Gut zwei Jahre nach seiner Bestallung sitzt Ratspräsident Herman Van Rompuy fester im Sattel als je zuvor. So fest, dass ihm erst kürzlich ohne größere Diskussion auch noch die Führung der Eurogruppe übertragen wurde. Die Staats- und Regierungschefs sind offensichtlich von dem Mann, der ihre täglichen europäischen Geschäfte führt, sehr angetan. Van Rompuy zieht im Hintergrund die Fäden, wenn schwierige Sachverhalte zu lösen sind und darf sich inzwischen als einer der mächtigsten Männer der Europäischen Union fühlen.
Eine andere Entwicklung hat Lady Catherine Ashton hinter sich. Die Architekten des Lissabon-Vertrages hatten eigentlich ihren Posten als die zentrale Veränderung im europäischen Machtgefüge gesehen. Die EU-Außenministerin, die wegen britischer Einsprüche so nicht heißen darf, sollte nicht mehr und nicht weniger als zum Gesicht der EU in der Welt werden. Dies ist ihr nicht gelungen. In der EU-Außenpolitik spielen Deutschland, Frankreich und Großbritannien die wichtigste Rolle. An Lady Catherine Ashton denken nur Eingeweihte zuerst. Wer immer nur Pressemitteilungen absondert und sich ansonsten mit öffentlichen Äußerungen mehr oder weniger vornehm zurückhält, darf sich darüber auch nicht wundern.
Vergleicht man die Posten von Van Rompuy und Lady Ashton, so hat es der Belgier schon auf den ersten Blick einfacher. Er ist „nur“ für den Rat zuständig, seine Kompetenzen und seine institutionelle Einbindung sind klar. Bei Lady Ashton sieht das anders aus. Erstens trägt sie schon von Haus aus einen so genannten Doppelhut, das heißt, sie ist gleichzeitig Vizepräsidentin der EU-Kommission und ständige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Ministerrates. Zweitens steht sie mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) einer eigenen Behörde vor, die mit dem Ministerrat, den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission zusammenarbeiten muss. Lady Ashton kann sich nicht auf eigene Ressorts innerhalb der Kommission stützen. Dort sitzen Kommissare, die eifersüchtig über ihre Kompetenzen wachen. In der Praxis ist es zudem häufig so, dass der EAD über die Führungs- oder Entscheidungskompetenz verfügt, die Kommission jedoch über die Mitarbeiter und das Geld. Über die Mitarbeiter, weil die EU schon seit Jahrzehnten Delegationen in allen Winkeln der Erde stationiert hat, und über das Geld, weil Außenpolitik ja meistens in konkrete Programme eingebunden ist. Programme wie zu Entwicklungs- und Nothilfe, zur Wirtschafts- und Wissenschaftskooperation werden über die Kommis-sion abgewickelt.
Catherine Ashton allein für die Defizite der europäischen Außenpolitik verantwortlich zu machen, wäre ungerecht. Sicher ist, dass ihre Persönlichkeit und ihr politisches Leicht[-]gewicht dazu beigetragen haben, dass ihre Bestallung keine Erfolgsgeschichte geworden ist. Sie hat bisher nicht annähernd die Schuhgröße ihres indirekten Vorgängers Javier Solana erreicht, obwohl es in ihrer Amtszeit an großen Krisen nicht gefehlt hat, in denen man sich als Politiker profilieren kann. Den größeren Fehler haben jedoch die Mitgliedstaaten gemacht. Sie wollten um jeden Preis verhindern, dass die Außenpolitik in der Kommission angesiedelt wird. Sie wollten kein Außenministerium, sondern eine Person, die für sie sprechen, aber nicht handeln kann.
Es wäre wiederum leicht, die Briten als die Hauptverhinderer einer gemeinsamen EU-Außenpolitik hinzustellen. Richtig ist, dass die Unabhängigkeitsfanatiker von der Insel die Außenpolitik als die letzte Bastion ansehen, die sie zu räumen bereit sind. Die noch vor 100 Jahren mächtigste Nation der Welt ist noch lange nicht bereit, Außenpolitik anders als allein oder im freiwilligen Konzert zu konzipieren und auszuführen. Nicht viel anders sieht das Frankreich. Und zwar unabhängig davon, ob Nicolas Sarkozy oder François Hollande den nächsten Präsidenten stellt. In Frankreich ist lediglich das Bewusstsein für die immer knapper werdenden Ressourcen etwas größer als im Vereinigten Königreich. Beide Länder sind jedoch unangefochten die EU-Länder mit der größten außenpolitischen Kompetenz. Der Dritte im Bunde ist, allein wegen seiner Größe, Deutschland. Durch Nazi-Verbrechen und die Niederlagen in zwei Weltkriegen geprägt, ist Deutschland aber kein Bruder im Geiste für England und Frankreich, sondern der personifizierte Sonderfall. Am allerdeutlichsten wurde das in der Libyen-Krise. England und Frankreich haben Libyen im Grunde gegen den deutschen Willen befreit, eine europäische Außenpolitik war jenseits einiger Sank-tionen nicht zu erkennen.
In der Euro-Schuldenkrise hat sich der Bundestag zum eigentlichen Entscheidungsgremium für die Griechenlandhilfen aufgeschwungen. In der Außenpolitik liegt der Fall ähnlich, sobald militärische Kräfte eingebunden sind. Im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien muss der Bundestag der Entsendung auch nur eines einzelnen Soldaten zustimmen. Man mag über die beiden alten Kolonialmächte und ihren Phantomschmerz in Sachen Weltbedeutung schmunzeln, dass sie sich in der Außenpolitik vom deutschen Bundestag abhängig machen, kann man ihnen im Ernst nicht zumuten. Europäische Außenpolitik wird noch so lange unter den strukturellen Schwächen leiden, wie die EU-Staaten nicht bereit sind, ihre Außenpolitik inhaltlich und strukturell zu poolen. Wer in der Welt mitreden sein will, kann dies nicht mit einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners erreichen. Sein Wort muss Gewicht haben, weil jeder weiß, dass große Ressourcen dahinterstehen und er muss mitunter sehr schnell handlungsfähig sein. Beides ist in der EU auf absehbare Zeit nicht der Fall.