Am heutigen Freitag um 9.00 Uhr setzen die Staats- und Regierungschefs der teilnehmenden Länder ihre Unterschrift unter den neuen zwischenstaatlichen Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, auch Fiskalpakt genannt, und verpflichten sich damit. so genannte goldene Regeln, gesetzliche Defizitbremsen, einzuführen. Vergangene Woche bereits einigten sich die europäischen Finanzminister bei ihrem Treffen auf ein zweites Rettungsprogramm für Griechenland, das vorsieht, dass Griechenland weiter spart, die privaten Gläubiger des Landes auf über die Hälfte ihrer Forderungen verzichten, der provisorische Rettungsschirm EFSF Griechenland finanzielle Hilfen zur Umsetzung dieses Schuldenschnitts gibt, und dass die EU-Länder, die Griechenland im Rahmen des ersten Programms bilaterale Kredite gewährt haben, die Zinsen auf diesen Krediten senken.
Am Montag hörte der deutsche Bundestag eine Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum neuen Hilfsprogramm, debattierte Pro- und Kontra des neuen Programms und stimmte danach ab. Dabei musste die Kanzlerin nicht wenig Kritik einstecken. „Zu wenig, zu spät, zu vage“, so beschrieb SPD-Finanzpolitiker Peer Steinbrück das Krisenmanagement der Kanzlerin. Die Grüne Renate Künast nannte den Fiskalpakt, für Merkel das Instrument zur Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, ein „klappriges Gebiss“. Ob man den Fiskalpakt nun zu stark oder zu schwach findet, ist Ansichtssache. Immerhin aber hatten die deutschen Abgeordneten Gelegenheit, ihre Meinung zu äußern.
Im Luxemburger Parlament gab es hingegen weder eine Erklärung, noch eine Abstimmung über das Griechenlandprogramm. Ob das wirklich nur daran lag, dass die Entscheidung zeitlich in die Karnevalsferien fiel, wo auch die Abgeordneten auf der Skipiste standen? Den Fiskalpakt, den Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV) heute unterschreibt, hatte er am 26. Januar im Parlament ansatzweise zu erklären versucht. Doch nach der Debatte und der Abstimmung über die Indexmodulation waren ihm dazu knapp 20 Minuten geblieben. Darüber schien er wütender zu sein als die Abgeordneten, die die Erklärung beantragt hatten. Dass die EU-Botschafter der Euroländer am 2. Februar heimlich, still und leise den zweiten Vertrag zum Aufbau des ständigen EU-Rettungsmechanismus ESM unterzeichneten (der erste wurde bereits im Juli 2011 unterschrieben), ging bei der aktuellen Nachrichtenlage gleich völlig unter. „Ich habe mehrmals betont, dass die Regierung in diesem wichtigen Bereich nicht über die Köpfe der Bürger oder deren Vertreter im Parlament alleine entscheiden kann“, sagt Parlamentspräsident Laurent Mosar. „Die zuständigen Fachausschüsse, insbesondere der Finanzausschuss, hat regelmäßig mit dem Finanzminister über diese Themen diskutiert, auch wenn dies nicht nach jeder einzelnen Sitzung, welche auf europäischer Ebene stattfindet, der Fall ist“, so Mosar. Fiskalpakt und ESM wurden im Finanzausschuss „im Prinzip“ diskutiert, sagt Claude Meisch (DP). Im Detail wurden die Vertragstexte aber nicht besprochen.
Bei der Debatte im Januar hatte der grüne Fraktionsvorsitzende François Bausch zwar kritisiert, der aufs Sparen ausgelegte Fiskalpakt eigne sich nicht, um nachhaltiges Wachstum in Europa einzuleiten. Und Claude Meisch rügte Finanzminister Luc Frieden (CSV), weil er bei Rettungsaktionen, ob für Euroländer oder Banken, neben dem Zinseinkommen vor allem betone, dass Garantien den Staat nichts kosteten, er die Risiken aber herunterspiele. Das sieht Meisch noch immer so. „Was ist, wenn die Schuldner nicht zahlen können?“ Auch Finanzminister Luc Frieden stimmte vergangene Woche der Zinssenkung auf den Griechenlanddarlehen des ersten Rettungsprogramms zu. Infragestellen können das die Luxemburger Abgeordneten aber nicht. Weil die Darlehen an Griechenland, die sich derzeit auf 140 Millionen Euro belaufen (maximal 206 Millionen hätten es werden können), 2010 ohnehin nicht vom Parlament gebilligt wurden, sondern, weil es eilte, vom Regierungsrat beschlossen wurden.
Seit die Eurorettungsaktion läuft, die seit bald zwei Jahren die Nachrichten dominiert, hat das Parlament nur zweimal per Abstimmung Maßnahmen genehmigt: Garantien über 1,15 Milliarden Euro für den damals frisch erfundenen vorläufigen Rettungsschirm EFSF im Juli 2010 und die Aufstockung der Garantien für den EFSF auf zwei Mil-liarden Euro im September 2011.
Dabei gäbe es so manche Frage zu stellen. Nicht nur zu den finanziellen Engagements und Risiken, die Luxemburg in Rahmen der Eurorettung eingeht. Auch dazu, welche politische Gestaltungsmöglichkeiten es nach den multiplen Initiativen, wie Euro-Plus-Pakt, Europäisches Semester, Six-Pack, Fiskalpakt und die von den EU-Finanzministern vergangene Woche verabschiedeten Richtlinienvorschläge zur schärferen Haushaltskontrolle, überhaupt noch auf Staatenebene gibt. Ist es mangelndes Interesse, Überforderung angesichts der schnellen und erratischen Entwicklungen bei den Rettungsbemühungen oder etwa die breite Zustimmung zu den getroffenen Maßnahmen, die dazu führt, dass sich im Parlament nur wenig Widerstand regt? Vielleicht ein wenig von allem.
