Wer sich selbst auf Stöckelschuh und Handtasche reduziert, darf sich nicht wundern, wenn der Kampf um gleiche Rechte für Frauen und Männer in Tippelschritten vorangeht, hätten die Riot Grrrls in den 1990-er sicher gelästert. Zu den Markenzeichen der US-Punkrockerinnen gehörten, neben brachial-feministischen Songs über female empowerment und dem Kampf gegens Patriarchat, Dr-Martins-Stiefel und Give-a-fuck-Attitüde.
Wir sind aber nicht in Amerika, und auch nicht in den 1990-ern. Sondern 2017 in Luxemburg, wo anlässlich der Gemeindewahlen am 8. Oktober ein sozialistisch geführtes Chancengleichheitsministerium Votez-égalité-Kampagnen mit Models im Damenkostüm, mit Kussmund oder Moustache (nicht zu verwechseln mit dem Pornstache) sowie bourgeois-biederen Handtaschen finanziert, um Frauen für die (Lokal-)Politik zu gewinnen.
Dass das gelungen ist und sich die Zielgruppe angesprochen fühlt, ist nicht nur angesichts der harschen Kritik, die von FeministInnen gegen die Stereotypen erhoben wurden, zu bezweifeln: Laut vorläufigen Berechnungen des nationalen Frauenrats CNFL hat sich der Anteil an Kandidatinnen bei diesen Gemeindewahlen nur leicht, nämlich von 33,2 im Jahr 2011 auf nunmehr 35,5 Prozent erhöht. Vorläufig, weil bis Redaktionsschluss nicht alle Listen der kleineren Majorzgemeinden ausgewertet waren.
Anlass für selbstgefälliges Schulterklopfen oder Lob ist das nicht. „Wir würden natürlich am liebsten paritätische Verhältnisse sehen“, sagt Monique Stein vom CNFL. Der Frauenrat untersucht regelmäßig die Gemeinde- und Landeswahlen auf Geschlechterungleichheit und hat festgestellt, dass der Frauenanteil auf den Kandidatenlisten zwar erfreulicherweise von Mal zu Mal zunimmt, allerdings immer langsamer: Von 2005 auf 2011 stieg er um etwas mehr als drei Prozent, bei diesen Wahlen dürfte er bei rund zwei Prozent liegen.
Immerhin: Die umstrittene Eng-Posch-voller-Iddien-Kampagne der LSAP hat der Partei offenbar nicht geschadet. Auf der Pressekonferenz am Dienstag verwies Generalsekretär Yves Cruchten stolz auf einen siebenprozentigen Zuwachs auf 39 Prozent gegenüber 2011 in den Proporzgemeinden (zählt man die Kandidaten der Majorzgemeinden hinzu, verringert sich der Anteil wieder). Damit schrammen die Sozialisten knapp am selbstgesetzten Ziel von 40 Prozent vorbei. Die Parteien sind gesetzlich verpflichtet, bei künftigen Parlamentswahlen 40 Prozent Kandidatinnen aufzustellen; auf Gemeindeniveau gibt es nur eine freiwillige Selbstverpflichtung.
So geht es mit der politischen Partizipation und Repräsentation der Frauen weiterhin nur mühsam voran. Der Ablauf von Partei-Pressekonferenzen legt die strukturellen Stolperfallen schonungslos offen: An der Spitze der Parteienhierarchie stehen in der Regel Männer, die ihresgleichen fördern, die oft als erste das Wort ergreifen, während Frauen am Katzentisch Platz nehmen. So geschehen bei der LSAP am Montag, wo sogar die Jusos zwei Burschen vor die Mikros schickten. Kleiner Trost: Die Sozialisten können sich rühmen, eine der frauenfreundlichsten Liste im Land zu haben. In Hesperingen startet LSAP-Spitzenkandidatin Rita Velazquez-Lunghi mit einem Team von elf Frauen und vier Männern ins Rennen. „Da hat der Zufall regiert“, sagt Velazquez-Lunghi aufrichtig. Sie und ihre Mitstreiterinnen hätten sich bemüht, mehr Männer für die Wahllisten zu gewinnen und gezielt beide Geschlechter angesprochen. Gemeldet haben sich vor allem Frauen, was auch daran liegen mag, dass Velazquez-Lunghi einige Kandidatinnen aus ihrer Mitarbeit in Gemeindekommissionen kennt.
