Anita Ekberg, Carmen Electra und Barbara Schöneberger mögen von ihrem künstlerischen Talent und ihrer Ausstrahlung her einigermaßen unterschiedlich ausstaffierte Damen sein, doch nach Auskunft etlicher durchaus einschlägig wirkender Internetseiten verbindet sie zumindest dies: die BH-Größe 80 D. Wenn man den eifrigen Sammlern derart bedeutsamer Daten trauen darf, ist das mehr als zum Beispiel Marilyn Monroe oder Mariah Carey aufweisen können, deren Oberweiten man wohl ohne weiteres als gar nicht wenig stattlich bezeichnen würde. 80 D ist also das Sigel für einen ungewöhnlich imposanten Vorbau, für Brüste, denen mit dem Raster der ewigen Apfel- vs. Birnen-Debatte nicht beizukommen ist, weil sie mit diesem und ähnlichem Kleinobst (Zitronen, Pfirsiche, usw.) einfach nicht zu vergleichen sind. Um solche Brüste geht es in Georges Hausemers neuem Roman.
80 D lautet der Titel (man verbeiße sich hier den Kalauer) dieses ziemlich lustigen Buches, das von einem Mann handelt, den man vermutlich nur als Romanfigur lustig finden kann. Für ihn stellt „80 D“ nicht nur die Idealmaße der weiblichen Brust, sondern sogar eine Art Inbegriff aller Weiblichkeit dar. „Seit ich denken kann, denke ich an Brüste,“ eröffnet er gleich im ersten Satz. Das ist zugleich die Ankündigung, dass diese Behauptung im Folgenden durch Belege eingeholt werden muss: In zu Kürzestkapiteln demontierten Episoden, die abwechselnd auf das Entstehen und den Verlauf der Brustobsession eingehen, berichtet der Erzähler von den Frauen in seinem Leben – mit starkem Fokus auf das Wesentliche natürlich.
Von Tante Keller mit dem moosgrünen Frottee-Morgenmantel, die auf ihn aufpasste, als er ein kleiner Junge war, über die sexuellen Horizonte, die sich ihm als Student eröffneten, hin zu Beziehungsversuchen, Affären und nur optisch verfügbaren Personen, wie der Putzhilfe oder der Tochter seines Tennispartners, besteht für den Erzähler das Entscheidende an diesen Frauen in ihren „sanft fließenden Bindegewebswellen“, und nichts lockt ihn mehr als die Verheißung, sein Gesicht in eben jene hineindrücken zu dürfen. Dass bei einer so männerspezifischen Obsession im Hintergrund eine defektive Mutterbindung spukt, würde vielleicht höchstens den Erzähler selbst wundern.
Mit seiner Beziehung zu Marlene, scheint die Suche an ihr Ende gelangt zu sein: In ihr hat der Busenfreund (...) die perfekten Brüste – eben in 80 D – und damit offenbar auch die perfekte Frau gefunden. Ein paar Jahre lebten sie in trauter Zweisamkeit, pflegten Rosen und Zebragrasstauden, fütterten die Goldfische und übten sich in mäßiger Empörung über die rauchenden Jugendlichen auf dem Spielplatz nebenan. Doch nun ist Marlene weg; sie hat einen Job in Frankfurt angenommen. Ohne sie geht es natürlich nicht und noch weniger ohne Brüste. Mit Marlenes Zustimmung sucht der Strohwitwer Trost bei einer Prostituierten und bandelt – das allerdings ohne Marlenes Zustimmung – mit der Frau eines ihrer Arbeitskollegen an. Da ist er dem Leser natürlich längst schon suspekt und man kann sich denken, dass sich die perfekte Frau diesen so gar nicht perfekten Mann nicht ewig gefallen lassen wird.
Allerdings – und das ist gleichzeitig irgendwie das Problem des Romans – ist dieser Busenfetischist und Frauenheld in Wahrheit ein ziemliches Hemd. Er glaubt an die Heilkraft von Mineralen, stärkt sich täglich mit mindestens einer Ration Kürbiskernen, ist allgemein ziemlich antriebsschwach und obendrein ein unverbesserlicher Hypochonder. Dass er nicht mit Marlene nach Frankfurt gezogen ist, führt er auf eine dubiose „Sache mit dem linken Bein“ zurück, die ihm auch gelegen kommt, wenn er gerade im Tennis verliert. Dass die Frauen in seinem Leben womöglich nicht die hysterischen Schreckschrauben sind, als die er sie zeitweise ausgibt, sondern dass die Defizite vielmehr auf seiner Seite zu suchen sind, wird dem Leser erst allmählich deutlich und am Ende dämmert es vielleicht sogar dem Erzähler selbst.
Doch während der Leser von Anfang an weiß, was den Erzähler an den Frauen fasziniert, wird schwer verständlich, was diese vielen, zum Teil nicht unintelligenten Frauenfiguren am Erzähler interessiert. Man würde doch meinen, dass jede halbwegs vernünftige Frau einen so unselbstständigen, unbeständigen und emotional unterbelichteten Kerl schellstmöglich in den Wind expedieren würde. Der Fehler liegt hier jedoch unter Umständen nicht oder nicht ausschließlich beim Autor. Frauen können schließlich auch seltsamen Obsessionen verfallen.
80 D ist ein unterhaltsamer, zügig und ganz angenehm zu lesender Roman, der bereits aufgrund einer sorgfältigen Aufmachung und eines sauberen Layouts einen überdurchschnittlich guten Eindruck in den Auslagen der einheimischen Buchhändler machen wird. Es bleibt abzuwarten, ob und wie Hausemers Versuch einer sanften Einfärbung der deutschen Sprache mit linguistischem Lokalkolorit („dicker Zeh“ für „großer Zeh“, „Pyjama“ für „Schlafanzug“ usw.) bei einer deutschen Leserschaft ankommt.