Angenommen, Sie investieren heute in eine Grüne Anleihe (green bond), das heißt in eine zinstragende Schuldverschreibung, deren Erlöse in Umweltprojekte fließen. Eigentlich eine hervorragende Sache, aber bis zur Fälligkeit Ihrer 30-jährigen Anleihe wird das Abschmelzen der Polkappen 300 Millionen Menschenleben gefährdet oder beendet haben, und das weltweite Ökosystem, das wir kennen, wird verschwunden sein; vielleicht zusammen mit dem von Ihnen geförderten Projekt. Wie sinnvoll und zielführend also kann grüne Finanz überhaupt sein?
Grüne Finanz ist eines der Schlagwörter unserer Zeit, aber trotz seiner Prominenz hochgradig diffus. Dies ist eine erste zentrale Herausforderung in der Debatte über das Ergrünen der Finanzwirtschaft. Eine auf dieser begrifflichen Ambivalenz fußende weitere Herausforderung ist das Schaffen von Rahmenbedingungen, die das Ergrünen der Finanzwirtschaft tatsächlich einfordert und ermöglicht, und damit so genanntes green washing nicht gelten lässt. Hier ist die Politik in der Pflicht. Politik und Wirtschaft müssen sich also nicht nur darauf einigen, was grüne Finanz eigentlich ist und sein soll, sondern auch auf Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Ergebnisse der grünen Finanz an ihrer Zielstellung auch gemessen werden können und werden.
Fragen Sie zehn Vertreter/innen aus Industrie, Politik und Gesellschaft nach ihren Vorstellung über grüne Finanz, und Sie werden zehn verschiedene Antworten erhalten. Grüne Finanz wird im Allgemeinen mit einem engen Fokus auf Finanzdienstleistungen über alle Anlagekategorien hinweg definiert, die einen ökologischen Nutzen bringen. Im terminologischen Dschungel lässt sich neben der grünen Finanz noch die ‚,nachhaltige Finanz“ (sustainable finance) finden. Nachhaltige Finanz ist begrifflich weiter gefasst und umfasst nicht nur Finanzdienstleistungen, die positive Umweltwirkungen erzielen sollen, sondern darüber hinaus auf impact investing in den Bereichen Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung abzielt, um neben dem finanziellen Gewinn vor allem positive soziale und gesellschaftliche Effekte zu erzielen.
Leider lösen die terminologischen Feinheiten nicht die inhaltliche Unschärfe, denn wie messen Sie die Wirkung (impact) von grünen oder nachhaltigen Finanzprodukten? Wie grün muss ein Investmentfonds, in den Sie investieren, sein, um als grün gelten zu können? Darüber herrscht immense Uneinigkeit, und diese begriffliche Ambivalenz lädt noch immer zur individuellen Interpretation ein.
Grüne Finanz vom Ende her gedacht, bedeutet eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung. Sie kann eine große Chance und eine wichtige Möglichkeit sein, unseren sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen mit konzertierten Maßnahmen zu begegnen. Dazu benötigen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag (manche fordern einen Green New Deal), der nicht nur auf sozioökonomische Verbesserungen abzielt, sondern vor allem die zentrale Umweltdimension gleichwertig mit einbezieht. Die potentielle Bandbreite eines solchen Vertrags lässt sich durch die folgenden beiden Entwicklungsextreme pro-growth und post-growth skizzieren. In anderen Worten, wir können unsere Wirtschaften entweder grün wachsen oder grün „schrumpfen“ lassen (schrumpfen nicht im Sinne von absoluter Schrumpfung, sondern im Sinne des Überwindens von Wachstumszwängen). Beide Standpunkte sind sicher ähnlich radikal; sie verdeutlichen dennoch die Notwendigkeit eines tiefgreifenden Veränderungsprozesses, einer Transition, auch in der und um die Finanzindustrie herum.
