Die beiden Minister François Biltgen und Marie-Josée Jacobs zu ersetzen, war für die CSV nicht einfach. Die 63-jährige Krankenpflegerin Jacobs war immerhin ein Drittel ihres Lebens lang Ministerin. Sie war nach Jean-Claude Juncker, der inzwischen auf die legendären 30 Jahre seines Parteikollegen Fernand Boden kommt, das dienstälteste Regierungsmitglied. 21 Jahre lang war sie Landwirtschafts-, Familien- und Entwicklungshilfeministerin. Als erste Frauenministerin in der Landesgeschichte verstand sie es, aus einer langjährigen Forderung der LSAP Kapital für die CSV zu schlagen, ohne konservative Wähler übermäßig zu erschrecken. Der 54-jährige Escher Rechtsanwalt François Biltgen gehörte der Regierung 14 Jahre lang als Arbeits-, Justiz-, Hochschul-, Kommunikations-, Kultus- und Minister des öffentlichen Dienstes an, daneben war er Parteipräsident.
Die beiden Minister François Biltgen und Marie-Josée Jacobs nächstes Jahr bei den Kammerwahlen zu ersetzen, wird noch schwerer. Denn Biltgen wurde Zweiter auf der CSV-Liste hinter Jean-Claude Juncker gewählt, vor der ganzen LSAP-Prominenz mit Ausnahme von Jean Asselborn. Im schwarzen Nordbezirk erhielt 2009 mit Abstand kein Politiker so viele Stimmen wie Marie-Josée Jacobs.
Um die erste Partei im Land zu bleiben, will die CSV immer eine Volkspartei sein, die für Arbeiter und Unternehmer, Mittelständler und Beamte, Hausfrauen und Rentner gleichermaßen wählbar ist. Dazu muss sie aufmerksam die Interessen unterschiedlicher Wählergruppen bedienen und die dabei auftretenden Widersprüche verkleistern. Das spiegelt auch die Wahl der beiden Amtsnachfolger von Justizminister François Biltgen und Familienministerin Marie-Josée Jacobs wider. LSAP-Präsident Alex Bodry nannte diese Lösung eine Mischung aus parteiinternem, geographischem und Geschlechterproporz, wobei nicht klar zu erkennen war, ob er das kritisierte oder ob er eher neidisch war. Der grüne Fraktionssprecher François Bausch ärgerte sich über das Produkt „innerparteilicher Macht- und Strategiespiele“.
Premier Jean-Claude Juncker sah das selbstverständlich anders. Zu einer „Zeit, da so viel in Frage gestellt“ werde, zitierte er sich selbst und seine Erklärung zur Lage der Nation am Samstagabend, müsse man sich „auf ein paar wesentliche Tugenden des Zusammenlebens besinnen“. Als erste Tugend nannte er, „dass man ein waches Herz und Ohr behalten muss für das, was sozialpolitisch von Relevanz ist“. So erklärte er die Ernennung von CSV-Fraktionssprecher Marc Spautz zum neuen Familienminister, der mit veränderten Ressorts die Nachfolge von François Biltgen im Südbezirk antreten soll.
Dem gewerkschaftsnahen linken Flügel der CSV, zu dem Jean-Claude Juncker und François Biltgen gehören, ist es gelungen, in der einstigen sozialistischen Hochburg die LSAP zu übertrumpfen. Um diesen Vorsprung von derzeit zwei Parlamentssitzen zu verteidigen, muss die Partei in dem noch immer industriell geprägten Süden Vertreter ihres linken Flügels ins Schaufenster rücken.
Für den gelernten Automechaniker und Sohn des populären ehemaligen Innenministers und LCGB-Präsidenten Jean Spautz ist „Spautz“ ein Markenname, und er erbte mit diesem zuerst das Amt des LCGB-Generalsekretärs und nun des Ministers. Auch wenn er Anfang 2011 nach über 20 Jahren als Gewerkschaftsfunktionär unbezahlt beurlaubt worden war, weil seine Gewerkschafts- und Parteikollegen an der Spitze des hoch verschuldeten LCGB glaubten, dass ein Abgeordneter genug verdiene, um auf sein Gewerkschaftsgehalt verzichten zu können. Nach monatelangem Streit einigte man sich, als Spautz zu einem Zugeständnis bei der Höhe seines Gehalts bereit war. Seine Ernennung zum Minister, die alle weiteren bezahlten Beschäftigungen ausschließt, kommt der Gewerkschaft also nicht ungelegen.
Die Zukunft wird jedoch zeigen, ob der 50-jährge Minister Spautz, der auch für Entwicklungshilfe und die Beziehungen zum Parlament zuständig ist, mehr als ein sozialpolitischer Markenname ist. Als CSV-Generalsekretär und danach Fraktionsvorsitzender hatte er sich in sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen schrittweise von gewerkschaftlichen Positionen entfernt. Zusammen mit LSAP-Kollege Lucien Lux hatte er im November die Fronde gegen Finanzminister Luc Frieden angestiefelt, dem die beiden vorwarfen, nicht beherzt genug zu sparen. Als Familienminister muss Spautz nun beweisen, ob er die „selektive Sozialpolitik“ durchsetzen will, die er im November gefordert hatte, als wieder von der Kürzung des Elternurlaubs und des garantierten Mindesteinkommens RMG sowie der Besteuerung des Kindergelds die Rede ging. Während der anschließenden Haushaltsdebatten im Parlament hatte er verlangt, dass „in der Familienpolitik die soziale Selektivität ein größeres Gewicht erhalten muss“.
