„Das weiße Zeug auf dem Brot“, empfiehlt Françoise Hetto-Gaasch, Luxemburgs Tourismusministerin, den Pressevertretern auf der diesjährigen Internationalen Tourismusbörse (ITB) Anfang März in Berlin, „müssen Sie unbedingt schmecken.“ „Schmecken?“, fragt verdutzt die Medienvertreterin der Tageszeitung Neues Deutschland, einst Parteiorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Staatspartei der DDR. „Sie meint probieren“, sagt ihr Kollege, denn die Sozialistische Tageszeitung, wie sie sich selbst nennt, nähert sich nur im Doppelpack dem Reiseland Luxemburg. Die Journalistin reißt sich zusammen, schließt ihre Augen, hält den Atem an und beißt todesmutig in ein Stück Luxemburg. In ein echtes Stück Luxemburg. Das Großherzogtum zum An- und Abbeißen. Die Reporterin kaut. Langsam und bewusst. „Sie schmecken“, ruft Hetto-Gaasch, „Luxemburg hat mehr zu bieten als Geld.“
Der Slogan sollte bei der sozialistischen Schreiberin gut ankommen. Sie hat probiert. „Das ist ja Kochkäse!“ Die Enttäuschung im Gesicht des sozialistischen Reisejournalismus lässt sich nicht verbergen. Kochkäse. Simpler Kochkäse. „Den gibt’s bei Kaiser’s für 59 Cent“, empfiehlt sie. „Aber hier fehlt der Kümmel“, stellt sie fest. Und endet mit: „Naja. Geht so.“ Der Kollege legt das bestrichene Brot zur Seite und lässt sich lieber noch Crémant nachschenken. Da weiß man, was man hat. Dabei habe das diesjährige Messemenü, betont die Ministerin vom Rednerpult aus, die Kombüsenmannschaft der Marie-Astrid, Mutter aller Moseldampfer, eigens für die weltweit größte Tourismusmesse kreiert und zusammengestellt. Im letzten Jahr sei Lea Linster in Berlin gewesen, um das Großherzogtum als kulinarische Destination zu bewerben. In diesem Jahr gibt es neben den Kochkäsebroten grobe Klötze von Schinken. Das ist der Journalistin von den Sozen zu dekadent. Wie auch der Crémant. Doch das sind keine Gründe für eine Reise nach Luxemburg.
„Wenn Sie nach Luxemburg kommen, dann fahren Sie Rad!“, lautet die diesjährige Empfehlung des luxemburgischen Tourismusverbands. Einen ähnlichen Slogan hat auch Österreich aufgelegt, Lettland hingegen setzt auf das „Velo“, Island ruft zu einer Reise mit dem „Bike“ rund um Geysire, Vulkane und durch tiefe Schluchten. Der beliebteste Radweg in Deutschland sei der Wesersteig, ruft es in einer anderen Ecke der ITB. Selbst Uruguay empfiehlt, dass sich die pitoreskschönsten Ecken des Landes, die dunkelrotesten Sonnenuntergänge, die buntmöglichsten Vögelschwärme am besten, nachhaltigsten und natürlichsten beobachten ließen, wenn man sich mit dem Fahrrad zu den markierten Plätzen aufmache. Dass zwischen den einzelnen Punkten gerne mal hundert Kilometer liegen – in Uruguay, nicht in Luxemburg –, hält die Dame vom Tourismusverband des südamerikanischen Landes nicht davon ab, die Reise per Muskelkraft zu empfehlen. „Sie brauchen ja nicht die ganze Strecke zu radeln.“ „Sondern?“ Sie zuckt mit den Achseln. Hauptsache, man fährt Rad. Mit dem Velo über die Kurische Nehrung in Litauen, entlang der Donau von Passau bis Budapest, warum nicht auch durch das Ösling und entlang der Mosel? Selbst die Vertreterin der Malediven zückt nach einem langen Gespräch über die Schönheit des Atolls ihren letzten Trumpf: „Sie können sich auch ein Rad leihen, um das Eiland auf eigene Faust zu erkunden.“ Vorteil: Man sei bereits nach zehn Minuten mit der Robisonade per Drahtesel fertig und hätte noch mehr Zeit zum in der Sonne liegen, Schnorcheln oder Tauchen, gerne auch zum Sonnenbad, zum Bestaunen der Unterwasserwelt oder wer mag, kann sich auch ein wenig sonnen. Auf den Malediven. Wenn er nach dreißig Radrunden auf dem Atoll den Drehwurm hat.