Diskurse zur Grünen Finanz werden auf ganz unterschiedlichen Ebenen aufgesetzt. Multilaterale Organisationen wie die Unep, Weltbank, Europäische Zentralbank und viele mehr spielen eine ebenso wichtige Rolle wie die Nationalstaaten, die wiederum über ihre Mitgliedschaften an diesen multilateralen Organisationen an der globalen Diskursbildung über grüne Finanz entscheidend mitwirken. Jeder Nationalstaat bettet logischerweise seinen Diskurs über den Stellenwert von Grüner Finanz in seine jeweilige nationale Ökonomie ein, die sich wiederum von Land zu Land deutlich unterscheiden. Während Länder wie Großbritannien, Luxemburg und Singapur auf die Finanzindustrie als Schlüsselindustrie setzen, versucht Deutschland die Grüne Finanz mit den an neuen Nachhaltigkeitskriterien ausgerichteten Produktionsmodellen (Industrie 4.0, Kreislaufwirtschaft und andere) in seinen Schlüsselsektoren Automobil- und Chemieindustrie auszurichten. Regelsysteme sind also tief in den nationalen Kontexten verankert, und die Implementierung harmonisierter internationaler Regeln zur Verfolgung eines gegebenen Grüne-Finanz-Ziels variiert entsprechend dem nationalen Wirtschaftsmodell.
Ein in meinen Augen enormes Defizit liegt in der weitgehenden Ausklammerung der Rolle der Finanzzentren im internationalen Diskurs um grüne Finanz und deren künftiger Gestaltung. Die Rolle der internationalen Finanzzentren wie Hongkong, London oder eben Luxemburg als Motoren und Gravitationszentren für Transitionen in der Finanzindustrie ist nicht nur weitgehend unerforscht, sondern scheint auch auf der politischen Ebene nur nachrangige Bedeutung zu erfahren. Im Dezember 2017 veröffentlichte das UN-Umweltprogramm (Unep) einen ersten, zaghaft explorativen Bericht im Bestreben, ein nachhaltiges Finanzsystem fußend auf und getragen von der Zusammenarbeit wichtiger „grüner“ Finanzzentren zu implementieren, um Vorteile neuer „ergrünender“ Initiativen zu nutzen und bestenfalls zu skalieren. Zur Erinnerung, eine Verständigung auf eine einheitliche Definition zur grünen Finanz gibt es (noch) nicht.
Finanzzentren sind zweifellos die zentralen Knotenpunkte im Nervensystem der globalen Finanz-
wirtschaft, in der sich spätestens seit den 1980er Jahren die Organisation und Kontrolle der (internationalen) Finanzaktivitäten konzentrieren. Die an diesen immer mächtigeren Finanzzentren ansässigen Banken, Vermögensverwalter, Börsen, Anwaltskanzleien und andere Beratungsdienstleister entscheiden vor allem an diesen Orten, welche Spielart der Grünen Finanz in Zukunft proklamiert und „produziert“ werden wird. Hinzu kommt, dass diese globalen Finanzdienstleister in der Regel an vielen Finanzzentren zugleich vertreten sind und dort ihre Interessen parallel ausspielen und geltend machen (können). Das heißt jedoch nicht, dass Stakeholder dieser globalen Finanzunternehmen keinen Einfluss auf die Aushandlungsprozesse innerhalb dieser Richtungsentscheidung haben. Allerdings ist zu beobachten, dass Interessenallianzen zwischen den Regierungen und der Finanzindustrie eng sein können.
Solch enge Allianzen können durchaus wichtige Signale setzen und positive Anreizwirkungen für die private Wirtschaft entfalten. Eine Welle an neuen ins Leben gerufenen Initiativen verdeutlicht gegenwärtig wichtige Entwicklungen, in denen Initiativen von den Regierungen, der privaten Finanzwirtschaft und transnationalen Organisationen gemeinsam getragen werden, um langfristig grüne Finanzierungslösungen für regional höchst unterschiedliche Problemlagen anzubieten. Singapurs Bevölkerung ist in den Wintermonaten beispielsweise immer wieder akuter Luftverschmutzung durch die anhaltende flächenhafte Brandrodung des Regenwalds im benachbarten Indonesien ausgesetzt. Unter anderem als Reaktion darauf hat die Singapurer Zentralbank gemeinsam mit dem WWF die Asia Sustainable Finance Initiative ins Leben gerufen, die sich nachhaltigen Finanzkriterien verschreibt, um Brandrodung und andere Formen der Umweltzerstörung durch die Finanzierung von nachhaltiger Forstwirtschaft und anderen Umweltprojekten zumindest einzudämmen.
Eine etwas anders gelagerte Strategie fährt Luxemburg. Das Finanzzentrum spielt seine Expertise als einer der weltweit führenden Investmentfondsstandorte aus und hat gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) eine Klimafinanzierungsplattform ins Leben gerufen. Der Staat Luxemburg investiert über den dort implementierten Green for Growth Fund in vielfältige Erneuerbare-Energien-Projekte im Nahen Osten und in Nordafrika.
