Untätigkeit kann man Erziehungsminister Claude Meisch (DP) nicht vorwerfen. Es vergeht keine Woche, in der er und seine Beamten nicht Journalisten zusammentrommeln, um ein Reformprojekt, ein Konzept oder einen Gesetzentwurf vorzustellen. So auch am gestrigen Donnerstagmorgen. Dieses Mal ging es um eine Zwischenbilanz für Meischs bisherige Amtszeit. Die fiel erwartungsgemäß positiv aus: Von den rund 85 Maßnahmen habe man 45 umgesetzt, respektive werde sie zur Rentrée im September umsetzen, so Meisch. Das entspreche 48 Prozent der Vorhaben. Darunter so wichtige Neuerungen beim Zulassungsverfahren der Grundschullehrer, bei der Orientierung von der Grundschule auf die Sekundarstufe, bei den vereinfachten Bilans intermédiaires, die nach zwei Testjahren nun landesweit eingesetzt werden und ein achtstufiges Notensystem vorsehen, bei der Qualitätsentwicklung in der non-formalen Kinderbetreuung, die im September anläuft.
Ja, der DP-Politiker und sein Team haben in den zweieinhalb Jahren viel angestoßen und weiterentwickelt: Die Reform des Weiterbildungsinstituts Ifen in Walferdingen zum eigenständigen Institut, das bei der Umsetzung des Wertefachs eine entscheidende Rolle spielt. Auch aus der Umsetzung der Sekundarschulreform, ebenso wie aus den Professionalisierungsbemühen der Lehrkräfte im Bereich Schulentwicklung ist es nicht wegzudenken.
Die Einführung eines einheitlichen Wertefachs war, politisch gesehen, Meischs bisher brisantestes Dossier, sieht man von den Verhandlungen um die Sparmaßnahmen einmal ab, die er, nach anfänglichem Mauern insbesondere durch die radikalen Lehrervertreter, doch noch mit einem Kompromiss abschloss. Noch sind die Beratungen für das neue Fach „Leben und Gesellschaft“ nicht allesamt abgeschlossen, insbesondere die Vorstellung der Lehrinhalte für die Grundschule könnte erneut die alten Fronten und Reflexe mobilisieren. Schließlich geht es um die jungen beeinflussbaren Köpfe und ist die Zahl der Kirchenmitarbeiter hier besonders hoch. Andererseits steht der Rahmenplan auf einigermaßen festen Füßen und auch die Arbeitsgruppen scheinen nun besser zu funktionieren.
Vor einer Woche stellte Meisch überdies endlich die Sekundarschulreform vor, siehe d’Land vom 22. Juli, im Prinzip keine Strukturreform, sondern eine Fortentwicklung, Verfeinerung und Ergänzung von Ansätzen und Ideen, die bereits unter seiner Vorgängerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) diskutiert wurden. Anders als manche Medien schrieben, liegt die Innovation aber nicht in den organisatorischen Neuerungen. Wer über die Grenze schaut, weiß: Die Ideen der Sektionen, die Unterscheidung in Wahl- und Pflichtkurse gibt es in Deutschland schon seit über 20 Jahren. Mit dem abgespeckten Examen übernimmt Luxemburg eine Idee, die sich im Ausland längst bewährt hat, sogar im äußerst strukturkonservativen Frankreich wurde eine Reduzierung der Examensfächer von zwölf auf sechs angedacht, nur noch nicht umgesetzt.
Die eigentliche Innovation, wenn man so will, besteht in einer professionalisierten Schulentwicklung mit einer Beobachtungsstelle, die bildungspolitische Trends beobachten und Empfehlungen zur Verbesserung aussprechen soll. Das Fundament für eine systematische Schulentwicklung und ein begleitendes Monitoring wurde von der vorigen Regierung unter Leitung des damaligen Script-Direktors Michel Lanners gelegt. Doch eben diese Professionalisierung könnte in den Gebäuden noch für Kontroversen sorgen. Neben den Gewerkschaften waren es die Lehrerkomitees, die gegen Delvaux’s Sekundarschulreform am heftigsten protestierten. Damals war die inhaltliche Auseinandersetzung überlagert vom Streit um das Beamtenstatut, am Ende stand ein wackeliger Kompromiss. Diese Hürden sind zumindest aus dem Weg geräumt, so dass zu hoffen ist, dass sich die Kontroverse nun versachlicht.
