Wie der Premierminister den Staatschef in die Schranken verwies

Balanceakt

d'Lëtzebuerger Land du 07.02.2020

Drachenbezwinger Er steht alleine vor einer Bestie. Ein weißer Löwe mit einer Krone auf dem Haupt. Der Löwe faucht mit Zunge, bäumt sich auf und zeigt seine Krallen, seine ganze Kraft. Aber der Mann muss sich nicht fürchten. Die Bestie hat sich von ihm abgewandt. Ihr Schwanz ist geknotet um die Wörter „Gouvernement du Grand-Duché de Luxembourg“. Premierminister Xavier Bettel kann in Ruhe seine Rede halten, er muss dem fauchenden Löwen hinter seinem Rücken keine Beachtung schenken.

Als der Staatsminister am Mittwoch vor die Presse tritt, ist klar, dass er einen Sieg errungen hat. Er hat sich gegen Widerstände am großherzoglichen Hof durchgesetzt, hat die Schlacht in der Öffentlichkeit für sich entschieden und kann gar die Opposition im Parlament auf seiner Seite zählen. Bettel hat das Kräftemessen mit der Monarchie gesucht und das Staatsoberhaupt des Großherzogtums Luxemburg in seine Schranken verwiesen. Nun liegt vor ihm ein roter Teppich, um als Reformer der Luxemburger Monarchie in die Geschichte einzugehen.

Frisch rasiert, maßgeschneiderter Anzug, aufgeweckter Blick: Bettel muss sich dieses Triumphs bewusst sein. Kühl und sachlich trägt er die Empfehlung des Berichts von Jeannot Waringo vor und vergisst dabei nie zu betonen, dass der Großherzog sämtliche Entscheidungen mitträgt. Mit ungewohnter Souveränität beantwortet er anschließend die Fragen der Journalisten, nutzt sie gar als Steilvorlage, um seine Argumentation für eine Modernisierung der Luxemburger Monarchie zu bekräftigen. Als hätte er nur darauf gewartet. Und so steht an diesem Tag auch weder der Großherzog, noch Jeannot Waringo, noch der Hofmarschall oder einer der beiden Vize-Premiers der Koalition mit am Rednerpult. Nur der Premier alleine.

Krise mit Anlauf Das Kräftemessen mit der Monarchie hat sich lange angedeutet. Bettel selbst nennt die Affäre Selva als Auslöser. Mitte 2015 tauchte die französische Beraterin aus Paris Chantal Selva im Palais auf. Ihre Mission: den Hof zu modernisieren. Das großherzogliche Paar wollte in Eigenregie und mit neuen Management-Strategien den Hof führen wie ein Unternehmen. Nur eben ohne Offenlegung von Bilanzen, ohne Kontrolle durch Aktionäre oder eines Verwaltungsrats und ohne klare Regeln. Das Projekt war eigentlich von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Denn eine konstitutionelle Monarchie ist eine Staatsform, beruhend auf einer Verfassung , und kein Unternehmen. Sie wird mit öffentlichen Geldern gespeist und muss sich im 21. Jahrhundert folglich den gleichen Transparenzregeln unterwerfen wie jede andere öffentliche Einrichtung auch. Und dennoch ließ das Staatsministerium den Hof zunächst gewähren.

Selva erstellt im Auftrag des Hofs ein neues Organigramm: Die Großherzogin war seither mit dem Großherzog hierarchisch auf Augenhöhe, und sie stellte mit André Grieu einen General Manager ein, der den Hofmarschall faktisch entmachtete. Der damalige Hofmarschall Pierre Bley verließ während dieses Prozesses den Hof und wurde durch Lucien Weiler ersetzt. Das Pikante: All diese Entscheidungen wurden ohne Contreseing von Premier Xavier Bettel getroffen. Weiler erhielt lediglich den vertraglichen Status eines freischaffenden Beraters und war kein Beamter wie die Hofmarschälle vor ihm.

Erst als im Juni 2016 auffiel, dass Chantal Selva eine Verurteilung in Frankreich verschwiegen hatte, schien Bettel sich seiner Verantwortung bewusst zu werden. Selva musste gehen. Der Staatsminister beanspruchte in Zukunft ein Mitspracherecht bei der Einstellung neuer Mitarbeiter der Kategorie A1, ein Abkommen wurde unterzeichnet. Das Problem: Der großherzogliche Hof hielt sich nicht daran, das Personalkrussell drehte weiter ohne Zugriff des Staates.

