Pisa 2009

Verantwortung

d'Lëtzebuerger Land du 09.12.2010

Nein, überraschend ist das schlechte Abschneiden Luxemburgs in der internationalen Bildungsstudie Pisa 2009 nicht: Es bestätigt einmal mehr, dass unsere Schüler in Sachen Lesen im internationalen Wettbewerb abgeschlagen auf hinteren Plätzen rangieren und die Bildungschancen in Luxemburg mit am stärksten von der sozialen Herkunft abhängen. Man kann die Studie der OECD kritisieren und auf die besondere Sprachensituation und den hohen Einwandereranteil unseres Schulsystems hinweisen, aber das tröstet kaum darüber hinweg, dass laut Pisa jeder vierte 15-Jährige nicht genügend lesen kann, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Das niedrige Niveau muss aber nicht nur die Jugendlichen sorgen. Verantwortlich für die Ausbildung der jungen Generation sind zunächst die Erwachsenen: die Lehrer, aber auch die Eltern und Politiker. Die sozialistische Bildungsministerin hat die Grundschulen neu aufgestellt. Die Umstellung auf einen kompetenzorientierten Unterricht, der den Einzelnen stärker in den Blick nimmt, sowie engere Konsultationen zwischen den Lehrern sowie Schule und Elternhaus sind der richtige Ansatz. Es wird aber eine Zeit dauern, bis diese neue Kultur des Lernens und der Zusammenarbeit Früchte trägt.

Es ist überdies zu befürchten, dass die Änderungen nicht reichen, um die enormen sozialen Ungleichheiten in unserem Bildungssystem zu beseitigen. Für die schwachen Schüler von heute kommen sie zu spät. Die Reform des oberen Sekundarunterrichts wird noch mindestens zwei Jahre brauchen – und sie geht nicht weit genug: Mit der Unterscheidung in Wahl- und Pflichtkurse, einem schlankeren Abitur und mehr Englisch vollzieht Luxemburg einen Trend, den andere EU-Länder längst umgesetzt haben – allerdings ist das allein noch keine Garantie für bessere Schulen.

Dass Luxemburg nicht gelingt, was Deutschland schafft, nämlich in den neun Jahren seit Pisa 2000 seine Schulen merklich zu verbessern, liegt auch an einer (zu) pragmatischen Bildungspolitik, die sich wenig traut, die Verantwortlichen in die Pflicht zu nehmen. Das sind zuallererst die Schulen. Es ist erwiesen, dass entscheidend für ein erfolgreiches Lernen die Qualität des Unterrichts ist. Deshalb gehört viel stärker als bisher die Arbeit der Lehrer und der Schulen hinterfragt. Es ist an ihnen, Förderkonzepte für eine immer heterogenere Schülerschaft zu finden.

Keine Frage, Luxemburgs Lehrer sind hochqualifiziert – in ihrem Fach. Aber ein Unterricht über Fächergrenzen und Lehrpläne hinaus, vielseitige Lehrmethoden und vernetztes Denken sind nicht ihre Sache; weshalb es von den Schülern erwarten? Einige Schulen haben sich auf den Weg gemacht: Im Projet cycle inférieur im technischen Sekundarunterricht betreuen Lehrer Schüler enger, Sitzenbleiben soll zur Ausnahme werden. Im Pisa-Test haben Proci-Schüler einen klaren Lernvorsprung. Aber es sind zu wenige – und wo bleibt das Classique? Echte Schul-autonomie heißt zudem, dass Direktionen und Lehrerkollegien überlegen, welche Angebote sie zusätzlich machen können, um ihren Schülern gerecht zu werden. Sie sind die Lernprofis.

Es ist an der Bildungspolitik, dafür den Rahmen vorzugeben: mehr Lehrplanfreiheit für die Schulen, aber auch mehr Rechenschaft, verpflichtende Weiterbildung für Lehrer im Umgang mit heterogenen Klassen, eine professionelle kohärente Schulentwicklung, die Abschaffung des Régime Préparatoire, um die Selektionslogik nach unten zu brechen, und vor allem eine Lehrerausbildung, die dem Fächer- und Einzelgängerdenken entgegensteuert. Überfällige Anpassungen an den Status quo anderer westlicher Länder, so viel ist sicher, reichen nicht mehr aus, um den Bildungsnotstand in Luxemburg zu beheben.

Ines Kurschat
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