Acht Monate musste die CSV-Kammerfraktion warten, bis die blau-rot-grüne Mehrheit zustimmte, eine große parlamentarische Orientierungsdebatte zum Wohnungsbau abzuhalten – doch als die am Dienstag stattfand, bestand der Höhepunkt der vierstündigen Diskussion in der Frage, wo Maggy Nagel ist. Sieht so die 23 Sitze starke, größte Oppositionskraft aus, die seit dem Referendum vom 7. Juni politisch noch stärker geworden sein will?
Offenbar ja. Dabei ist die Frage berechtigt, ob die Ministerin die wohnungsbaupolitische Richtung vorgibt oder vielleicht eher der im März hinzugezogene Staatssekretär Marc Hansen, der eigentlich nur „nachschaut, wo es hakt“, am Dienstag aber allein auf der Regierungsbank saß. Ebenso berechtigt insistierte CSV-Fraktionschef Claude Wiseler einen Moment lang, das Parlament habe „ein Recht zu erfahren, welches Regierungsmitglied die Verantwortung für das Wohnungsbauressort trägt“. Doch als Hansen entschied, darauf gar nichts zu antworten, nahm der Oppositionsführer schweigend wieder Platz auf seinem Stuhl.
Vielleicht lag das auch daran, dass niemand viel Lust zur Auseinandersetzung mit dem Thema Wohnungsbau zeigte. Obwohl dieses im Wahlkampf 2013 dem Wahlvolk neben der Beschäftigung und den Renten besonders am Herzen gelegen hatte und die politische Klasse sich heute einig ist, dass etwas geschehen muss: Weil die Baulandpreise steigen, nicht genug Wohnungen gebaut werden, es zu wenig Mietwohnungen gibt und die Mietpreise ebenfalls zunehmen. Doch geht es ans Debattieren, wirft, wie am Dienstag geschehen, die CSV der Regierung und insbesondere Maggy Nagel vor, zu viel versprochen zu haben. Worauf die DP entgegnet, die CSV habe in dreieinhalb Jahrzehnten im Wohnungsbauministerium versagt, Blau-Rot-Grün dagegen mache „Nägel mit Köpfen“.
Und den Anschein, dass das auch geschehe, erweckt die 15-seitige Feuille de route présentant l’orientation de la politique de logement, die der Wohnungsbau-Staatssekretär den Kammerfraktionen hatte zukommen lassen. Zur „Mobilisierung von Bauland“ werden „Baulandverträge“ angekündigt, in denen Gemeinden mit Grundstücksbesitzern vereinbaren, innerhalb welcher Fristen schon gut erschlossene Grundstücke bebaut werden müssen. Würde so ein Vertrag nicht eingehalten, könnte ein Strafgeld fällig werden, die Gemeinde von einem Vorkaufsrecht Gebrauch machen, oder Bauland im kommunalen General-Bebauungsplan zu Grünland oder Bauerwartungsland zurückgestuft werden.
Auch das staatliche Baulückenprogramm kommt in der Feuille de route vor: Weil gut 90 Prozent der „rasch mobilisierbaren“ über 900 Baulücken-Hektar in Privatbesitz sind, sollen die Besitzer „sensibilisiert“ werden zur Bebauung, vielleicht durch steuerliche Anreize. In Süddeutschland scheint das funktioniert zu haben, und Marc Hansen hofft, das klappe hier auch.
In die Schaffung subventionierten Wohnraums – von Sozialwohnungen zur Miete oder von „erschwinglichem“ Wohnraum (à coût modéré) zum Verkauf – sollen Privatunternehmen eingebunden werden. Man habe sich „mit allen Akteuren getroffen“, erklärte Hansen. Das Finanzministerium denke nun darüber nach, ob Subventionen, die bisher nur öffentlichen Trägern zugänglich sind, auf den Privatsektor ausgedehnt werden könnten. Von den öffentlichen Trägern wiederum würden bis Ende 2018 noch 2 124 Sozial- oder „erschwingliche“ Wohnungen realisiert, informiert die Feuille de route. Ihr Bau sei schon im Gange, 40 Prozent davon würden Mietwohnungen. Weitere 4 904 Wohnungen seien „in Planung“ und 968 würden „studiert“. Dass man damit, inklusive der 717 im vergangenen Jahr fertiggestellten, insgesamt nur auf 8 713 Wohnungen kommt und nicht auf die 10 500, die das Mehrjahres-Wohnungsbauprogramm der Regierung vorsieht, liege daran, dass Projekte im „Vorstu-dium“ in dem Kalkül nicht enthalten sind. Aber das macht ja vielleicht nichts, denn das Mehrjahresprogramm reicht bis zum Horizont 2025.
