Sie hat alles im Griff – und falls doch nicht, dann nur deshalb nicht, weil sie den offenen Dialog suche. So ungefähr erklärte Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) das Tauziehen um die Semesterfrage in den vergangenen Wochen, das mit einem – vorläufigen – Sieg der Gewerkschaften endete: Das Ministerium hat seinen Gesetzesvorschlag auf Eis gelegt. Im Rahmen der Reform der Lyzeen werde man darauf zurückkommen, so die Ministerin vor Journalisten.
Doch eine Petitesse, als die die Ministerin ihre Kurskorrektur darstellt, ist sie nicht. Zum einen drängen Schulleitungen darauf, schnellstmöglich auf den Semestermodus umstellen zu können. Denn mit den Semestern sollte auch die hohe Dichte an Prüfungen und Zeugnissen gelichtet werden. Dazwischen bleibt nämlich kaum Zeit für die Betreuung, für individuelle Förderung der Schüler und für Elterngespräche.
Zum anderen aber, und das wiegt schwerer, war das Hin und Her völlig unnötig. Denn um Semester einzuführen, hätte es keine sofortige Änderung der Ferien gebraucht. Dass die Gewerkschaften allergisch auf jede Geste reagieren würden, die sich wie ein Angriff auf ihre tâche lesen ließe, hätten sich die Ministerin und ihre Beamten eigentlich denken müssen: Die Neubewertung der tâche vor vier Jahren ist noch immer nicht verdaut, die Nerven liegen zudem wegen der bevorstehenden Gehälterverhandlungen im öffentlichen Dienst blank.
Nun aber, gestärkt durch den kurzfristigen Erfolg, verspüren die Gewerkschaften Rückenwind. Und das lassen sie die Ministerin spüren. Kurz nach ihrer Ankündigung, ihren Vorschlag zurückzuziehen, preschte die Apess voran und veröffentlichte kurzerhand ein internes Reflexionsdokument über die Vorschläge für eine neue Bewertung im Sekundarunterricht. Die Absicht ist klar: Die Gewerkschaft möchte das Thema, Herzstück der geplanten Reform im unteren Zyklus, früh besetzen und die Diskussion in ihrem Sinne beeinflussen.
Dass sie vom Unterrichten entlang von Kompetenzen nichts hält, daraus macht die Apess keinen Hehl. Nicht einmal das bessere Abschneiden der so genannten Proci-Schulen, die nach dem Kompetenzansatz arbeiten, bei der Pisa-Studie kann sie vom Gegenteil überzeugen. Mit ihrer Skepsis gegenüber neuen Lehrmethoden steht die Gewerkschaft nicht allein. Dass sich die Apess auf die Evaluation stürzt, hat taktische Gründe: Kein Thema erhitzt die Gemüter von Eltern und Lehrern so sehr wie die Bewertung. Das war bei der Einführung der compléments au bulletin in den Proci-Schulen so und wiederholte sich bei der Umstellung auf die bilans de compétences in der Grundschule. Was liegt näher, entlang der Verunsicherung zu mobilisieren?
Die Ministerin versucht nun, dem sich abzeichnenden neuen Protest die Spitze zu nehmen: Sie bevorzuge, das Punktesystem beizubehalten, wird sie nach dem Pressetreffen von RTL zitiert. Damit aber bremst die Ministerin das, was ihr angeblich so am Herzen liegt: eine offene Debatte über eine angemessene Bewertung. Was sagen 35 von 60 Punkten über den Lernprozess eines Schülers und seine Fähigkeiten aus? Und was über seine Förderung? Um diese zu planen, helfen neben summarischen Noten auch förderorientierte Beurteilungsinstrumente, wie es sie bereits in der Grundschule – und im Proci-Projekt – gibt.
Das setzt freilich eine andere Kultur in den Köpfen der Lehrer, aber auch der Eltern voraus. Und um sie muss mit sachlichen Argumenten in der breiten Öffentlichkeit geworben werden. Polemik und Denkverbote, ob von Seiten der Gewerkschaften oder des Ministeriums, sind da fehl am Platz.