Veruntreuung von Anlagewerten

Die Spur führt in den Amazonas

d'Lëtzebuerger Land du 08.04.2010

„Die Personen sind nicht gestorben, wie im Modell vorgesehen“, erklärt Orion Life, eine Versicherungsgesellschaft mit Sitz in Brunei, ihren Kunden. Die Aussage macht ohne Umschweife deutlich, wobei es im Life-settlement-Geschäft geht: Den Tod, das Ableben von in diesem Fall amerikanischen Rentnern, die eine Lebensversicherung abgeschlossen und die Police weiterver-kauft haben. Das tun sie oft genug, weil die Prämienzahlungen parallel zum fortschreitenden Alter ansteigen, bis sich die Rentner ihre Lebensversicherung nicht mehr leisten können. Sie verkaufen ihre Police an Spekulanten, die übernehmen die Zahlung der Prämien und kassieren die Ansprüche – wenn die Versicherten sterben. Ein moralisch fragwürdiges, aber legal einwandfreies Geschäft, von dem sich viele Akteure hohe Verdienste erwarteten. Die jetzt ausbleiben.

Solche amerikanischen Versicherungs­policen sind das Sachvermögen hinter den meisten Anlageprodukten, welche die britische Firma Keydata britischen Anlegern, darunter viele Rentner, über Umwege verkauft hat. Sie kauften die als ISA-compliant und risikoarm angepriesenen Produkte, in der Absicht, die eigene Rente aufzubessern – das Individual-savings-account-Programm (ISA) erlaubt steuerfreie Anlagen bis zu einer gewissen Höhe. So warten, zugespitzt formuliert, britische Rentner darauf, dass amerikanische Rentner sterben, um ihren Lebensabend finanziell abzurunden. Keydata, die Firma, die ihnen diese Produkte verkaufte, ist seit Juni 2009 insolvent und wird fremdverwaltet.

In Zahlungsnot geriet Keydata allerdings nicht wegen der robusten Gesundheit amerikanischer Versicherten, sondern weil die britischen Finanzbehörden festgestellt haben, dass die verkauften Produkte falsch strukturiert waren und deswegen nicht den Anforderungen des ISA-Programms entsprachen. Das Finanz- und Zollamt ihrer Majestät forderte Keydata auf, Steuern nachzuzahlen. Die anfänglich auf fünf Millionen Pfund bezifferte Rechnung konnte Keydata, die zu diesem Zeitpunkt 2,85 Milliarden Pfund an Kundenvermögen verwaltete und 260 000 Anleger betreute, nicht stemmen. Daraufhin entdeckten die eingesetzten Verwalter von Pricewaterhousecoopers UK auf der Suche nach Käufern für Keydata Ende Juni 2009 ein Millionenloch. Ein Loch, das sich in Luxem­burg auftat, denn das war der Weg, den Keydata zur Strukturierung der Produkte genommen hatte. Die Intermediäre saßen in Luxemburg.

Die Keydata anvertrauten Kundengelder wurden zu großen Teilen in die Unternehmensanleihen von in Luxemburg registrierten Firmen investiert, darunter SLS Capital S.A., an die 103 Millionen Pfund gingen. Die Versicherungspolicen, die SLS mit den durch die Anleihen aufgetriebenen Gelder gekauft haben sollte, konnten die Verwalter indes nicht finden und erwogen daher die Möglichkeit, dass sie unterschlagen wurden. Weil SLS und die Schwestergesellschaft Life settlements Capital S.A., kurz LSC, seit Ende 2008 mit der Zahlung der Anleihezinsen hinterherhinkten, zog Orion Life, eine Versicherungsgesellschaft aus Brunei, die ebenfalls SLS- und LSC-Anleihen für ihre Kunden gekauft hatte, bereits Mitte Mai 2009 die Notbremse und beantragte die Liquidation der beiden Firmen beim Luxemburger Bezirksgericht. Auch Keydata, stellten deren britische Verwalter fest, hatte seit Monaten keine Zahlungen der Luxemburger Verbriefungsgesellschaften mehr erhalten, das aber vor den Kunden verheimlicht und in die eigene Tasche gegriffen, um deren Rendite auszuzahlen, als ob alles in Ordnung wäre. Rund vier Millionen Pfund streckte Keydata vor.