Gut sieht auch aus, dass die Agence immobilière sociale „gestärkt“ werden soll, und der Gesetzentwurf über die Einführung einer Mietsubvention wird ebenfalls erwähnt. Und die Reform des Fonds de logement natürlich, die „strategisch“ sein und so weit reichen soll, dass der Fonds „in den nächsten ein bis eineinhalb Jahren vor allem mit sich selber beschäftigt sein wird“, so der Staatssekretär vor den Abgeordneten. Dem hat auch die CSV nicht viel zu entgegnen, obwohl sie natürlich stört, auf welche Weise der frühere Fonds-Präsident und CSV-Spitzenbeamte Daniel Miltgen von Maggy Nagel aus dem Weg geschafft wurde. Im parlamentarischen Wohnungsbauausschuss aber hatten auch die CSV-Vertreter eingeräumt, der Fonds gehöre reformiert. Was soll’s also?
Die großen Fragen aber kamen am Dienstag höchstens am Rande vor. Etwa die, wo denn durch die öffentliche Hand gebaut werden und ob der Wohnungsbau generell in den Städten konzen-triert werden soll. Im Raum stand das Gerücht, der Plan sectoriel logement, der im November gemeinsam mit den anderen drei staatlichen Entwürfen zur Landesplanung zurückgezogen worden war, werde vielleicht nicht neu geschrieben. Staatssekretär Hansen bemerkte nur, „zurzeit kann man nicht sagen, dass es keinen neuen Plan geben wird“. Vor allem dieser Plan aber sollte dafür sorgen, dass künftig „dichter“ gebaut wird und vor allem jene Gemeinden an Einwohnern zulegen, die bevorzugt entwickelt werden sollen.
Ist dieses Konzept nicht mehr aktuell, soll wieder jede Gemeinde wachsen dürfen wie über die Wohnungsbaupakte? Klar ist, dass eine Konzentration von Einwohnern auf bestimmte Gemeinden nicht zu haben wäre ohne Gemeindefinanzreform. Denn derzeit hängen die Zuwendungen an die Kommunen stark ab von der Zahl der dort lebenden Bürger. Eine Gemeindefinanzreform aber ist schwer denkbar ohne die große Steuerreform, die ab 2016 diskutiert werden soll. Doch nach dem Referendumsausgang vom 7. Juni und den spektakulär rückläufigen Zustimmungswerten für die DP-LSAP-Grünen-Regierung kann man durchaus daran zweifeln, dass eine „große“ Steuerreform politisch durchsetzbar sein wird.
Von öffentlichen Ausgaben – und zwar hohen – aber ist die Wohnungsbaupolitik ohnehin nicht zu trennen. Erstaunlicherweise wollte am Dienstag niemand wissen, wie viel es sich die öffentliche Hand kosten lassen soll, mehr „erschwinglichen“ und „sozialen“ Wohnraum zu schaffen. Und auf Fragen, was „erschwinglich“ in Euro ausgedrückt heißt, ging Marc Hansen nicht ein.
Sicher ist: Auch weil Wohnungsbaupolitik jahrzehntelang als eine für Besitzer und Leute, die das werden wollen, betrieben wurde, ist eine öffentliche Grundstücksreserve kaum existent. Sie zu erweitern, kostet Geld. Wie schnell das Gemeinden abschrecken kann, von dem schon seit 2008 durch das Wohnungsbaupakt-Gesetz eingeführten Vorkaufsrecht auf Bauerwartungsland Gebrauch zu machen, zeigt sich daran, dass zwischen 2009 und 2014 von den 108 Hektar theoretisch in Frage kommender Flächen tatsächlich nur 1,9 Hektar erworben wurden. Und das obwohl der Staat solche Käufe zur Hälfte bezuschusst. Im staatlichen Baulückenprogramm aber ist sogar vorgesehen, alle Flächen, die Privatleute zur Bebauung anbieten, durch die öffentliche Hand zu erwerben. Weil es dabei um Bauland geht und nicht nur um Bauerwartungsland, wird das pro Hektar noch mehr kosten als der Flächenkauf über die Wohnungsbaupakte.