Etwas Überzeugungsarbeit habe sie schon leisten müssen: „Die erste Reaktion von Frauen ist oft: ,Ich habe keine Zeit’ oder ,Ich verstehe nichts von Politik’“, sagt Velazquez, die Frauen mehr Mut wünscht, ihren Platz einzufordern. Sie selbst kam zur Politik durch eine engagierte Frau: Die damalige, inzwischen pensionierte Hesperinger Bürgermeisterin und CSV-Abgeordnete Marie-Thérèse Gantenbein war es, die Velazquez angesprochen hatte und ihr die Lokalpolitik schmackhaft machte. Rita Velazquez sagte zu, allerdings bei den Sozialisten. Ihre Liste kann sich nicht nur in Sachen Frauenbeteiligung sehen lassen, auch der Anteil der Wahlluxemburger ohne luxemburgischen Pass ist beachtlich. „Das entspricht der Realität in unserer Gemeinde“, betont Velazquez.
Frauen-Power zeigen auch Déi Lénk, etwa in Düdelingen: Dort kandidieren 14 Frauen und acht Männer, darunter mehrere Politik-Neulinge. Für Spitzenkandidatin Carole Thoma liegt das „klar an den Inhalten“, die besonders junge Menschen ansprächen: Wohnungspolitik und Bürgerbeteiligung. Außer den Studentinnen sind die anderen Kandidatinnen eher über 50 Jahre alt, kein untypisches Phänomen: Frauen gehen auch deshalb seltener in die Politik, weil sie oft Beruf und Familie unter einen Hut bekommen müssen. Ohne familiäre Verpflichtungen ist es einfacher, sich politisch einzubringen – für Frauen. Denn während Kinder-Auszeiten bei ihnen als selbstverständlich gelten, sorgen Baby-Pausen bei Politikern wie dem deutschen SPD-Chef Sigmar Gabriel für hysterisch-alberne Schlagzeilen à la: „Er ist dann mal weg“ oder „Lieber wickeln statt twittern“.
Die Linken und Déi Gréng mussten sich schon bei den vergangenen Wahlen in punkto Frauenanteil nicht verstecken, wegen einer Rekrutierungspolitik, die von Anfang an auf paritätische Listen setzt. Die CSV hatte eine 30-Prozent-Frauenquote zwar als erste Partei festgeschrieben, allerdings für die Parlamentswahlen. Von den 600 christlich-sozialen Kandidaten, die sich in den insgesamt 105 Gemeinden zur Wahl stellen, sind 227 weiblich. Das sind 38 Prozent. Bei den Liberalen, energische Quotengegner, sind von 573 Kandidaten 35 Prozent Frauen, vier Prozent mehr als 2011, wie sich DP-Parteipräsidentin Corinne Cahen vergangene Woche freute.
Bei den Gemeindewahlen 2011 waren die großen Parteien in punkto Frauenförderung sogar von der ADR eingeholt worden. Dieser Trend dürfte sich dieses Jahr umkehren, zumal der ADR eine Kandidatin abhanden kam: Christiane Kies, Buchautorin und gelistet in der Hauptstadt, wo die ADR mit paritätischer Doppelspitze antritt, kündigte ihren Austritt aus der Partei an und kandidiert nun als „Parteilose“, nachdem sie im Internet durch rassistische Aussagen aufgefallen war. Das ist auch eine Form vom Gleichstellung: So gesehen, belegen Marine Le Pen vom Front national, Alice Weidel von der Alternative für Deutschland und jetzt Christiane Kies, dass Frauen in punkto braunem Hass oder Islamophobie den Männern in nichts nachstehen. In Luxemburg sind extreme rechte Positionen geschichtsbedingt (noch) verpönt, wie der Rausschmiss von Joé Thein aus der Petinger ADR-Sektion im Frühjahr zeigt, beweist. Allerdings macht der Aufwind der Populisten nicht von der Grenze Halt: Christlich-soziale Politiker buhlen mit islamfeindlichen Tweets um Aufmerksamkeit; die Anonymität im Netz trägt dazu bei, dass Frauen und Männer ziemlich gleichberechtigt ausländerfeindliches Gedankengut äußern.