SLS war nicht die einzige Luxemburger Verbriefungsgesellschaft, deren Anleihen Keydata mit den Kundengeldern kauften. Daneben gab es noch Hometrak S.A., die einem Bericht der PWC-Verwalter von Keydata zufolge insgesamt 7,2 Millionen Dollar in zwei Wohnungsbauprojekte investierte, in Forestville, Maryland und Orlando, Florida. Auch das Geld ist weg. PWC stellt fest, die beiden Gebäudekomplexe seien nach der Immobilienkrise „negative equity“, Spezialistenjargon für wertlos. Immerhin existiert die Firma Hometrak zumindest auf dem Papier noch, ebenso wie die Firma Lifemark S.A., die ebenfalls in Life-settlement-Produkte investierte, sprich US-Lebensversicherungsverträge aufkaufte.

Nachdem das Keydata-Debakel in Großbritannien hohe Wellen schlug – Abertausende von Anlegern fürchteten um ihr Erspartes – wurde die Luxemburger Finanzaufsicht CSSF in Sachen Lifemark aktiv. Im November 2009 ließ sie durchs Gericht einen vorläufigen Verwalter bestimmen, der fortan von den Firmengremien über alle Transaktionen informiert werden musste. Eric Collard, KPMG, zum vorläufigen Verwalter bestimmt, fand die Firma in einer prekären Lage vor. Der Bericht, den er an die CSSF sandte, veranlasste die Finanzaufsicht vergangenen Februar dazu, die an der Luxemburger Börse notierten 248 Lifemark-Anleihen vom Handel zu suspendieren. Und verschaffte Collard ein neues Mandat beim Gericht.

Anfang Februar erhielt Collard für den Zeitraum von sechs Monaten umfassende Vollmachten, um die Probleme der Firma zu lösen. Probleme, die seiner Aussage zufolge vielfältig sind. Knackpunkt ist aber, wie ursprünglich auch bei SLS und LSC, dass die US-Versicherten nicht wie geplant sterben und deswegen die Einnahmen ausbleiben. Um die Ansprüche auf die Auszahlung der Verträge nicht zu verlieren, muss Lifemark weiter die Prämien zahlen. „Es ist aber nicht genug Geld da, um gleichzeitig die Prämien und die Zinsen auf den Anleihen zu zahlen“, sagt Collard. Deswegen wurden die Zinszahlungen ausgesetzt. Seit März gibt es für die Anleger kein Geld mehr. Betroffen sind insgesamt rund 25 000 britische Anleger, die auch über die alteingesessenen und konservativ angesehen building societies via Keydata in Lifemark investierten. Sie hatten sich entweder für monatliche oder vierteljährliche Zinsausschüttungen entschieden, die jetzt ausbleiben. „For many investors this would signify amendments to their income expectations which would be prejudicial to their financial security“, warnen die Keydata-Verwalter in einer Mitteilung.

Lifemark hat Anleihen im Gegenwert von zwischen 600 und 700 Millionen Dollar emittiert, die zu über 95 Prozent von Keydata gezeichnet wurden. Erschwert wird die Situation dadurch, dass die Transaktionen durch verschiedene Währungsgebiete laufen, das heißt, die Anlagegelder der Kunden und die Zinsauszahlungen an sie in britischen Pfund ausgestellt sind, während die Sachanlagen, die Versicherungspolicen, in Dollar ausgestellt sind. Lifemark hatte, so Collard, langfristige Verträge zu Absicherung des Währungsrisiko abgeschlossen. Auch mit dieser Problematik muss er sich nun auseinandersetzen.

Dass Luxemburg von Investoren als Verbriefungsplattform genutzt wird, sie also hier Firmen gründen, um Anleihen aufzulegen, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Erst vor wenigen Jahren wurde die Gesetzgebung angepasst, um Luxemburg als Standort für die Verbriefungsindustrie attraktiver zu machen, die Aktivitäten des Finanzplatzes zu diversifizieren. Das Gesetz von 2004 sieht vor, dass Verbriefungsgesellschaften nur dann eine Genehmigung von der Finanzaufsicht einholen müssen, wenn ihre Produkte au public, also an die Öffentlichkeit verkauft werden. Dann müssen zudem Bargeld und Anlagen bei einer Luxemburger Bank zur Verwahrung hinterlegt werden. Von den Verbriefungsgesellschaften, LSC, SLS, Hometrak und Lifemark, hatte nur letztere eine Zulassung als Verbriefungsgesellschaft eingeholt. SLS hingegen musste die Versicherungspolicen bei keiner Bank ins Depot legen, die das Verschwinden der Papiere hätte bemerken können.

