Was macht eine Gruppe Studenten, Paare, Senioren und Berufstätiger, die nicht in einem Apartment oder einem Einfamilienhaus alleine wohnen wollen, sondern zusammen in einem altersgemischten Wohnprojekt, das zudem möglichst ökologisch und außerdem nicht zu teuer sein soll? Sie ziehen in eine Kommune oder kaufen Anteile einer Wohnungsbaugenossenschaft. So wäre das zumindest in Berlin, Hamburg, Wien oder Zürich.
„In Luxemburg gibt es keine Wohnungsbaugenossenschaft. In dem Sinne sind wir schon so etwas Pioniere“, sagt Claude Ballini. Der junge Architekt mit der dick umrandeten Brille ist einer von inzwischen fast hundert Leuten, die auf der Liste des Newsletter von ad-hoc.lu stehen, sich also für das alternative Wohnprojekt interessieren. Es waren Claude Ballini, Paul Matzet, Geraldine Philipczjk, Cindy Mazzarini und noch ein paar andere, die die Idee hatten, ein solches Projekt auch in Luxemburg aufzuziehen. „Irgendwie hat sich das dann herumgesprochen und wir sind immer mehr geworden“, erinnert sich Ballini. Was als eine Idee unter Freunden begann, ist inzwischen fast so etwas wie eine kleine Bewegung. Weitere Interessierte stießen im Juli 2014 hinzu, als auf einer Konferenz im Oekozenter im Pfaffenthal ausländische Modelle von Wohngenossenschaften vorgestellt und diskutiert wurden.
„Ich habe da das erste Mal von dem Projekt gehört“, erzählt Anne Hoffmann im Gespräch mit dem Land. Die rüstige 65-jährige ist die Älteste im Bunde, sie und ihre 61-jährige Freundin Joëlle Schlentz waren sogleich fasziniert. Beide wohnen derzeit allein, Joëlle in einer Wohnung in der Stadt, Anne in ihrem eigenen Haus. „Der Gedanke mit Menschen, die man kennt und schätzt, zusammenzuleben, war für mich ausschlaggebend“, sagt Joëlle Schlentz. Anne Hoffmann besteht darauf, dass das Projekt in der Stadt sein soll: „Ich bin ein Stadter Meedchen“, sagt sie und zwinkert belustigt. Für die Studentin der Erziehungswissenschaften, Joanne Theisen, die zuvor in einer Studenten-Wohngemeinschaft, jetzt aber wieder bei ihren Eltern wohnt, ist das ausschlaggebend. Hauptsache, mit netten Leuten zusammenwohnen. Der Ort für das Wohnprojekt ist für die 26-Jährige eher zweitrangig: „Aber altersgemischt und nachhaltig, das ist ein Muss“, sagt sie entschieden in Richtung von Anne und Joëlle, die sie offensichtlich ins Herz geschlossen hat. Wenn die Chemie stimmt, könne das ruhig außerhalb der Stadtgrenze sein. „Das bringt vielleicht mehr Lebensqualität“, findet auch Joëlle Schlentz.
Es sind ganz unterschiedliche Motive, die die Leute der Plattform ad-hoc.lu zusammengebracht haben. Die einen, wie die Angestellte Irene Klein, träumen von einem ökologischen Dorf mit Bio-Gemüseanbau, Kunstateliers und anderen Gemeinschaftsaktivitäten. Andere, wie der Bahnangestellte und Grüne Paul Matzet und seine Freundin, die Grundschullehrerin Geraldine Philipczjk, wünschen sich in erster Linie ein Wohnen, „wo man einander kennt und sich untereinander versteht“, so Geraldine. „Am liebsten in einer modularen Bauform, die sich an ändernde Bedürfnisse anpasst“, fügt ihr Freund Paul hinzu. Beim modularen Wohnen können Wände bewegt und Zimmer je nach Bedarf geteilt oder größer gemacht werden.
Doch trotz der teils unterschiedlichen Vorlieben, gibt es Gemeinsamkeiten: Auf dem Luxemburger Wohnungsmarkt finden sie, zumal in ihrer Preislage, nichts Entsprechendes. „In Luxemburg wird eher konservativ gebaut“, sagt Alex Hornung. „Ein Einfamilienhaus in der Cité oder ein Apartmenthaus“. Der Bankangestellte, der seine beiden Töchter mit zum Gespräch gebracht hat, ist ebenfalls Feuer und Flamme für das Projekt und zeigt auf ein Foto: „Das ist die Kalkbreite.“ Die Kalkbreite in Zürich ist eine vergleichsweise junge Wohnungsgenossenschaft, in der rund 256 Bewohner ganz unterschiedlichen Alters zusammenwohnen und leben, mit gemeinschaftlich genutzten Dachgärten und Innenhof, Waschküche und sogar einer Bibliothek.
In dem Gebäudekomplex, der 2014 wegen seiner originellen Bauweise unter viel Medienaufmerksamkeit eingeweiht wurde, gibt es außer Wohnungen noch Geschäfte, der Preis für eine Hundert-Quadratmeter-Wohnung liegt bei rund 2 000 Franken im Monat. Das ist für Schweizer Verhältnisse relativ günstig. In Deutschland oder Österreich entstanden die meisten Wohnungsbaugenossenschaften Ende des 19. Jahrhunderts, um vor allem Arbeitern – und später auch Beamten – bezahlbares Wohnen zu ermöglichen. Wohnungsbaugenossenschaften dürfen keine Gewinne als Selbstzweck anstreben; sie gehören den Mitgliedern und dienen ihren Interessen. So die Theorie. Das setzt allerdings voraus, dass die Mitbestimmung flach organisiert ist und funktioniert, was bei größeren Wohnungsbaugenossenschaften nicht immer der Fall ist. Grundsätzlich aber bestimmen nicht die Renditeerwartungen einzelner Anleger den Wohnpreis, sondern wird die Höhe der Miete entlang von sozialen Kriterien bestimmt und das so gewonnene Geld in die Wohnanlage reinvestiert.
