Erzieher wollen Arbeitsbedingungen nicht länger hinnehmen

Angestaute Empörung

d'Lëtzebuerger Land vom 24.02.2012

Es ist ein Großereignis. Vom 2. bis 5. April 2013 soll in Luxemburg der Weltkongress der Sozialpädagogen stattfinden (www.worldcongress.lu). Nun suchen die Gastgeber noch Sponsoren. So richtige Freude will bei den Organisatoren, den Berufsverbänden der Luxemburger Erzieher und Sozialarbeiter, dennoch nicht aufkommen. Und das liegt an der Situation im eigenen Land.

Ende vergangener Woche hatte sich lang angestauter Unmut Luft gemacht. Zur Informationsveranstaltung im hauptstädtischen Cercle Cité, die die Berufsverbände Epes (Entente des professions éducatives et sociales), Apeg (Association professionnelle des éducateurs gradués) und Apel (Association professionnelle des éducateurs du Luxembourg) angesetzt hatten, um über Arbeitsbedingungen und Gehälterforderungen zu diskutieren, kamen statt der erwarteten 300 etwa 500 Erzieher. Und, darauf weisen die aufgebrachten Wortmeldungen hin, viele mit einer ziemlichen Wut im Bauch. „Et geet elo duer – elo oder ni“ heißt daher das Motto, mit der die Berufsverbände auf die verschärften Bedingungen im Sozialsektor aufmerksam machen wollen. „Es reicht wirklich“, sagt Apeg-Präsident Marc Pletsch. „Die Situa-tion ist schon länger nicht mehr hinnehmbar.“

Die Malaisen der Erzieher und Sozialpädagogen sind bekannt: Seitdem mit dem Maisons relais-Gesetz 2005 und der Einführung der Chèques service Kinderbetreuungseinrichtun-gen wie Pilze aus dem Boden schießen, machen flexible Betreuungszeiten, Stoßzeiten mit bis zu 200 Kindern und die allgemein starke Auslastung der Einrichtungen den dort Beschäftigten das Leben und insbesondere die pädagogische Arbeit schwer. „Viele müssen sich mit einer halben Stelle, ja, sogar mit 16, zwölf oder weniger Stunden zufrieden geben“, weiß Pletschs Kollege Paul Bressler von der Apeg. Teamarbeit wird so beeinträchtigt. Seit Jahren bemängeln die Verbände die Arbeitsbedingungen im Sozialbereich und dort vor allem in den Jugendhäusern und den Betreuungseinrichtungen – zunächst mit Konferenzen und Rundtischgesprächen, mit Pressemitteilungen und eindringlichen Appellen. Ein trauriger Höhepunkt war für viele im Sektor der Todesfall in einem Steinseler Kindergarten. Nun scheint der Geduldsfaden endgültig gerissen.

Der Schuh drückt nämlich noch anderswo: Seit Jahren fühlen sich die Sozialarbeiter und Erzieher unterbezahlt – und sie sind es auch, wenn man bedenkt, dass im Vergleich mit einem Lehrer ein Erzieher in der Grundschule zwar oftmals vergleichbare Tätigkeiten verrichtet, aber 40 Stunden Präsenz zu zeigen hat und trotz einer dreijährigen (mittlerweile auch universitären) Ausbildung Lohnrückstände zwischen 20 und 30 Prozent hinnehmen muss. „Über die Jahre kann das ein Einkommensverlust von bis zu 600 000 Euro bedeuten“, ärgert sich Bressler.

Allerdings kann man fragen, ob der Zeitpunkt gut gewählt ist. In der Krise, die auch Luxemburg erreicht hat, kommen Lohnforderungen nicht unbedingt gut an. Das wissen auch die Berufsverbände. Ganz darauf verzichten wollen sie aber nicht: „Die Forderung einer gerechten Bezahlung ist ja nicht neu“ , betont Marc Pletsch. Derzeit liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, der die Lohnstruktur neu regeln soll. Mit niedrigerem Endgehalt, aber, wie die Apeg anerkennt, immerhin mit einer schnelleren Lohnsteigerung. Allerdings – die geplante Bewertung von Beschäftigten des konventionierten Sektors stößt auf Kritik: „Es geht um Qualitätssicherung. Daher muss es eine externe Bewertung sein, die der Motivation dient“, betont Bressler. „Eine Bewertung allein durch die Vorgesetzten fördert Favoritismus“, warnt Pletsch. Er plädiert für konstruktive Mitarbeitergespräche und eine regelmäßige Supervision, „die neue Lösungen aufzeigen kann“.

Den Schwerpunkt legen die Berufsverbände schon aus taktischen Gründen auf die inhaltliche Kritik. Dass das Familienministerium gemeinsam mit dem Erziehungsministe-rium die Zusammenarbeit zwischen Maisons relais und Schule neu regeln will und an einer gesetzlichen Vorlage für verbindliche Qualitätsstandards arbeitet, tröstet sie kaum: „Wir kennen sie nicht und fragen uns, warum bei so einem wichtigen Thema niemand mit uns gesprochen hat“, wundern sich Bressler und Pletsch. Auf Land-Nachfrage war der Text, obwohl Anfang Februar im Regierungsrat beschlossen, nicht zu bekommen. Ob die Bestimmungen jedoch den Geburtsfehler vieler Maisons relais beheben kann, nämlich ihre, weit gefassten Zweck als Auffangstruktur für Kinder zwischen 0 bis 12/18 Jahren, mit und ohne Handicap, mit Essensversorgung, Hausaufgabenhilfe und außerschulischem Programm und so genanntem nicht-formalen Bildungsauftrag, ist die große Frage.

Tatsächlich wollte vor allem die CSV schnell verfügbare Einrichtungen mit möglichst flexiblen Öffnungszeiten. Konzeptuelle oder qualitative Vorgaben gab es keine, selbst Turnhallen kamen zu Beginn in Betracht, vielmehr erhöhte Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) den Anteil derer, die in der Kinderbetreuung auch ohne besondere Qualifikation arbeiten konnten. Ob das andere proklamierte Ziel, nämlich Kindern aus sozial schwachen Familien zu helfen, erreicht wurde, bezweifeln die Berufsverbände. „Die, die es sich leisten können, ihre Kinder privat betreuen lassen, werden das tun, während die anderen auf die Einrichtungen angewiesen sind“, vermutet Pletsch. Inwiefern das zutrifft, ist unklar: Bisher hat das Familienministerium außer allgemeinen Zahlen keine differenzierten Statistiken vorgelegt.

Ines Kurschat
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