Die Lehrerkomitees fürchteten nicht nur Sparmaßnahmen, sondern auch einen sinkenden Einfluss. Der neuerliche Anlauf, die Sekundarschulen zu modernisieren, wird daher nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Mehrheit der Lehrer mitzunehmen. Mehr pädagogisch-didaktische Dynamik in den Schulen bedeutet unter anderem, dass mancher Lehrer lernen muss, nicht nur sein Fach und seine Unterrichtszeit zu sehen, sondern stärker an gemeinsamen Zielen zu arbeiten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ihre Mobilisierungskraft nicht zu unterschätzen ist, wenn sich Lehrer auf die Füße getreten fühlen.
Ein originäre Idee von Meisch und seinen Beratern ist die sprachliche Früherziehung in Kinderkrippen und -tagesstätten, die ebenfalls kürzlich vorgestellt wurde. Der Minister verweist auf bestehende Pilotprojekte, doch hier gibt es mehr offene Fragen, als das Ministerium glauben lassen mag. Einerseits die Ressourcen betreffend: Woher sollen die Betreuungseinrichtungen die Expertise und das Fachpersonal zur bilingualen Erziehung nehmen? Dann aber auch, grundsätzlich, die Frage, ob die staatliche Förderung von Französisch und Luxemburgisch wirklich ausländischen Kindern den Zugang zum Luxemburger Schulsystem erleichtern wird. Das Konzept enthält Prämissen, die wissenschaftlich nicht belegt sind, etwa die berühmt-berüchtigte Brückenfunktion des Luxemburgischen, derzufolge ausländische Kinder, die Luxemburgischkenntnisse erwerben, besser Deutsch lernen.
An der Initiative zeigt sich zudem, dass es mit der viel beschworenen Konsultation und Partizipation „aller Akteure“, die Meisch oft beschwört, nicht immer weit her ist. Ursprünglich hatte der Minister auch da versprochen, die Suche nach einem Sprachenkonzept eng mit Sprachwissenschaftlern der Uni Luxemburg zu koordinieren. Als sich abzeichnete, dass die Diskussion kompliziert würde, und bei einem ersten Treffen bereits deutlich kritische Töne zum bilingualen Ansatz erklangen, wurde die Kindheitsforscherin Claudia Seele von der Uni ans Script geholt, um das Konzept gemeinsam mit den zuständigen Beamten zu entwickeln. Derzeit ist sie beurlaubt, jetzt arbeiten Beamte am Feinschliff sowie an der Fortführung. Denn am Ende soll ein Sprachenkonzept für die gesamte Schullaufbahn stehen: von der Krippe bis zum Hochschulabschluss.Politisch-taktisch mag es für die Vorgehensweise plausible Gründe geben: Immerhin wird seit Jahren, nein, Jahrzehnten über den Stellenwert von Mehrsprachigkeit in der Schulausbildung gestritten, ohne dass es ein kohärentes Sprachenkonzept gäbe. Gleichwohl hat die Auseinandersetzung, ebenso wie die unglückliche Hand Meischs bei der Erstellung von Rahmenlehrplänen für die Sekundarstufe (d’Land vom 14.12.2015) Spuren, wenn nicht Dellen in der nicht immer einfachen Beziehung zwischen Ministerium und Universität hinterlassen.
Für eine hochwertige Bildungsdiskussion ist das ein echtes Problem: Woher soll die (wissenschaftlich fundierte) Kritik an bildungspolitischen Plänen kommen, zumal einige wichtige Experten, wie der Bildungsforscher Romain Martin, mit anderen Aufgaben voll ausgelastet sind? Wer, außer den Interessengruppen der Lehrerkomitees oder Gewerkschaften, könnte die Ansätze sachbezogen auf ihre voraussichtliche Wirksamkeit überprüfen? Es sollte bei der Bildungspolitik nicht darum gehen, nur deshalb neue Ansätze zu verfolgen, weil plötzlich eine andere Regierung am Ruder ist. Bildungsreformen brauchen Zeit. Fünf Jahre sind sehr wenig, wenn es darum geht, tiefergehende Reformen zu entwickeln, zu diskutieren und dann, gegebenenfalls, umzusetzen. Zumal ein neuer Minister stets eine Anlaufzeit braucht, um sein Ressort kennenzulernen.