Die Aufgabe ist nicht einfach, da Spautz nicht bloß mit dem Widerstand seiner ehemaligen Gewerkschaftskollegen und rechten Familienpolitikern zu rechnen hat. Erschwerend kommt das Wirrwarr hinzu, in der die Familienpolitik der CSV zu versinken droht, da sie traditionell „horizontal umverteilen“ soll, um den Kinderreichtum zu belohnen, und nun sozial selektiv sein soll, um die Staatsausgaben zu drosseln. So erklären sich der halbherzige Übergang von Kinderfreibeträgen zu Kindergeld, die versprochene kostenlose Kinderbetreuung und dann die wiederholte Verteuerung dieser Betreuung binnen weniger Monate, die Versuche, Grenzpendler mit Studienbeihilfen, Chèques services und dem kurzlebigen jährlichen Kinderbonus von der „Exportabilität“ des Kindergelds auszuschließen – von der legendären Unerreichbarkeit der nationalen Kindergeldkasse ganz zu schweigen. Da die CSV in der Vergangenheit regelmäßig mit einer kleinen Kindergelderhöhung in die Wahlen zu gehen pflegte, ist nicht sicher, ob Spautz sein gerade noch einjähriges Mandat nutzen will, um sich bei den Familien unbeliebt zu machen.
Von der 47-jährugen Agraringenieurin und Direktorin der Ackerbauschule, Martine Hansen, als neue Ministerin und damit Kandidatin für nächstes Jahr verspricht sich die CSV eine ebenfalls auf den Wahlbezirk maßgeschneiderte Nachfolgerin für Marie-Josée Jacobs. Auch wenn die im Heiderscheidergrund wohnende Ischpelterin Hansen beim Sprechen weniger Öslinger Lokalkolorit vorführt als die Marnacherin Jacobs. Zwar liegen ihre Ressorts Hochschule und Forschung, für die sie sich mit einem Master in Schulmanagement möglicherweise besser eignet als ihre Vorgänger, dem noch immer ländlich geprägten Nordbezirk eher fern. Aber dafür passt die aus einer Bauernfamilie stammende Ministerin in ein Milieu, wo jeder jeden duzt und bei jedem Zeltfest und jedem Begräbnis die Familiengeschichte jedes Anwesenden über Generationen im Detail erzählen kann. Bekannt war die energische Direktorin und Langstreckenläuferin vor über einem Jahr geworden, als sie ganze Klassen ihrer Schule ohne Wissen der Eltern zu Drogentests zwang, was Erziehungsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) nachträglich als Notmaßnahme rechtfertigte. Gegenüber dem Luxemburger Wort erklärte Marrtine Hansen, dass sie trotz ihrer Verpflichtungen als Ministerin am liebsten ihre Tochter jeden Tag pünktlich in der Maison relais abholen und ihr beinahe tägliches Training beibehalten will.
Zusammen mit Parteipräsident Michel Wolter habe Premier Jean-Claude Juncker sich „breit in der Partei beraten, um alle Empfindlichkeiten aufzufangen“, erzählte Juncker nach der Tagung des CSV-Nationalrats am Samstagabend. Denn die Ernennung einer Quereinsteigerin in die Regierung – Martin Hansen ist nach eigenen Aussagen erst „fünf oder sechs Jahre“ Parteimitglied – ist immer delikat. Verdiente Mitglieder, die während Jahrzehnten Lokalversammlungen organisieren und am Würstchengrill stehen, fühlen ihren Einsatz entwertet. Nach dem Wahlergebnis wären außerdem als erster der Tandeler Bürgermeister und christliche Gewerkschafter Ali Kaes sowie der ehemalige Fraktionsvorsitzende Lucien Weiler aus Diekirch für ein Ministeramt in Frage gekommen. Hätte die Partei an ihrer Frauenquote in der Regierung festhalten wollen, wäre die Ettelbrücker Schöffin Edmée Feith-Juncker in Betracht gekommen – doch sie ist die Cousine des Staatsministers.
Im Südbezirk war der ehemalige Innenminister Michel Wolter besser als Spautz gewählt, aber er hat wohl mit seiner Regierungszeit abgeschlossen. Für eine Partei, die stets auf der Suche nach jungen, dynamischen Politikerinnen ist, hatte auch Nancy Kemp-Arendt besser als Spautz abgeschnitten. Doch sie hatte nicht nur eigene Ansichten zur Euthanasie, sondern erklärte auch auf dem letzten Parteitag die Gefahren des passiven Rauchens mit dem respektlosen Vergleich: „Das wäre, als ob ich äße und Marc Spautz fett würde, oder ich tränke, und Jean-Claude Juncker betrunken würde.“ Einen Vorsprung auf Spautz hatte auch der ehemalige Fernsehansager Félix Eischen.
Junckers und Wolters Bemühen, Empfindlichkeiten aufzufangen, wurde jedenfalls zu einem vollen Erfolg. Der CSV-Nationalrat hieß die beiden Kandidaten für die Regierungsumbildung am Samstag im bischöflichen Konvikt einstimmig gut.