„Le Parlement européen en action“ stand auf einer breiten Tafel mit den Porträts der sechs Luxemburger Europaabgeordneten. Die drei Abgeordneten, die vor 14 Tagen davor saßen, blickten aber bloß zerknirscht drein. Eigentlich hatten die sechs Luxemburger in Straßburg zu einer ersten Bilanz ein halbes Jahr nach den Europawahlen einladen wollen. Aber von den sechs hatten nur fünf eingeladen, Astrid Lulling (CSV) blieb auf Distanz. Und von den fünf, die eingeladen hatten, waren nur drei im zur Maison de l’Europe umgebauten Schuhladen Gilly erschienen. Frank Engel (CSV) und Robert Goebbels (LSAP) waren verhindert.
Fast hatte man den Eindruck, dass den Drei der Job keinen richtigen Spaß mehr macht. Dabei waren sie im Juni erstmals nach einer neuen Prozedur gewählt worden, bei der auf Doppelkandidaturen verzichtet worden war, um zu gewährleisten, dass sich nur hoch motivierte Kandidaten um einen Sitz in Straßburg bewarben. Statt sich zu freuen, dass der Vertrag von Lissabon nun endlich in Kraft ist und das Europaparlament neue Zuständigkeitsbereiche und Mitentscheidungsrechte bekam, wie sie auf jeder Wahlversammlung den Zuhörern erklärten, jammerten sie über das „schlechte Klima“ in den Institutionen.
Charles Goerens (DP), der bereits von 1982 bis 1984 und von 1995 bis 1999 in Straßburg saß, erkannte sein ihm liebes Europaparlament kaum wieder. Es habe sich verändert, ein ungeheurer Aktivismus herrsche, und gleichzeitig sei es nicht fähig, vor entscheidenden Gipfeltreffen, wie dem G-20 oder der Klimakonferenz in Kopenhagen, richtungsweisende Positionen zu beziehen. Und der Grüne Claude Turmes, der seit zehn Jahren Europaparlamentarier ist, beschwer-te sich darüber, dass das Parlament nicht einmal die Mandatsverlängerung der konservativem Kommission Barroso zu verhindern wusste.
Der Straßburger Neuling Georges Bach (CSV) schien seinen erfahreneren Kollegen aus dem Herzen gesprochen zu haben, als er seine Überraschung erklärte, wie „extrem der Personalzirkus“ sei. Der ehemalige Syprolux-Vorsitzende hegte den Verdacht, dass Europapolitik weniger das „große Friedensprojekt“ als nackte Interessenpolitik sei.
Auch befürchteten die sechs Luxemburger unter den mittlerweile 736 Europaabgeordneten, dass die Entscheidungsmacht wieder von der gemeinschaftlichen Methode zu den Verhandlungen zwischen den Regierungen zurückkehre. Goerens sah sogar einen „G-4“, der die EU dominiere – Frankreich, Deutschland, Groß-britannien und Italien –, und Turmes warf Kommissionspräsident Barroso vor, vor den vier Großen zu kuschen.
Robert Goebbels gibt allerdings gegenüber dem Land zu bedenken, dass die Institutionen der Union noch in einer Übergangsphase steckten, das neue Parlament sei gerade erst formiert worden, die Kommission werden erst im Januar angehört. Richtig sei allerdings, dass das Parlament nach den Wahlen vom Juni konservativer geworden sei, rund 100 Abgeordnete seien politisch überhaupt nicht richtig einzuordnen.
Auch wenn er sie nicht selbst verspürt, kann der für die CSV neu ins Europaparlament gewählte Frank Engel vielleicht die Niedergeschlagenheit mancher Kollegen nachvollziehen. Denn „die Zeiten im Parlament werden rauher“, so Engel gegenüber dem Land.
Dass die Luxemburger Europaparlamentarier sich bitter über die Personalpolitik in der Europäischen Union beklagen, hat vielleicht auch damit zu tun, dass Luxemburg dabei schlecht abschneidet. Kommissionspräsident Barroso nimmt kaumRücksicht auf die kleinen Mitgliedstaaten, als die OECD ihre graue Liste der Steueroasen ausgab, fühlte Luxemburg sich von seinen EU-Partnern verraten. Und die Abfuhr, die Jean-Claude Juncker bei der Wahl des ersten ständigen Ratsvorsitzenden erfuhr, wird auch als Abfuhr für die Luxemburger Europapolitik empfunden. Obwohl Engel meint, dass das alles Konflikte „zwischen Führern der Exekutiven“ gewesen seien.
Robert Goebbels glaubt, dass das Glück weiterhin dem Tüchtigen lacht. Astrid Lulling, Claude Turmes und nun auch er selbst als „Schattenberichterstatter“ seiner Fraktion zu alternativen Investionsformen zeigten, dass man auch als Abgeordneter aus einem sehr kleinen Land von seiner Fraktion Verantwortung in wichtigen Fragen übertragen bekommen könne.
Um gute Arbeit zu machen, müsse man zuerst Arbeit bekommen, wendet Engel dagegen ein. Doch insbesondere in den großen Fraktionen werde ein Verteilungsschlüssel angewandt, nach dem Vertreter kleiner Länder nur noch geringe Chancen haben, beispielsweise Berichterstatter zu einem wichtigen Entwurf zu werden. Deshalb schlägt er vor, dass sich die 13 Parlamentarier aus den Benelux-Staaten in der Fraktion der Europäischen Volkspartei zusammenschließen, um nicht übergangen zu werden.
Die sechs Luxemburger Europaabgeordneten scheinen sich heute weniger als nationale Vertreter denn als Vertreter unterschiedlicher Parteien zu fühlen. Die Zeiten sind vorbei, als die sechs sich regelmäßig zu Absprachen trafen und sogar nach dem Rotationsprinzip einen Präsidenten ihrer nationalen Delegation bestimmten. Einig sind sie sich bloß, dass Jean-Claude Juncker hätte Ratsvorsitzender werden sollen. Weil es besser für Europa und weil es besser für ihre Partei zu Hause gewesen wäre.