„Du brauchst nicht zu wählen, der Boss kümmert sich drum. Alles ist entschieden, du kannst dich also entspannen und mit deinen Freunden feiern gehen“, sagt ein großer, breiter Mann im Anzug. Der düstere Blick seines Partners, der neben ihm an einem schwarzen Geländewagen lehnt, verrät, dass er wohl nicht fürs Reden bezahlt wird.
„Junge Menschen wissen nichts, die haben ja noch nichts erlebt. Die Zukunft gehört ihnen, aber wir müssen sie bestimmen, weil wir mehr Erfahrung haben“, sagt diesmal ein alter Mann, der auf einer Parkbank sitzt. Seine Freunde, ebenfalls hohen Alters, stimmen ihm zu.
Mit diesen provokativen Spots wollte der Nationale Jugendrat Moldawiens die Jugend des Landes für die jüngsten Parlamentswahlen mobilisieren. Innerhalb von zwei Jahren hat die junge Republik an der Grenze der EU zwei Wahlen, die jedoch keine Regierung hervorbrachten, erlebt, und ein Referendum über die Direktwahl des Präsidenten, bei dem die Beteiligung unter den obligatorischen 33 Prozent lag. Ende November wurde erneut gewählt. Die Videos wurden, wie auch ein eigens für die Kampagne geschriebener Rap-Song in Social networks im Internet verbreitet und dadurch regelrecht virulent: in der Hauptstadt Chisinau kennt sie so gut wie jeder Jugendliche.
Doch nicht nur neutrale Organisatio-nen, auch Parteien übernahmen die neuen Taktiken, um das Interesse der Bürger noch einmal zu wecken. Facebook und sein russisches Pendant Odnoklassniki (Klassenkameraden) wurden zum ersten Mal ausgiebig von Parteien genutzt. Sogar die Kommunistische Partei teilt sich ihren Anhängern über Twitter mit.
Was vor allem die Jugend ansprechen sollte, trug Früchte: Als am 28. November zum dritten Mal in der nun fast zwei Jahre dauernden Staatskrise ein neues Parlament gewählt wurde, nahmen fast 60 Prozent der Wahlberechtigten teil; beinah doppelt so viele wie beim Referendum letztes Jahr. Das Wahlergebnis allerdings überraschte viele: die Allianz für Europäische Integration, die aus vier liberalen Parteien besteht, konnte sich nur knapp gegen die Kommunistische Partei durchsetzen; um den Präsidenten stellen zu können, fehlen ihr zwei Sitze. Die Kommunisten, die das postsowjetische Land von 2001 bis 2009 mit eiserner Hand regierten, genießen nach wie vor großen Rückhalt: Fast 41 Prozent der Wähler entschieden sich für sie.
Igor Botan, der Vorsitzende der Vereinigung für partizipative Demokratie, führt den Erfolg der Kommunisten zum Teil auf ihre geschickte Propaganda zurück, die seit den Neunzigern mit der Sowjet-Nostalgie der älteren Generation spiele: „Der Ende der Sowjetunion war zwar eine große Erleichterung für die Bevölkerung, doch niemand wusste, was man mit der neu gewonnenen Freiheit anstellen sollte. Die Menschen hatten keine Kenntnisse, mit denen sie ihr Schicksal lenken konnten und so boomte der illegale Markt. Es war das totale Chaos“, erinnert sich Botan.
Die Wirtschaftskrise 1998 in Russland, die fatale Folgen für Moldawien hatte, bot perfekte Bedingungen für die politische Rückkehr der Kommunistische Partei. „‘Erinnert euch an euer Leben während der Sowjetunion, hattet ihr es nicht viel besser damals?‘, fragten sie die Bevölkerung und beschuldigten die Liberalen, das sowjetische Mutterland zerstört zu haben“, sagt Botan. Als die Kommunisten 2001 an die Macht kamen, hätten sie die Gelegenheit genutzt, den wirtschaftlichen Aufschwung der Region als ihr Vermächtnis darzustellen.
Die Partei hat mit der Ideologie des Kommunismus jedoch herzlich wenig am Hut: Familienmitglieder und Freunde des kommunistischen Ex-Präsidenten Wladimir Woronin besitzen große Teile der Alkohol-, Zucker- und Energieindustrie und gehören zu den reichsten Menschen in Moldawien, das als das ärmste Land Europas gilt. Woronins Sohn Oleg besitzt die größte Bank des Landes (FincomBank) und tritt zu den Feiern am 1. Mai am liebsten im Che-Guevara-T-Shirt auf. Das wird von großen Teilen der Bevölkerung nicht als Fehltritt angesehen. Kommunismus hat für viele einen traditionellen Wert, und politische Kultur ist in der Gesellschaft fast überhaupt nicht vorhanden.
Die Parteienlandschaft offenbart skurrile Tatsachen: Neben den Kommunisten gibt es die so genannte Humanistische Partei, die vom Ex-Chef des nationalen Sicherheitsdienstes geführt wird und für einen obligatorischen christlich-orthodoxen Glaubensunterricht plädiert. Homosexualität will die Humanistische Partei „abschaffen“. Ein anderes Beispiel ist ehemaliger Wirtschaftsminister Marian Lupu, der bis letztes Jahr hochrangiges Mitglied der Kommunistischen Partei war und bei den Wahlen im November plötzlich als Leader der Demokratischen Partei antrat.