Die Medien haben bislang leider auch nicht immer eine glückliche Figur gemacht: Schulreformen klingen oft technisch, obwohl sie weitreichende Auswirkungen auf die nächsten Generationen haben können. Oft wird nur informiert, aber viel zu selten analysiert, was Pläne konkret bedeuten. Es gibt keine Fachpresse und keine ausgewiesenen Bildungsredaktionen. Der Durchblick fällt zuweilen auch langjährigen Beobachtern schwer: DP-Bildungspolitik scheint nach dem Zwiebelprinzip zu funktionieren: In kleinen Zirkeln werden unter der Leitung der politischen Koordination Ideen entwickelt, Projekte angeschoben. Oft stößt die Leitung des Service de coordination de la récherche pédagogiques et technologiques (Script) hinzu, oder Beamte aus den jeweiligen Fachabteilungen. Da kommt es bisweilen zu bemerkenswerten Kollaborationen: So sitzt für die Umsetzung des Abkommens mit der Grundschullehrergewerkschaft SNE deren Präsident Patrick Remakel mit am Tisch. Dem Land sagte er, er sei wohl „mal“ zu verschiedenen Aspekten um Rat gefragt worden. Andere wollen ihn regelmäßig im Ministerium ein- und ausgehen sehen. Regierungsberater Lex Folscheid bestätigt: Die Gespräche verliefen „sehr produktiv“. Der SNE-Vertreter werde einbezogen, um sich bei „der Lesart“ bestimmter Punkte im Abkommen abzustimmen. Er findet nichts dabei, dass somit Lobbyvertreter nach dem Unterzeichnen eines Abkommens an seiner juristischen Umsetzung mitformulieren. Ob Meisch deshalb freudig melden konnte, es sei „Ruhe“ eingekehrt und „neues Vertrauen“ aufgebaut worden?
Die starke Einbindung des Script bei der Konzeptualisierung ist in dem Sinne nicht neu, sie begann unter der vorigen Ministerin: Für die Sekundarschulreform kamen wichtige Impulse vom Script; über die Jahre übernahmen ministerielle Abteilungen stärker ausführende und Verwaltungsaufgaben, was zum Teil am Profil der Leitung lag. Mit dem Wechsel von Luc Weis aus der politischen Koordination an die Spitze des Script scheint der Dienst noch stärker als bisher an den Minister und seine Beamten herangeführt zu werden. Das muss nicht schlecht sein. Eine enge Zusammenarbeit kann sinnvoll sein, wenn gute Ideen mit bildungspolitischer Fachkompetenz unterfüttert werden. Aber zum einen sind viele Mitarbeiter beim Script, im Ifen und anderswo am Limit ihrer Kräfte, zum anderen bleibt einmal mehr die Frage, wer dann Pläne mit kritischer Distanz zu überprüfen vermag?
Noch ist nämlich völlig offen, ob die 85 Maßnahmen helfen werden, das Hauptproblem des Luxemburger Schulsystems abzustellen: die hohe Schulabbrecherquote und die systematische Benachteiligung von Arbeiter- und Einwandererkindern. Er sehe seinen Maßnahmenkatalog als „Kette“, unterstrich Claude Meisch am Ende der Pressekonferenz. Mit einer neuen Orientierungsprozedur, einer verbesserten Schulentwicklung, mehr „Governance“ in den Schulen und mehr „Diversifizierung“ im Bildungsangebot will er „viele kleine Räder richtig“ einstellen, damit sich die Schulen im Land in die richtige Richtung entwickeln. Am Ende zählt, auch und erst recht für einen liberalen Minister, ob seine Politik konkrete Erfolge bringt.