Eigentlich etwas, was auch in Luxemburg mit seiner rasanten Wohn- und Baulandpreisentwicklung Unterstützer finden müsste. Zumal in der Politik, hat doch die blau-rot-grüne Regierung versprochen, etwas gegen die Wohnungsnot und die galoppierenden Baulandpreise zu tun. Abseits der Mikros äußern sich Beamten des Wohnungsbauministeriums positiv über die Initiative – gerade weil Wohnungsbaugenossenschaften unter Experten als ein wirksames Mittel gegen die Spekulation und zur Kontrolle der Preisentwicklung auf dem Wohnungs(miet)markt gelten. Weil aber die Zahl der Beamten, die inhaltlich arbeiten, dünn ist und zudem das Audit zum Fonds du Logement absolute Priorität im Ministerium hat, kommen die Beratungen dort nur langsam voran.
Einige Organisationen haben Interesse bekundet, beziehungsweise arbeiten an vergleichbaren Plänen. Die Caritas will ein ähnliches Projekt aufziehen, das betreutes soziales Wohnen bieten soll. Auch Gemeinden haben sich mit den Initiatoren um Claude Ballini und Alex Hornung in Verbindung gesetzt, Junglinster etwa sucht im Rahmen ihrer Landesplanung nach innovativen Konzepten, Esch hat kürzlich ein Mehr-Generationen-Projekt vorgestellt. Doch den letzten Schritt zu gehen, und der Ad-hoc--Plattform konkret Bauland, etwa in Form eines Erbpachtvertrags anzubieten, hat sich bislang keine getraut: Es gibt in Luxemburg kein Gesetz, das den Umgang mit Wohnkooperativen regelt, und bisher kennen viele Gemeinden das Konzept der Baugenossenschaft nicht oder nicht genügend, um zu sehen, was damit für Vorteile verbunden sein können.
Um solche Fragen zu beantworten, und um „vorbereitet zu sein, wenn es Ernst wird“, wie Paul Matzet es ausdrückt, macht ein Kern von rund 20 Teilnehmern von ad-hoc.lu nun Nägel mit Köpfen. In Arbeitsgruppen werden Statuten ausgearbeitet, David Hiez, Rechtsprofessor an der Uni Luxemburg, der sich auf Genossenschaftsrecht spezialisiert hat, berät zu juristischen Detailfragen. Nicht nur aus Forscherinteresse: Der Jurist unterstützt die Idee auch privat. Eine andere Gruppe kümmert sich um Finanzierungsmöglichkeiten. Anne Hoffmann und Joëlle Schlentz arbeiten dort mit: Joëlle war zuvor Lehrerin der Ökonomie, Anne Hoffmann arbeitete in der Verwaltung der Stadt Luxemburg. Ihre Erfahrungen kann die Gruppe gut gebrauchen. Expertenstimmen aus Deutschland, mit der die Ad-hoc-Leute gesprochen haben, warnen zwar, dass es bis zu drei bis fünf Jahren dauern kann, das stört die beiden nicht: „Es ist toll, Teil der Gruppe zu sein. Wir fühlen uns gebraucht. Das allein ist es wert“, sagen die beiden.
Joanne Theisen ist in der Konzeptgruppe und in der Empfangsgruppe, die Interessierte mit den neusten Infos versorgt. Gemeinsam mit ihren Mitstreitern versucht sie, die Wünsche in Form von Konzepten zu bündeln. Dass die Vorstellungen sich im Laufe der Zeit weiter verändern können, ist ihr bewusst, schreckt sie aber nicht ab: „Es kann sein, dass, je nachdem, was wir an Angeboten bekommen, sich die Gruppe noch einmal aufteilt. Das sehen wir dann“, findet sie. Auch Paul Matzet sieht die Möglichkeit, dass einige, je nachdem, wie lange die Suche dauert, ihrer Wege gehen könnten, gelassen: „Wir setzen uns dadurch nicht unter Druck, sondern versuchen, einen möglichst breiten Konsens zu finden. Und das Schöne ist, dass wir uns dabei besser kennenlernen.“ Neben regelmäßigem ernsthaftem Austausch in Arbeitsgruppen – etwa alle zwei Wochen – trifft sich der engere Kern auch mal zum Kaffee oder zum Brunch: „Es ist ein kontinuierlicher Kennenlern- und Lernprozess“, freut sich Grundschullehrerin Cindy Mazzarini. Ob es schlussendlich ein Ökodorf oder ein Apartmenthaus mit mehreren Wohneinheiten wird, müsse man abwarten. „Es kann plötzlich alles ganz schnell gehen“, sagt Alex Hornung. Im Juni, so der selbst gesteckte Zeitplan, sollen die Vorarbeiten in den Gruppen abgeschlossen sein. Vielleicht ist dann auch das Ministerium so weit, dem Projekt die Aufmerksamkeit zu geben, die es verdient.