucht werden: der Antrag auf Genehmigung von klinischen Studien, also die Erlaubnis, die Wirkung von TFA12 am Menschen zu testen, und die klinischen Studienphasen I und II, an deren Ende als erwiesen gilt, dass der Wirkstoff tatsächlich wirkt und keine gesundheitlichen Schäden verursacht. Gebraucht werden, schätzt Scheuren, 5,5 Millionen Euro. Wurden die vorklinischen Tests, also Studien auf Zellebene und an Tieren, in Luxemburg durchgeführt, würden die klinischen Studien zu 99 Prozent außerhalb der Firma und außerdem außerhalb von Luxemburg stattfinden, erklärt er.
Um TFA12, deren Patent mehrheitlich der Uni Luxemburg gehört und für die Axo Glia eine exklusive Forschungslizenz besitzt, bis in dieses Stadium zu bringen, hat die Firma bereits 1,5 Millionen Euro ausgegeben, zum größten Teil öffentliche Fördergelder und Kredite. Und wenn die Tests nicht positiv sind? „Dann müssen wir TFA12 fallen lassen“, sagt Scheuren nüchtern. „Und weiter forschen.“ Um das therapeutische Potenzial von Molekülen zu testen, hat Axo Glia einen „Trichter“, ein Modell entwickelt, das die vielversprechenden Moleküle von den anderen sortieren hilft. Durch das Verfahren hat die Firma bereits zwei weitere Moleküle identifiziert, von denen sie glaubt, dass sie sowohl entzündungshemmend als auch regenerativ wirken, und dafür Patente angemeldet.
In der Zwischenzeit hat Axo Glia kaum Einnahmen. „Das ist normal und bei allen Firmen, die, wie wir, in der pharmazeutischen Chemie tätig sind, genauso“, beschwichtigt Scheuren. „Genau deswegen, weil die Forschung kapitalintensiv ist und die Ergebnisse nicht garantiert, wollen die großen pharmazeutischen Konzerne selbst nicht mehr forschen. Sie überlassen das Risiko Firmen wie uns und den Risikokapitalfonds, die erste klinische Phasen finanzieren“, fügt er hinzu. „Erst wenn belegt ist, dass alles klappt, steigen sie ein.“ Wollen die Pharmakonzerne dann das Molekülpatent oder eine Lizenz zur Weiterentwicklung – bis zur Pille, Spritze oder zum Sirup – kaufen, müssen sie tief in die Tasche greifen. „Der Marktwert eines solchen Moleküls, das die zweite klinische Phase hinter sich hat – da wollen wir hin –, liegt bei zwischen 100 und 200 Millionen Euro“, so Scheuren. Wenn es klappt, ist die Gewinnspanne für Patent-, Firmeneigner und Investoren enorm.
Um die voraussehbare Durststrecke bis zum Durchbruch zu überwinden, will Axo Glia sich Anderen als Dienstleister anbieten. Mit ihrem Testmodell will Axo Glia auch die Moleküle anderer Labore oder Firmen filtern. Oder sie gegebenenfalls so synthetisieren und weiterentwickeln, dass dafür Patente angemeldet werden können. „Wir haben Pläne dafür, wie wir wachsen können, und wir suchen nach Kunden“, sagt Scheuren. Wenn es klappt, müsste sich die Firma, sowohl was die Laborkapazitäten als auch was das Personal betrifft, vergrößern. Momentan ist man bei Axo Glia, Jean-Paul Scheuren, der für die Verwaltung zuständig ist, und dem Chemiker Djalil Coowar inklusive, zu viert. So sollen die nötigen Einnahmen generiert werden, um die Weiterentwicklung der eigenen Moleküle voranzutreiben, bis der Durchbruch gelingt.
Denn Jean-Paul Scheuren, der als Unternehmer im Immobilienbereich gut vernetzt ist, musste viele Klinken putzen und hatte dennoch große Mühe, private Geldgeber davon zu überzeugen, in Axo Glia zu investieren, bevor die Risikokapitalfonds gezielt einsteigen, um die Fortentwicklung eines bestimmten Molekül voranzutreiben. Hat er für Axo Glia solche Fonds an der Angel – wenn die Testergebnisse stimmen –, bedauert Scheuren, der Vorsitzender des Biotech-Clusters ist, dass die Unternehmerwelt Luxemburgs den Sektor immer noch nicht als wirtschaftliche Chance begreift. „Die sieht den Sektor bislang nur als Ausgabeposten im öffentlichen Haushalt an. Da muss ein Umdenken kommen“, fordert Scheuren.
Was für die Firma gilt, die er leitet, gilt daher auf anderer Ebene für die Branche insgesamt: „Damit dieses Umdenken kommt, brauchen wir dringend einen wirtschaftlichen Erfolg in der Branche, ein Vorzeigeprojekt, das Ergebnis der Forschung in Luxemburger Laboren ist.“ Bei den spezialisierten Fonds, von denen über hundert hierzulande angemeldet seien, sei man gegenüber dem Herkunftsland Luxemburg eher gleichgültig. „Natürlich springen sie nicht vor lauter Freude in die Luft, wenn sich eine Firma aus Luxemburg bei ihnen vorstellt, weil das Land keinen Ruf als besonderes Zentrum für pharmazeutische Chemie oder Biotechnologien hat. Aber es ist auch kein Hemmschuh. Denn es ist bekannt, dass die guten Ideen nicht unbedingt aus den größten Laboren stammen.“ „Noch hat Axo Glia es nicht geschafft. Wir sind in der kritischen Phase“, sagt Scheuren. Aber er ist optimistisch.