Mit einer Video-Botschaft feierte Lakshmi Mittal diese Woche das zehnjährige Jubiläum der Fusion zwischen Arcelor und Mittal Steel. Der Präsident und CEO erzählte mit sanftem Lächeln, welch ein Erfolg der Zusammenschluss sei. Erstaunlich, denn während der Konzern 2006 einen Umsatz von 88 Milliarden Dollar und einen Gewinn von acht Milliarden meldete, betrug der Umsatz 2015 nur noch 63,5 Milliarden Dollar und unterm Strich stand ein Verlust von rund acht Milliarden. Im Jubiläumsjahr sieht es bisher nicht besser aus. Zwar konnte Arcelor-Mittal im ersten Halbjahr einen Gewinn ausweisen. Doch dieses Ergebnis ist weniger auf gute Geschäfte, als auf Sondereinnahmen aufgrund eines neuen Tarifvertrags in den USA zurückzuführen; der Umsatz fiel um 17,2 Prozent. Arcelor-Mittal-Aktien sind noch ein Bruchteil dessen wert, was Mittal 2006 bezahlte. Sie gelten bei den Rating-Agenturen als spekulativ, Ausblick negativ, trotz Kapitalerhöhung.
Dass es dem Konzern so schlecht geht, liegt am weltweiten Überangebot an Stahlprodukten und in der Folge niedrigen Preisen. Aber nicht nur. Die Strategie der vergangenen Jahre, verstärkt ins Minengeschäft zu investieren, ist bisher nicht aufgegangen. Denn die Rohstoffpreise sind ebenfalls gefallen, deshalb kann Arcelor-Mittal Erz und Kohle weder teuer an Dritte verkaufen, noch kann das Unternehmen voll von der Preis-Baisse profitieren, indem es sich bei Dritten mit billigen Rohstoffen eindeckt. Die Krise bei Arcelor-Mittal ist nicht nur der Stahlkrise geschuldet, sondern auch Managemententscheidungen. Und den hohen Schulden, die Mittal Steel mit in den Haushalt brachte. Das ist alles nicht neu und trotzdem fällt der Umgang damit in Luxemburg schwer. Seit Jahren baut der Konzern mit dem Argument, der Standort Luxemburg sei nicht kompetitiv, Stellen ab. Erst kürzlich wurde die Schließung des Schifflinger Stahlwerks endgültig besiegelt, obwohl von der Regierung bezahlte Experten 2012 darauf beharrten, das Werk könne rentabel betrieben werden. Das wollte damals kaum jemand glauben, so oft hatte das Arcelor-Mittal-Mangement wiederholt, es sei – abgesehen von ein paar extrem hochwertigen Nischenprodukten – nicht mehr möglich, kostendeckend in Luxemburg zu produzieren. Nun wird Bissen verkauft, obwohl die Neelfabrik Gewinne macht.
Wie stark das Stockholm-Syndrom ist, unter dem Luxemburg seit der Stahlkrise leidet, ließ sich vergangene Woche gut beobachten, als Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) Industrie-Investitionen von einer halben Milliarde Euro und die Schaffung fast 500 neuer Industriejobs bekanntgab. „Das hat es seit 15 Jahren nicht mehr gegeben“, so Schneider im Freudentaumel. Seine Ankündigung schien deshalb so unglaublich, weil er erst kürzlich, zur allgemeinen Erleichterung, Arcelor-Mittal durch ein Immobiliengeschäft den Verbleib des Firmenhauptsitzes in Luxemburg abgerungen hat. Während der Stahlkonzern damit drohte, seinen Sitz sowie die damit verbundene Besteuerung in Luxemburg aufzugeben, sind andere Firmen bereit, Produktionsanlagen in Luxemburg zu bauen. Eines davon stellt Joghurt her. Obwohl er sehr gut sein soll, ist er kein Hightech-Produkt. Die ehemals als Industriellenverband bekannte Business Federation Fedil verschickte eine Mitteilung, um dieses Bekenntnis zum Industriestandort Luxemburg zu bejubeln. Auch das ist bemerkenswert, denn die Unternehmerverbände fanden es bis vor kurzem schier unmöglich, in Luxemburg zu produzieren, bezeichneten den Mindestlohn als „Jobkiller“. Dabei wird übersehen, dass es heute mehr Beschäftigte in der Industrie gibt als vor 20 Jahren. Ein paar Betriebe müssen sich also mit den Rahmenbedingungen arrangiert haben, wenn auch nicht der Arcelor-Mittal-Konzern, der nicht länger größter privater Arbeitgeber ist.
Deshalb, und wenn Arcelor-Mittal versucht, seine offensichtlichen Schwierigkeiten als Succes story zu verkaufen, stellt sich eventuell sogar in Luxemburg die Frage, ob die Stahlbranche noch das Maß aller Dinge ist. Und, ob man alles für bare Münze nehmen kann, was ihre Manager, die in Arbeitgeberkreisen noch den Ton angeben, so äußern. Vielleicht würde sogar jemand den Unternehmergeist spüren und eine Firma gründen, ohne Trau dech!-Zurufe aus der Handelskammer, wenn diese nicht gleichzeitig erklären würde, die Unternehmen seien aufgrund mangelnder Wettbewerbsfähigkeit zum Scheitern verdammt.