Die Fünftklässler Tonio, Lucie, Paul und Yves treffen sich nach der Schule fast täglich in einer verwilderten Wiese, wo sie sich im Gestrüpp mit Hilfe eines großen Pappkartons einen jener provisorischen Zufluchtsorte eingerichtet haben, die Kinder gern als „Hütten“ bezeichnen. Von diesem Versteck aus starten sie kleine Expeditionen zum angrenzenden Bauernhof, um dort Äpfel zu stehlen. Wer das alte Gebäude bewohnt, wissen sie nur vom Hörensagen: ein einsamer Mann namens Grisius, den seit Jahrzehnten kaum jemand gesehen hat und vor dem man die Kinder warnt. Unter diesen Voraussetzungen kann es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Rasselbande die Bekanntschaft von „Griss“ macht, wie der Eigenbrötler im Dorf genannt wird.
Die Begegnung wird für beide Seiten zum wahren Glücksfall: „Griss“ erweist sich als kinderlieber älterer Herr, der den Freunden einen Verschlag hinter seinem Haus als wetterfeste „Hütte“ anbietet, sie mit Limonade versorgt und sich hin und wieder zu ihnen gesellt, um ihnen Geschichten zu erzählen. Weil sie ihren Treffpunkt aber sowohl vor den Eltern als auch vor missgünstigen Schulkameraden geheim halten wollen, erzählen die Kinder niemandem von ihren Besuchen auf dem Bauernhof. Der gemütlich hergerichtete Verschlag ist ein ideales Versteck. Spätestens, als Paul abends einmal nicht nach Hause kommt, muss diese Geheimnistuerei zu Konflikten führen.
De Griss ist ein Roman für Kinder im höheren Grundschulalter, der von der Figurenkonstellation her stark an die Kinderbuchklassiker von Enid Blyton erinnert. Im Unterschied zu den Reihen Schwarze Sieben, Fünf Freunde oder Geheimnis werden bei Gast Groeber aber keine Kriminellen gejagt, und die Kinder sind auch sonst keinen ernsthaften Gefahren oder Schwierigkeiten ausgesetzt. Tonio, Lucie, Paul und Yves sind vier ganz normale Kinder mit ganz normalen Kindersorgen (Erwachsenwerden, Schulnoten), die sich gern mit der Art von Spielen vergnügen, die noch vor Jahren zu den ganz normalen Kinderspielen gehörten: an der frischen Luft sein, Hütten bauen, sich erst mit anderen Banden kloppen und sich dann wieder versöhnen, heimlich Ausflüge zu Orten unternehmen, die einem eigentlich untersagt sind.
Dass am Ende alles glimpflich ausgeht, dass sich Yves’ Eltern zum Beispiel doch nicht scheiden lassen und Paul doch nicht von zu Hause ausbüchst, sind noch die mindesten Anzeichen dafür, dass Groeber, trotz der Einfühlsamkeit, die er für die Probleme und Ängste der Kinder aufbringt, eine kleine heile Welt beschreibt, von der man sich nicht sicher sein kann, ob sie dem Alltag der meisten Kinder noch entspricht. Einen Hinweis dafür liefern die Details, mit denen Groeber seine Geschichte im Hier und Jetzt zu verankern sucht. Sie wirken zum Teil stark anachronistisch: So nachvollziehbar einerseits die Begeisterung der Kinder für Lady Gaga sein mag, so wenig ist es andererseits ihr Interesse für Bud Spencer und Alf. Auf diese alten Schinken sind Kinder schon lange nicht mehr angewiesen. Was der Roman nämlich vor allem ausblendet, sind die Neuerungen im Bereich von Kommunikation und Interaktion: Keines der Kinder hat ein Handy oder ein Smartphone, keines verspürt den geringsten Drang nach Computerspielen und Dauerfernsehsitzungen (Tonio spielt mit seinem Bruder Schach), keines nutzt das Internet, um sich in soziale Netzwerke einzuloggen.
Konsequenter Weise gehen die Streitereien mit den Schulkameraden nicht über Ohrfeigen und ein paar ausgerissene Haare hinaus. Während Kinder einander heute in der aufsichtsfreien Zone des Internet übelste Beschimpfungen an den Kopf werfen, deren Aggressivität vieles überschreitet, was sich die meisten Erwachsenen vorstellen mögen, haben bei Groeber noch eine wachsame Lehrerin und besorgte Eltern ein Auge auf die Streithähne.
Soviel Fürsorge, wie Groeber seinen Romanhelden angedeihen lässt, würde man jedem Kind wünschen. Ein bisschen nach Science-Fiction klingt es aber schon, wenn Pauls Eltern sogar einen Privatdetektiv engagieren, um herauszufinden, wo sich die Bande herumtreibt.
Möglicherweise versteckt sich hinter der dezidiert untechnischen Darstellung der pädagogische Anspruch des Buches: Kinder dazu zu ermuntern, die Bildschirme auszuschalten und zu sehen, was jenseits der Haustür alles passieren kann, und Eltern daran zu erinnern, dass sie immer noch die besseren Babysitter sind.