Der Waringo-Plan Es waren jedoch erst die Hilferufe aus dem Palais Anfang 2019 über die willkürlichen Zustände am Hof, die Bettel dazu veranlassten, durchzugreifen. Im Februar 2019 hat sich das Staatministerium mit den früheren Hofmarschälen Pierre Mores (2007-2013) und Pierre Bley (2013-2016) getroffen, um das weitere Vorgehen zu sondieren. Es ging darum, die Kontrolle am Hof zurück in die Hand des demokratisch gewählten Premiers zu geben, ohne jedoch die Monarchie an sich zu gefährden. Ein heißes Eisen, das Potenzial barg, zu einer nationalen Angelegenheit zu werden und durch eine emotionale Öffentlichkeit zu verglühen.

Es ist nicht klar, was am Anfang stand, der Name Jeannot Waringo oder der Plan eines Audits – jedenfalls entschied sich Bettel in Absprache mit den früheren Hofmarschälen dazu, eine ausführliche und transparente Analyse über die Zustände am Hof anfertigen zu lassen. Und in Jeannot
Waringo sah man die geeignete Person für diese Aufgabe: ein früherer Staatsdiener mit hoher Fachkompetenz und dem Ruf, über ein breites Kreuz zu verfügen bar jeder parteipolitischen Loyalität. Waringo war einverstanden und wollte den Auftrag sogar unentgeltlich erledigen. Eine kluge Entscheidung, denn sie stärkte seine Glaubwürdigkeit, im Namen des Rechtsstaats zu agieren und konterkarierte sämtliche Vorwürfe, Waringo sei lediglich ein Söldner, sein Bericht nur eine bezahlte Auftragsleistung.

Waringo erhielt dabei von Beginn an die bedingungslose Unterstützung von Xavier Bettel. Als er sich vertraulich mit Angestellten des Hofs zwischen den Regalen eines Cactus-Supermarkts treffen musste, die aus Angst vor Vergeltung nur dort offen reden wollten. Als die Großherzogin sich weigerte, mit Waringo zu reden, und auch der Großherzog von ihm Abstand nahm. Als er im Oktober 2019 gar einen Brief der großherzoglichen Anwaltskanzlei Kleyr-Grasso erhielt, der Waringo unter Druck setzen sollte und er sich als Störfaktor begriff. Und selbst als Waringo darauf bestand, dass er diese Episode schonungslos in seinem Bericht gleich auf der dritten Seite erwähnen wollte, stand Bettel vollkommen hinter ihm. Denn diese Geschichte war Teil des Systems, das es zu entlarven galt. Mit anderen Worten: Eine Reform für mehr Transparenz kann nur mit Transparenz beginnen.

Kritik trotz Triumph Für Bettel war es jedoch von Anfang an ein Balanceakt. Denn der Premierminister ist für die Entscheidungen und folglich auch Fehlentscheidungen des Großherzogs verantwortlich. Er muss sich die Kritik gefallen lassen, warum er den Alleingang des Hofs mit neuer Verwaltung nicht früher unterbunden hat. Warum der Hofmarschall Lucien Weiler ohne Gegenzeichnung des Premiers als Berater in Halbtagsstelle eingestellt wurde. Und vor allem: Warum es eigentlich soweit kommen musste.

Bettel selbst ist sich dessen bewusst, zeigt allerdings auch auf seine Vorgänger Jean-Claude Juncker und Luc Frieden (CSV), die bereits 2002 daran scheiterten, den Hof auf das Fundament eines modernen Rechtsstaats zu setzen. Der Premierminister ist auch für die Kommunikation des Großherzogs verantwortlich, deshalb machte Bettel bei der Pressekonferenz klar, dass er eine Mitschuld trage am Image-Schaden des großherzoglichen Hofs, der sich auch negativ auf das Bild des Landes auswirke. Aber Bettel sah sich in der Pflicht, das in Kauf zu nehmen, um noch größeren Schaden abzuwenden und verlangte deshalb von Waringo, gleich Reformvorschläge als Wege aus der Krise mitzuliefern. Diese liegen nun auf dem Tisch und sprechen eine klare Sprache. Ebenso deutlich waren die Schlussworte des Staatsministers am Ende seiner Konferenz: „Einen zweiten Waringo-Bericht können wir uns nicht leisten.“

Pol Schock
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