Radfahren ist in auf der diesjährigen Tourismusmesse. Hetto-Gaasch kennt ihr Metier. Sie weiß, was der Markt nachfragt – und das ist der so genannte Aktivurlaub. Touristen, die diese Form der Ferien buchen, bleiben länger an einer Destination, als Reisende, die sich mal eben ein Kunstmuseum anschauen, um schon am nächsten Tag, in der nächsten Stadt, im nächsten Land das nächste Museum, das nächste Konzert, die nächste Sehenswürdigkeit zu begutachten. Im Gegenzug geben Kulturreisende jedoch mehr Geld vor Ort aus als Radfahrer, die am Abend mit Schwielen am Allerwertesten in die Kissen sinken. Doch das kuriert sich aus.
Statt ein Glied in der aus- und verwechselbaren Nächstenkette zu werden, möchte Luxemburg sich als Eldorado des Aktivurlaubs präsentieren. Und das ist Radsport, einzig Radsport, nichts als Radsport. Schließlich gibt es mit den beiden Schleck-Brüdern ja Weltklasse-Radfahrer. „Die sind doch bestimmt gedopt“, flüstert die neosozialisitsche Schreiberin aufmüpfig, während sie nach einem Glas Feier-sténgszalot greift. Die angegessenen Pfunde kann sie auf dem Aktivposten des Messestands direkt abtrainieren, wo man per Fahrradsimulation hinter den Schleck-Brüdern durch luxemburgische Landschaften radeln kann.
Doch dürfte Luxemburg als Velo-Destination bei Radfahrenthusiasten schnell an seine Grenzen stoßen. Statt tagelanger Touren entlang romantischer Flussläufe oder weitläufiger Kulturlandschaften ist man an einem Tag von Schengen nach Wasserbillig und am nächsten Tag von Wasserbillig nach Schengen geradelt. Vielleicht sogar: morgens hin, abends zurück. Dies kontert die Ministerin mit der treffenden Bemerkung, Tourismus kenne keine Grenzen. Dann auf Tournee in die Großregion: Lothringen versteckt sich gekonnt und gut auf dem französischen Stand der ITB. Das Saarland lehnt sich stark an Frankreich an und verkauft sich als deutsche Savoir-Vivre-Region – ohne sportlichen Radfahr-Ehrgeiz. Trier hat, wie sollte es anders sein, einen Gladiator in seiner Ecke stehen. Ja, im Kreis Trier-Saarburg kann man noch eine Velo-Tour machen. „Nach Luxemburg? Mit dem Rad?“, fragt die Dame der Obermosel-Saar Touristik. „Wat wollen se denn da? Wenn se de Saar und de Mosel hoch und runner gefahren sinn, dann sinn se müd genug.“ Im Saargau sind die Tourismus-Experten vielleicht schon einen Schritt weiter und versuchen ein neues Image zu kreieren. Trier-Saarburg als Wellness-Oase mit Viez-Wellness und Trester-Massagen. Tourismus ist längst ein Trendsport geworden, der jedes Jahr neue Attraktionen will, oder man hält an seiner eigenen Unverwechselbarkeit fest.
Ob diesem Wissen lud die Touristikministerin denn auch die luxemburgische Weinkönigin nach Berlin ein. In einem bodenlangen Kleid, das zwischen Zartrosa, Lila, Flieder und Mauve changiert, und dekoriert in einer lieblichen Schärpe, lächelt sie tapfer in die Runde und reißt die Neues Deutschland-Dame dann doch zu der Bemerkung hin: „Wie fährt man denn in dem Kleid Rad?“