Die Kostenfrage stellt sich auch beim Instrument Erbpacht: Der Käufer erwirbt nur den Wohnraum, das Grundstück bleibt im Besitz des öffentlichen Bauträgers und an ihn wird Jahr für Jahr lediglich ein symbolischer Pachtzins von 27 Euro zum Indexstand 100 fällig. Weil „die Leute doch Vermögen bilden wollen, sage ich, geht lieber mieten!“, rief der ADR-Abgeordnete Roy Reding am Dienstag in den Plenarsaal des Parlaments. Tatsächlich hat die Erbpacht derzeit noch ein Akzeptanzproblem, und bisher bietet nur die Gemeinde Luxemburg in ihrem kommunalen Baulückenprogramm sie an.
Erbpacht aber kostet die öffentliche Hand auch: Bauland wird der Wertzunahme über den Markt entzogen und wirft einen Erlös, wenngleich voraussichtlich einen großen, erst nach 99 Jahren ab. Dass die SNHBM künftig ebenfalls in Erbpacht verkaufen will, kann sie sich vor allem erlauben, weil für die dazu nötige Kapitalerhöhung der Aktiengesellschaft der Kompensationsfonds der Pensionskasse bereit steht, nach dem Staat zweitgrößter Anteilseigner der SNHBM. Ein paar zig Millionen Euro in die Wohnungsbaugesellschaft zu pumpen, fällt nicht ins Gewicht bei einer Rentenreserve von 15 Milliarden, und fast ein Jahrhundert auf den hohen Erlös warten zu müssen, ebenfalls nicht. Für die Staatskasse fiele das offenbar schwerer: Der Finanzminister hat schon signalisiert, der Staat erhöhe das Kapital der SNHBM nicht. Das ganze schöne Versprechen auf mehr „erschwinglichen“ Wohnraum wäre also kaum zu halten ohne die Rentenreserve.
Nur der Lénk-Abgeordnete David Wagner fand am Dienstag, man sollte den Kompensationsfonds noch stärker am öffentlichen Wohnungsbau beteiligen. Von der LSAP, die das 2013 im Wahlprogramm stehen hatte, waren solche Ideen nicht zu hören. Vielleicht auch, weil man dann hätte argumentieren können, wenn ein Fonds der Sozialversicherung die private Vermögensbildung der Versicherten subven-tioniert, könnten die Renten sinken. Oder, weil sich ohnehin die Frage stellt, ob es Aufgabe der öffentlichen Hand ist, die private Vermögensbildung zu unterstützen und zuzulassen, dass hierzulande Recht auf Wohnen weiterhin vor allem mit Wohnungsbesitz zusammengedacht wird. Und ob man nicht besser daran täte, sämtliche Kaufbeihilfen abzuschaffen und den öffentlichen Wohnungsbau ganz auf Mietwohnungen auszurichten, statt nur rund die Hälfte der öffentlichen Programme.
Politisch wäre das natürlich abenteuerlich in einem Land, wo die Mehrheit der Wahlberechtigten Wohnungsbesitzer sind. Vermutlich aber ist das der einzige Weg, um dafür zu sorgen, dass in dem kleinen Großherzogtum sogar in 50 Jahren jeder dezent wohnen kann, wenn die Einwohnerzahl sich vielleicht der Millionengrenze nähert, weil die Wirtschaft weiter wächst und das die Renten sichern hilft. Da halten die Mehrheitsfraktionen sich lieber zurück und hoffen, dass die Regierung etwas hinkriegt, das wenigstens irgendwie in diese Richtung geht – so, wie Blau-Rot-Grün mehr Mietwohnungen bauen will und billige Erbpacht-Wohnungen zum Kauf. Die Opposition hofft dasselbe, steht aber selbstverständlich bereit, falls die Regierungspolitik zu scheitern droht. Und erkundigt sich schon mal, wem sie dann die Schuld geben müsste, der Ministerin oder dem Staatssekretär.