Negativbeispiele in punkto Frauenbeteiligung in der Gemeindepolitik gibt es auch dieses Mal: Wie man(n) es nicht machen soll, zeigen die Majorzgemeinden Nommern und Erpeldingen, in denen nur männliche Kandidaten zu Wahl stehen. Vom Land kontaktiert, erklärt Fränk Kuffer, parlamentarischer Mitarbeiter der CSV und einer von elf Kandidaten in Erpeldingen: „Ich bin der erste, der das gern anders hätte. Es hat sich aber keine gemeldet.“ Man habe gezielt Frauen angesprochen, die Männer auf der Liste treffe „keine Schuld“. Fragt sich, inwiefern die Tatsache, dass außer dreier Neuzugänge fast die gesamte Herren-Riege, die bereits 2011 angetreten war, erneut kandidiert, dazu beigetragen hat, dass Frauen sich nicht angesprochen fühlten: Als einzige Frau unter lauter Männern ist vielleicht nicht jederfraus Sache.
Gruppenbilder mit (einer) Dame könnten es nach dem 8. Oktober öfters geben, denn dann dezimiert sich erfahrungsgemäß der Frauenanteil wieder. Obwohl Gemeinden wie Luxemburg-Stadt mit Colette Flesch und Lydie Polfer (beide DP) oder Esch-Alzette mit Lydia Mutsch und Vera Spautz (LSAP) an der Spitze starke Frauen-Vorbilder hatten und haben und jüngere Frauen nachrücken, siehe die Monnericher Bürgermeisterin Christine Schweich (LSAP), gilt weiterhin: Frauen werden seltener gewählt als Männer, da helfen die Appelle von Frauenorganisationen, Geschlechtskameradinnen zu wählen, wenig. Das liegt zu einem an der geringeren Auswahl an Kandidatinnen, zum anderen aber auch daran, dass Frauen wie Männer Rollenklischees verinnerlicht haben und Männer insbesondere bei „harten Themen“, wie Finanzen oder Verkehr, meist als kompetenter eingeschätzt werden – und sie diese Ressorts öfters wählen und seltener zögern, Führungsrollen zu übernehmen. Ohne dass sie zwangsläufig dafür geeigneter sind.
Wie tief Klischees sitzen und wie unbedacht sie immer wieder neu bestätigt werden, demonstriert ausgerechnet das Informationsmaterial, das die neue Zentrale für politische Bildung anlässlich der Gemeindewahlen verschickt hat: Während es die Beteiligung von Ausländern thematisiert, kommen Frauen darin nur am Rande vor. Im in Zusammenarbeit mit dem Kannerbureau Woltz erstellten Aufklärungsfilm Wat ass ee Biergermeeschter? weiß die Erzählerin: „In jeder Gemeinde gibt es einen Bürgermeister“, im Film gespielt von einem Jungen mit Schlips und Hut. Und was macht der Bürgermeister? Er weiht Spielplätze ein, schüttelt Omis die Hand und muss, weil er keine Zeit zum Kochen hat, im Restaurant essen, wo ihm die weibliche Servicekraft Spaghetti bringt. Zum Glück gibt’s zum Ausgleich das gratis beim Chancengleichheitsministerium erhältliche Pixi-Buch Mama ist Bürgermeisterin.
„Burn down the walls that say you can’t“, schrieb Kathleen Hanna von Bikini Kill im Riot-grrrl-Manifest wütend. Das war 1991. Heute haben Frauen und feministische Statements es längst in den musikalischen Mainstream geschafft. „Rock’s not dead. It’s ruled by women“, schrieb die New York Times kürzlich. In der Politik steht der Durchbruch von Frauen allerdings noch aus.