Lifemark und die erst im März 2009 gegründete Lifemark II gehören jeweils zwei niederländischen Stiftungen, die ebenfalls Lifemark I und II heißen. Zwar ist im niederländischen Handelsregister keine Miteigentümerschaft der Keydata-Akteure nachzuweisen, doch Keydata-Gründer und -Chef Stewart Ford fungierte bei den Luxemburger Lifemark-Firmen als Administrateur. Hometrak, für das amerikanische Immobiliendebakel verantwortlich, gehört den gleichen niederländischen Stiftungen wie Lifemark.

Nun ermitteln mehrere Akteure nach den verschwundenen SLS-Millionen. Am 1. Oktober 2009 wurde Yann Baden als Liquidator für SLS und LSC eingesetzt, zu seinen Aufgaben gehört es, den Verbleib der Anlagen aufzuklären. Parallel ermittelt die Staatsanwalt, die sich nach Anordnung der Liquidation eingeschaltet hat. Auch das britische Serious Fraud Office sucht nach den 103 Millionen Pfund der Keydata-Kunden. In diesem Kontext wurde in Großbritannien auch die Frage gestellt, ob Ford und Keydata hinsichtlich SLS einfache Betrugsopfer sind oder aber mit im Boot der Betrüger saßen. Bislang reine Vermutungen, die von geschädigten Anlegern in Internet-Foren geäußert wird, weil sie keine andere Erklärung dafür sehen, dass Keydata die SLS-Zinszahlungen vorstreckte.

Der Groll der Anleger gilt zudem David Elias, der Medienberichten zufolge vergangenen Mai in Thailand an den Komplikationen einer Lungenentzündung gestorben sein soll. Er war der Mann hinter BWT Holdings Ltd, die auf der malaysischen Insel Labuan gemeldet war – auch diese Firma befindet sich nach Aussage von Orion-Life-Geschäftsführer Bruno Geissmann in einem Liquidationsverfahren. BWT Holdings war über ihre Tochtergesellschaft BWT Capital S.àr.l. in Luxemburg neben den Firmen Eureka Management Services und Island Services, beide in Labuan ansässig, Mitbegründerin von SLS sowie von LSC. Eureka Management wiederum war eine von zwei malaysischen Firmen, die im Juli 2008 in Luxemburg die Firma Rainforest Capital S.A. gründeten.

Ein interessanter Hinweis. Denn gegenüber den Orion-Verantwortlichen, die Elias zwei Monate vor seinem Tod trafen, um die Zahlungsschwierigkeiten von SLS und LSC zu erläutern, erwähnte der gebürtige Brite neue Investitionen in Amazonien. „Es scheint offensichtlich, dass Life-settlement-Policen von SLS und/oder LSC verkauft wurden. Zumindest ein Teil davon wurde in den brasilianischen Regenwald investiert. Zudem ist zu erwarten, dass Depotbanken, Banken und Buchprüfer, die in SLS und LSC involviert waren, für mögliches rechtswidriges Verhalten verantwortlich gemacht werden können, je nach den Ergebnissen der Analyse, die der Liquidator durchführt“, schrieb Geissmann Ende Januar 2010 an die Orion-Kunden, um ihnen Mut zu machen. Denn in der bisher einzigen offiziellen Mitteilung des Liquidators Baden heißt es: „(...) it does not appear that there are any remaining assets left“. Was heißen würde: Bei SLS ist nichts mehr zu holen.

