Vor zwei Wochen, am 9. März, gab der schwarz-rote Regierungsrat grünes Licht für den Aktionsplan Handicap. Er beinhaltet verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen. Genauer gesagt, geht es bei dem Plan darum, die im vergangenen Jahr endlich auch von Luxemburg ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention mit konkreten Hilfestellungen und einem Zeitplan zur Umsetzung zu versehen.
Bis dahin war, außer ein paar all[-]gemein gehaltenen Pressemitteilungen, über den Inhalt und die internen Diskussionen der elf ministeriellen Gruppen, die zur UN-Behindertenrechtskonvention arbeiten, wenig bekannt geworden. Lediglich die Behinderten-Selbsthilfegruppe Nëmme mat eis hatte den Vorstoß gewagt und die ersten internen Sitzungsberichte auf ihrer Homepage der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Darüber war, so ist zu hören, das Familienministerium not amused. Angeblich aus Datenschutzgründen wurden die Verantwortlichen gerügt, so dass es bei dem einmaligen Leck blieb.
Die Partizipation der Behinderten dürfte damit der spannendste – und umstrittenste – Punkt sein, wenn Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) ihren Plan, wie geplant, am 29. März offiziell vorstellt. Denn die mangelnde Beteiligung von Betroffenen ist seit vielen Jahren Anlass für immmer neue Kontroversen. Die Betroffenen fühlen sich nicht ausreihend wahrgenommen, die Gründung der Behinderten-Selbsthilfe Nëmme mat eis war die Folge.
Die UN-Behindertenrechtskonvention stellt nun eben dies aktives Mitgestaltungsrecht in den Mittelpunkt. Entsprechend saßen Vertreter von Trägerorganisationen im Behindertenbereich, des Familienministeriums und anderer Behörden, sowie der Betroffenen in den Arbeitsgruppen. Nach anfänglichen Zugangsschwierigkeiten, nicht immer war ein Gebärdendolmetscher da oder lang eine für alle verständliche Übersetzung vor, fällt das Fazit der neuen Zusammenarbeit durchwachsen aus. Während das Familienministerium in offiziellen Stellungnahmen stets die konstruktive Atmosphäre betonte, sehen Betroffene das anders.
Themen wie Barrierefreiheit oder Diskriminierung waren leichter zu diskutieren. Kniffeliger, um nicht zu sagen konfliktträchtiger, waren die Arbeitsgruppen, in denen es um weit reichende Forderungen der Behinderten ging. Die inklusive Bildung ist ein Dauer-Streitthema. Dort gingen die Meinungsverschiedenheiten Land-Informationen zufolge so weit, dass sich die Mehrheit der Arbeitsgruppe am Ende vom Resümee des Ministeriums distanzierte. Teilnehmer der Arbeitsgruppe hatten zunächst ihre Vorstellungen zur Papier gebracht, darunter die alte Kernforderung von Behinderten eine inklusive Schule für alle einzurichten und die spezialisierte Éducation différenciée der Regelschule unterzuordnen, verbunden mit der Forderung keine Kinder mehr in so genannte Classes de cohabitation aufzunehmen, beziehungsweise sukzessive die sonderpädagogischen Zentren aufzulösen.
Das Erziehungsministerium reagierte darauf zunächst nicht. Verspätet legte es dann ein Papier vor, das allerdings, so sehen es andere Teilnehmer der Gruppe, an den zwei Systemen, hier Regelschule, da Sonderschule, festhält. Obwohl das Ministerium die Édiff restrukturieren und eigenen Aussagen zufolge enger an die Regelschule heranführen will, bleiben die vorhandenen Strukturen und Gremien erhalten. Ihr Einfluss auf die Regelschule wird sogar ausgebaut (siehe d’Land vom 14.10.2011). Eine Entwicklung, die die Betroffenen äußerst kritisch sehen und auf keinen Fall unwidersprochen hinnehmen wollen. Doch ihr Einspruch und ihre zahlreichen Verbesserungsvorschläge fanden bei den internen Beratungen kaum Gehör, so dass es schließlich zwei Papiere gab: Ein radikaleres die Inklusion befürworendes Papier wurde offenbar mit elf von 16 Stimmen mehrheitlich getragen, die Regierung, allen voran das von der Édiff vertretene Erziehungsministerium, hält dagegen an ihrer Version fest. So dass man gespannt sein darf, welches der Papiere die Familienministerin am 29. März vorstellen wird. Eine Anfrage des Land im Ministerium blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Divergenzen inhaltlicher Art gab es auch in der Arbeitsgruppe 9, in der es um Autonomie und Inklusion ging. Während die Betroffenen einen regierungsunabhängigen Behindertenbeauftragten sowie die Einführung von persönlichen Assistenten für behinderte Menschen forderten, ist es dem Familienministerium damit nicht so eilig. Land-Informationen zufolge war der Vorschlag eines Beauftragten schnell wieder vom Tisch, die Familienministerin möchte ihn nicht. Bei der persönlichen Assistenz geht es um ein zentrales Instrument für das so genannte Self-Empowerment von behinderten Menschen. Statt über die Pflegeversicherung medizinische und Pflegeleistungen zu finanzieren, sollten Behinderte das Geld persönlich ausgezahlt bekommen, so die Idee, um sich eine Assistenz ihrer Wahl aussuchen zu können. Ein Modell, das in Deutschland Schule macht.
Auch hierzu hat sich das Familienministerium jedoch nicht durchringen können, offenbar fürchtet die Regierung die Kosten. Die Betroffenen werden also auch nach dem Aktionsplan, den sie unabhängig von der offiziellen Pressekonferenz kommentieren und deren Umsetzung sie später mit einem Schattenbericht begleiten und bewerten wollen, noch genügend Anlass haben, für ihre Interessen zu kämpfen.