„Wir haben gegen starken Widerstand ein großes Stück Rentengerechtigkeit durchgesetzt “, schwärmte ADR-Präsident Robert Mehlen am Samstag. Er versuchte, jenen Kongressdelegierten der Alternativ demokratischen Partei Mut zu machen, die nach der erneuten Wahlniederlage vom letzten Jahr Zweifel an ihrer Partei hegten. Doch die Botschaft konnte auch heißen: Die ADR hat ihr goldenes Zeitalter längst hinter sich.
Seit das ehemalige 5/6-Komitee für Rentengerechtigkeit 1999 mit 11,3 Prozent der Stimmen sieben Abgeordnetenmandate erhalten hatte, geht es nur noch bergab mit ihm: Inzwischen hat es noch 8,13 Prozent und vier Sitze, seinen Fraktionsstatus hatte es schon 2006 durch den Parteiaustritt Aly Jaerlings verloren, kommunalpolitisch spielt es seit 2005 keine Rolle mehr, und der Traum, sich mittels NGL und Fédération syndicale einer national repräsentativen Gewerkschaft anzuhängen, zerplatzte bereits bei den Sozialwahlen 2003.
Die Kongressdelegierten schwiegen eisig hinter ihren mit kleinen Primeln verzierten Tischreihen im Kulturzen-trum von Perl. Vorwiegend Männer und Frauen aus bescheidenen Verhältnissen, die ihr Leben lang nicht um ihre Meinung gefragt worden waren. Sie hatten gehofft, dass die ADR ihren Ressentiments und ihrem Misstrauen endlich eine Stimme verliehe. Doch nun richteten sie ihre Ressentiments und ihr Misstrauen stumm gegen die eigene Partei.
Wie zuvor in der Parteiexekutive beschlossen, hatte Parteipräsident Robert Mehlen die Mitglieder gleich zu Beginn des Kongresses zu überreden versucht, doch nicht mehr an die Wahlniederlage zu denken. Schließlich befänden sie sich auf einem „normalen, statutarischen Kongress“, dessen Ziel „weniger Rückblick als neuer Ausblick“ sein soll. Außerdem habe man „einen guten Wahlkampf“ mit „klaren Aussagen und guten Kandidaten“ geführt. Doch die Wähler hätten den „angeblich sicheren Weg der CSV“ bevorzugt. Das war’s dann für Mehlen zum Thema Wahldebakel: „Deshalb ist mein Statement schon gemacht.“
Doch in Wirklichkeit finden viele ADR-Mitglieder, dass man gar keinen guten Wahlkampf mit klaren Aussagen und guten Kandidaten gemacht hatte. Die Zusammenarbeit mit dem antifeministischen Verein von Fernand Kartheiser halten sie heute mehr denn je für einen Fehler, weil die ADR dadurch über Nacht ihre Haltung gegenüber den Staatsbeamten um 180 Grad wenden musste. Dabei verlor die Partei nicht nur an Glaubwürdigkeit, sondern der Neid auf die Staatsbeamten war jahrelang ihr ganzer Geschäftsfundus. Durch einen Purzelbaum der Geschichte sitzt Kartheiser nun für die ADR im Parlament, während Parteipräsident Robert Mehlen sein Mandat verlor.
Kein Wunder, dass die Parteiführung versuchte, jede Diskussion über die Ursachen der Wahlniederlage zu verhindern. Um so mehr, als sie der Partei beim Referendum 2005 schon ein ähnliches Debakel beschert hatte, als sie sich nicht festlegen konnte, ob sie für oder gegen den Europäischen Verfassungsvertrag war. Und auch in der Verfassungskrise nach dem Euthanasie-Votum stolperte die ADR-Führung über ihren eigenen Opportunismus, als sie zugleich respektabel sein und aus der Krise politisches Kapital schlagen wollte. Gar nicht zu reden von der bescheuerten Kampagne für einen „City-Tunnel“.
Aber was sollte die Parteiführung den Mitgliedern schon sagen? Dass sie auch nur mit Wasser kocht und sich als die mieseste Taktikerin im ganzen Land entpuppte? Sie hatten schon alles nach der vorherigen Wahlniederlage gehört: Damals hatte das Aktionskomitee für Rentengerechtigkeit monatelang nach einem neuen Namen gesucht, weil „mit Renten kein Blumentopf mehr zu gewinnen“ war. Es hatte sich eine neue Grundsatzerklärung gegeben, ein neues Logo gekauft und desgleichen mehr. Und die Mitglieder glaubten bis Juni 2009 an die neue Aufbruchsstimmung.