Das glaubt Geissmann, der nach der Regenwald-Info von Elias weitere Nachforschungen angestrengt hat, eben nicht. Er räumte gegenüber dem Land ein, dass sich auf den Konten und in den Büchern von SLS nichts finden lasse. Das aber liege daran, dass nicht SLS direkt, sondern eine andere Firma Anteile an einer brasilianischen Firma hält, die den Regenwald gekauft habe. „Sie müssten unbedingt mit den malaysischen Behörden Kontakt aufnehmen. Dort liegen die Unterlagen“, lautet sein Aufruf an die Luxemburger Liquidatoren und Behörden.

„Mehrere Millionen Euro“, schätzt Geissmann, seien bei SLS insgesamt verschwunden. Denn nicht nur Keydata und Orion Life, auch andere institutionelle Anleger kauften SLS-Anleihen. Wie hoch die Forderungen, die beim Liquidator eingingen, genau sind, konnte bis Redak-tionsschluss nicht in Erfahrung gebracht werden – der Liquidator war nicht zu erreichen. „Ich würde erwarten, dass der Liquidator beim Zusammentragen der Fakten sehr aktiv ist,“ sagt Geissmann gegenüber dem Land. Das heißt, er soll herausfinden, welche Rolle alle involvierten Parteien und Organe gespielt haben. Außerdem erwartet Geissmann, dass der Liquidator gegebenenfalls „rechtliche Schritte unternimmt“.

Was sein nächster Schachzug ist, will Geissmann noch nicht verraten. Doch seine Forderung, die Gerichte einzuschalten, lässt vermuten, dass einer ganzen Reihe von Luxem-burger Finanzdienstleistern Klagen drohen könnten. Die von ihm geforderte enge Zusammenarbeit mit den malaysischen Behörden müsste eigentlich auch dazu führen, dass andere Luxemburger Firmen, die dem Elias-Imperium zuzuordnen sind, genauer untersucht und gegebenenfalls liquidiert würden. Wie BWT Capital und Rainforest Capital, wovon letztere wahrscheinlich mit der Absicht gegründet wurde, neues Kapital für die Amazonas-Investitionen auszuheben, deren Firmensitz aber bereits im Juni 2009 von einer Buchhaltungsfirma abgemeldet wurde.

An der Lifemark-Front verhandelt Verwalter Eric Collard derzeit mit mehreren Parteien, die Interesse angemeldet haben, ins Lifemark-Portfolio zu investieren. So soll die Struktur der Firma – gegen entsprechende Entlohnung – aufrechterhalten und verhindert werden, dass das Portfolio zusammenbricht und die 25 000 britischen Sparer ihre ursprünglichen Anlagen endgültig verlieren. Dass er Interessenten hat, ist ein gutes Zeichen, denn die internationale Life-settlement-Branche ist seit der Finanzkrise nicht besonders liquide. Hedgefonds und andere ehemals große Käufer von Life-settlement-Portfolios, so schreiben Fachpublikationen, seien nicht mehr so aktiv wie früher. Ein Umstand, der ursprünglich auch die Liquiditätsprobleme bei den Elias-Firmen SLS und LSC ausgelöst hatte – das zumindest schrieben die Anwälte Grundberg Mocatta Rakinson LLP im Auftrag von LSC an Orion Life.

Sollte es Collard nicht gelingen, Lifemark zu retten, muss sich Luxemburg auf neuerliche Imageschäden und Angriffe aus dem Ausland gefasst machen. Zwar sind die meisten Keydata-Anleger mittlerweile durch das britische Einlagensicherungssystem FCSC entschädigt worden, doch diejenigen, die noch kein Geld erhalten haben, bitten ihre Abgeordneten schriftlich, sich für sie einzusetzen. Zwar lag die Kontrolle über die Vermarktung der Keydata-Produkte in der Hand der britischen Finanzaufsicht FSA, doch das ist den wütenden Anlegern egal. Wer sich als Luxemburger auf den Internetforen der Keydata-Anleger einschreibt, wird dort nicht gerade eben freundlich begrüßt. Derweil bietet sich die Luxemburger Gesellschaft BWT Capital auf ihrer von Labuan aus gesteuerten Webseite an, als Spezialistin für die Aufstellung von Special purpose vehicles, sprich Verbriefungsgesellschaften unter Luxemburger Gesetzgebung. Wer sich dort erkundigen will, dem erklärt eine junge Frau auf Malaysisch, dass es keinen Anschluss unter dieser Nummer gibt.

Michèle Sinner
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