Wie lassen sich solch unterschiedliche umweltverträgliche Finanzierungen und Finanzierungsinitiativen, die alle unter dem Dach-Label „Grüne Finanz“ firmieren, tatsächlich vergleichen? Wie lassen sie sich in ihrer Wirkung messen? Wie definieren Sie, was grüne/nachhaltige Finanz ist, wenn nicht nur die lokalen und nationalen Gegebenheiten, sondern auch die Interessenlagen vor Ort so unterschiedlich gelagert sind? Der Staat und die Finanzindustrie sind mächtige, gestaltende Akteure des institutionellen Wandels hin zur Grünen Finanz der Zukunft. Wie die nationalen Wirtschaften und Gesellschaften sich unterscheiden, unterscheiden sich jedoch auch Finanzzentren in ihrer Spezialisierung auf bestimmte Finanzindustrien. Jede dieser Subindustrien hat ihre eigenen Ökosysteme hervorgebracht, die wiederum sowohl in komplexe, oftmals supranationale Regelsysteme, als auch in unterschiedliche nationale Politiksysteme und Industriestrategien eingebettet sind.
Zudem ergänzen sich die Finanzzentren oft arbeitsteilig. Diese Arbeitsteilung kann etwa eine Abstimmung ihrer Regelsysteme beinhalten oder aber komplementäre Kompetenzen bei der Gestaltung von Finanzprodukten und -dienstleistungen. Die Institutionen und Funktionsweisen eines Finanzzentrums passen sich zudem an die anderer Finanzzentren an, um Wettbewerbsvorteile nicht an Konkurrenzplätze zu verlieren. Finanzzentren, die zuerst Standards setzen und Regeln implementieren, setzen in gewisser Weise internationale Orientierungsmarken, an denen sich nachfolgende Regelungen in anderen Finanzzentren messen lassen müssen. Luxemburg hat sich hier bislang gut positioniert, aber andere Finanzzentren lernen schnell und ziehen mit innovativen Ideen und weitreichenderen Initiativen nach (und sogar vorbei). Scheinbar neue Finanzzentren wie Casablanca betreten die internationale „grüne“ Finanzbühne, während andere, etablierte Finanzzentren wie New York im grünen Ranking gar nicht auftauchen.
Die Diskussion um grüne Finanz, die sich gegenwärtig hauptsächlich um den Erfolg und die Messbarkeit grüner Finanzprodukte dreht, muss also in größere strukturelle und gesellschaftliche Debatten eingeordnet werden, sofern sie wirklich als ein Instrument zur globalen Krisenbewältigung verstanden und eingesetzt werden will. Solch eine Transition zur grünen Finanz ist ein politisches Projekt, für dessen zukünftige Ausrichtung die internationale Staatengemeinschaft ebenso wie die private globale Finanzwirtschaft eine Schlüsselrolle spielen.
Noch ist offen, inwieweit Kontinuität oder Bruch mit dem bisherigen schuldengetriebenen Finanzsystem die grüne Finanz von morgen prägen werden. Es geht eben nicht nur um das Finden entsprechend grüner Labels und Anlagevehikel oder Finanzinstrumente, um grüne Legitimität nach jetziger Lesart für die Anleger/innen herzustellen. Vielmehr ist grüne Finanz eine große gesellschaftliche Verantwortung, in die sich nicht nur die Bereitstellung öffentlicher und privater Investitionen einfügt, sondern in den auch die Zivilgesellschaft sowie neue Formen alternativen Wirtschaftens auf regionaler und kommunaler Ebene mit einbezogen werden müssen. Auf diese Weise könnte grüne Finanz auch ermöglichen, neben der wichtigen ökologischen Dimension, die den Rückgang von Artenvielfalt, Boden- und Wasserqualität und vieles mehr adressieren kann, auch die in vielen Ländern erodierende finanzielle und wirtschaftliche Basis der Kommunen wieder zu stärken, die von den Globalisierungsgewinnen in den letzten Jahrzehnten abgekoppelt wurden.
Dies stellt Fragen nach den Motiven und Verantwortung finanzwirtschaftlicher Aktivitäten in den Vordergrund, die sich mit Zielen der Gemeinwohlorientierung, gesellschaftlichen Werten und Leitbildern endlich auseinandersetzen müssen. Grüne Finanz kann einen starken ein- und verbindenden Charakter entwickeln und eine wichtige Vorreiterrolle zur Stärkung unserer Umwelt, unserer Ökonomien und unserer Gesellschaften spielen. Die Weichen werden gegenwärtig gestellt.