Vielleicht warteten viele Parteigänger auch diesmal nur begierig auf den von Mehlen versprochenen Ausblick, um neue Hoffnung schöpfen zu können. Etwa wie die ADR, die kaum noch eine Rolle in der öffentlichen Debatte spielt, sich in Krisen- und Tripartite-Zeiten Gehör verschaffen kann.
Aber dann meinte Generalkassierer Jeff Engelen, dass die Wirtschaftskrise „Kurskorrekturen, eine Reorientierung des Wirtschafssystems verlangt“, und der ehemalige Gewerkschaftspräsident Gast Gibéryen klagte, dass „die Geldhaie auf dem Rücken der Menschen kassieren“. Doch Generalsekretär Roy Reding, ein liberaler Selbstständiger, tat das alles als Humbug ab und wünschte sich lediglich einen besseren Verbraucherschutz beim Wertpapierhandel. Und während das ehemalige LSAP-Mitglied Reding den Sozialisten die Schuld für alle Übel gab, machte das ehemalige CSV-Mitglied Mehlen stattdessen die Christlich-sozialen verantwortlich.
Die Kongressdelegierten hörten missmutig zu und blieben stumm. Dann stand die nach Kammerwahlen von den Statuten vorgeschriebene Neuwahl der Parteispitze auf der Tagesordnung. Mehlen und Reding kandidierten erneut für die Ämter des Parteipräsidenten und Generalsekretärs, Gegenkandidaten hatten sich keine gefunden. Die Delegierten füllten schweigend ihre Wahlzettel aus, nur einer blieb weiß, einer war, vielleicht aus Protest, ungültig. Die Wahlkommission zählte sehr lange, Kongresspräsident Nico Schroeder verschlug es zuerst die Sprache. Dann hatte der schon bei den Kammerwahlen desavouierte Mehlen bei 108 gültigen Stimmzetteln nur 71 Stimmen oder 66 Prozent erhalten bei 33 Nein-Stimmen. Roy Reding bekam gar nur 62 Stimmen oder 57 Prozent, 37 hatten gegen ihn gestimmt.
Nach zwei verlorenen Wahlen ist der Ruf nach neuen Leuten unüberhörbar, die „die Karre aus dem Dreck ziehen“, wie Mehlen das zu nennen pflegt. Doch die Partei der zu kurz Gekommenen, die „in der Mitte des Volks stehen“ will, kann sich andererseits nur schwer mit ihren neuen starken Männern, wie Roy Reding und Fernand Kartheiser, identifizieren, denen die Nöte der zu kurz Gekommen herzlich gleichgültig scheinen. Die Krise der ADR geht weiter.
Die Wahlniederlage im letzen Juni war um so schmerzlicher, als sie völlig unerwartet kam. Denn die Meinungsumfragen von TNS Ilres und Tageblatt hatten die ADR immer wieder als die große Wahlgewinnerin angekündigt, dass ihre politischen Gegner in Angst und Schrecken versetzt wurden. Das ermutigte die Partei zu pokern, und sie leistete sich den teuersten Wahlkampf ihrer Geschichte. Sie stellte großformatige Wahlplakate auf, dass selbst die CSV neidisch wurde. Sie organisierte in den Kirchberger Messehallen eine mit Statisten animierte, pompöse Wahlkampfschau. Sie ließ aufwändige Werbespots produzieren, für die sie teuere Sendezeit im Fernsehen kaufte, und verbreitete ihre Wahlkampfzeitung wiederholt im ganzen Land. So kostete der Wahlkampf am Ende 790 746 Euro plus 199 653 Euro für sonstige Kampagnen – kaum weniger als die 930 339 Euro, die beispielsweise die viel größere LSAP ausgab.
Doch die Meinungsumfragen hatten die ADR hereingelegt. Das Vabanque-Spiel, überhöhte Ausgaben bei einem Wahlsieg mit der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung und Parteienfinanzierung sowie den Abgaben von sieben Abgeordneten zu decken, ging schief. Die ADR bilanzierte letztes Jahr Einnahmen von 511 293 Euro bei Ausgaben von 1 290 341 Euro. Nach einem bescheidenen Gewinnvortrag aus dem Jahr 2008 von 18 613 Euro bleibt ein Verlust von 760 434 Euro. Mit vier Abgeordneten, die 78 800 Euro Abgaben zahlten, und 13 118 Euro Mitgliedsbeiträgen hat sich die Partei deutlich übernommen.
Der langjährige Generalkassierer Jeff Engelen stellte jedenfalls sein Amt zur Verfügung, seine Nachfolge tritt der bisherige administrative Generalsekretär Manuel Turmes an. Er darf die Konten einer ADR übernehmen, die zu einem guten Teil der Dexia Bil gehört und dafür letztes Jahr schon 31 797 Euro Zinsen zahlte.