Korruption ist ein großes Problem in der politischen Landschaft Molda-wiens, und viele Wähler sind entmutigt. Oleg, Anfangs 30, weigert sich zu wählen, denn es hat seiner Meinung nach „ja doch keinen Zweck“. Er will nicht „Teil dieses Zirkus“ sein, und in Moldawien bleiben will er sowieso nicht. Mit seiner Freundin Mariana redet er nicht gern über Politik, denn sie ist von seinem Verhalten enttäuscht. Sie wählt „gegen die Kommunisten“, für wen sie sich entscheidet, weiß sie allerdings nicht. Das ist unter Studenten und Jugendlichen in der Hauptstadt Chisinau eine sehr verbreitete Einstellung: man wählt nicht für eine Partei, sondern gegen die Kommunisten.
Üblich ist es auch, Arbeit im Ausland zu suchen oder dort zu studieren. Unzählige Einwohner beantragen die rumänische Staatsbürgerschaft. Moldawien ist bekannt für seine Massenauswanderung, die seit der Krise 1998 fast alle Familien betroffen hat: So gut wied jeder hat Verwandte die in der Türkei, Griechenland, Italien oder Portugal für sehr niedrige Löhne arbeiten und Geld nach Hause schicken. Im Jahre 2007 arbeiteten bis zu 340 000 Moldawier im Ausland. Moldawien hatte damals eine Bevölkerung von 3.7 Millionen. Vor allem Dörfer sind von diesem Phänomen betroffen: Auf die Frage, wessen Vater oder Mutter im Ausland lebe, hebt so gut wie jedes Kind in der sechsten Klasse in Lozova, einem Dorf nahe der Hauptstadt, die Hand. Manche der Kinder leben mit ihren Großeltern, da beide Elternteile ausgewandert sind. Für Hobbies, erklären sie, bleibe neben der Arbeit zu Hause fast keine Zeit.
Die Auswanderung hat nicht nur fatale Folgen für die Gesellschaft, die ohne die mittlere Altersgruppe klarkommen muss, sondern auch für die Wirtschaft des Landes. Laut Weltbank ist Modawien das Land mit den höchsten Heimatüberweisungen der Welt – sie machen rund 36 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. In Moldawien wird viel konsumiert, aber wenig investitiert. So sieht man neben den zerfallenden Wohnblöcken in der Hauptstadt teure europäische Autos, Designerläden, Kasinos und Einkaufszentren. Ein EU-Beitritt würde natürlich Investoren anlocken. Doch die anhaltende Staatskrise, der kalte Konflikt mit Transnistrien – einer abtrünnigen, von Russland kontrollierten Region im Osten des Landes – und die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland sorgen dafür, dass der EU-Traum noch in weiter Ferne liegt.
Auf die EU wollen viele Moldawier nicht warten. Sie haben mit ihrem Land abgeschlossen, und die Wah-len interessieren sie nicht. Die Jungen, die zurückgeblieben sind, setzen alles daran, ihren Eltern zu folgen oder in ein anderes Land auszuwandern. Jobs gibt es für diplomierte Arbeitsuchende nur wenige, und so befinden sich die besten Fachkräfte aus Moldawien im Ausland. Übrig bleibt die ältere Generation, die die meiste Zeit ihres Leben unter dem Regime der Sowjetunion verbracht hat und der „verlorenen Stabilität“ nachtrauert.
Doch nicht alle der nun zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig Jahre alten will wegziehen. Sie waren noch jung, als die Sowjetunion zerfiel, lebten als Teenager acht Jahre lang unter kommunistischem Regime. Die Erfahrungen, die sie in dieser Zeit machten, bewegten einige dazu für ihre Ideen zu kämpfen.
Oleg Brega, Moderator der bekannten TV-Show „Staatsfeind“, ist einer von ihnen. Er steckte während des kommunistischen Regimes oft Prügel von Polizisten ein, bis er anfing, sie bei jeder Gelegenheit zu filmen. „Sie haben heute Angst vor mir“, lächelt der Blogger und Gründer von Curaj.TV, einem kritischen Online-TV-Sender. Heute ist er in Moldawien bekannt für seine rebellische Art und die Unterstützung die er in seiner Show sämtlichen Protestbewegungen zuteilt. So zum Beispiel dem Centro 73, dem ersten Squat der Hauptstadt, in dem eine alternative Jugendkultur entsteht. Neben Theater- und Fotografie-Workshops werden von lokalen Aktivisten auch Filmabende und Diskussionsrunden organisiert.
Oleg, der im Centro 73 aktiv ist, versteht, wieso viele Junge Menschen wegziehen. Auch seine Brüder sind nach verschiedenen Zwischenfällen ausgewandert und haben Familien im Ausland gegründet. Auf die Frage, ob er ihnen eines Tages folgen wolle, schüttelt er den Kopf: „Ich habe keine Kinder und bin deshalb nicht auf das Geld angewiesen.“ Lächelnd und nicht ohne Selbstironie fügt er hinzu: „Außerdem bin ich ein Kämpfer.“ Und der Kampf um die Zukunft des Landes geht weiter: Zwei Wochen nach der Wahl hat das Verfassungsgericht auf Antrag der Kommunistischen Partei eine Nachzählung der Stimmen angeordnet.