Die Frage des parlamentarischen Mitspracherechts stelle sich nicht nur in Luxemburg, sondern in allen EU-Ländern, gibt Mosar zu bedenken. In der Tat. „Wir würden es nicht gut finden, der Regierung im Vorfeld ein Mandat für Verhandlungen zu geben“, weist Meisch Fragen nach dem Oppositionseinsatz von sich. Würden alle Parlamente aller EU-Länder das machen, argumentiert er, wäre eine Kompromissfindung zwischen den Staats- und Regierungschefs auf EU-Ebene nicht mehr möglich. Die Grünen haben ihrerseits eine Aktualitätsdebatte über das zweite Griechenlandprogramm beantragt, weil die Regierung Stellung beziehen soll zum „geheimen“ Troika-Bericht, in dem IWF, EU-Kommission und EZB zum Schluss kommen, dass Griechenland trotz aller Rettungsmaßnahmen auch weiterhin Schwierigkeiten haben wird, seinen Haushalt und den Schuldendienst aus eigener Kraft zu finanzieren.
Doch ob das Griechenlandprogramm durchgeführt wird oder nicht, hängt nicht so sehr davon ab, ob die gewählten Volksvertreter in Europas Parlamenten es für wirksam und sinnvoll halten. Sondern von der ausreichenden Beteiligung der Privatgläubiger am Schuldenschnitt. Die wird, wenn die Debatte, nächste Woche stattfindet, fast schon feststehen. Der Fiskalpakt ist dann längst unterschrieben und das Parlament wird den internationalen Vertrag in den nächsten Monaten ebenso umsetzen, wie es ohne viel Murren all jene Richtlinien angenommen hat, die seine Rechte zur Haushaltskontrolle und -gestaltung einschränken. Maßnahmen, die nach Meinung Meischs notwendige Voraussetzung für Darlehen von Ländern wie Deutschland, Finland, den Niederlanden oder Luxemburg an Länder wie Griechenland sind, damit sich diese an gewisse Haushaltsregeln halten.
Weil die großen Parteien im Luxemburger Parlament „Europa“ und die Entwicklung in der EU nicht wirklich in Frage stellen, – „es gibt einen großen Konsens zwischen den großen Parteien, was uns Europa gebracht hat und, dass man deswegen das Notwendige tut“, sagt Meisch –, sanktionieren sie die von der deutschen Regierung auferlegte Sparpolitik für Europa als genauso „alternativlos“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel sie nennt. Obwohl die – siehe Beispiel Index – den eigenen Parteipositionen auch mal entgegenläuft. Sie vermeiden damit nicht nur die Diskussion, ob das Europabild, an dem die großen Parteien hängen, eigentlich noch den Realitäten entspricht, sondern auch die Debatte darüber, ob es andere Rettungsmöglichkeiten für dieses Europa gegeben hätte.
Zudem überlassen sie dadurch den kleineren Parteien die fundamentale Kritik. Zum Beispiel déi Lénk, die den Austeritätskurs im In- wie im Ausland kompromisslos ablehnt. Oder der ADR: „Im Kontext der Eurokrise“, sagt Fernand Kartheiser von der ADR, sehen wir, wie das ohnehin schon schwache Luxemburger Parlament fast völlig übergangen wurde und wird. ‚Europa’ wird nun mit rasanter Geschwindigkeit integriert, an den Leuten vorbei, ohne die Leute und gegen sie. Es ist ein fast reiner Top-down-Ansatz“, kritisiert er. „Niemand versteht mehr, was passiert, aber es wird konsequent weitergemacht.“ Über den nationalen Haushalt werde das Parlament nicht mehr viel zu sagen haben, befürchtet er, der werde nun in Brüssel bestimmt.
Ganz „normal“ findet es auch Alex Bodry nicht, dass es bisher keine Erklärung von der Regierung über das zweite Griechenlandpaket gegeben hat. Doch der LSAP-Abgeordnete sitzt ebenso in der Zwickmühle wie seine Parteikollegen, die dem Koaltionspartner und Regierungschef, wenn es um Europa geht, ebenso ungern in den Rücken fallen wie CSV- und viele Oppositionspolitiker: „Es ist nicht unbedingt an mir als Mehrheitsabgeordneten, das zu sagen.“
So bleibt Jean-Claude Juncker sich selbst die stärkste Opposition. Denn den europäischen Rettungskurs, den er als Regierungschef und Vorsitzenden der Eurogruppe in Brüssel mitentscheidet und deswegen, wenn er vor dem Parlament spricht, verteidigt, gefällt ihm selbst schon lange nicht mehr. Auf den Kriseneinsatz der Europäischen Zentralbank angesprochen, bedauerte er kürzlich vor laufenden Kameras, leicht scherzend, nicht deren Sprecher zu sein. Damit macht er immer deutlicher, wie absurd auch er es bei allem Respekt für die Unabhängigkeit der Zentralbank findet, wenn die, wie am Mittwoch, den Geschäftsbanken zu niedrigen Zinsen eine Menge Geld leiht, mit dem sie europäische Staatsanleihen kaufen und darauf weitaus höhere Zinsen kassieren. Frust und Ärger bereitet ihm auch, dass sich Deutschland, obwohl das für den März-Gipfel ausgemacht war, der Diskusion über die Aufstockung der ESM-Mittel verweigert hat. Sollte er seine Meinung, wenn er sein Amt als Eurogruppenchef Mitte des Jahres abgibt, einmal ohne Neben- und Relativsätze, dafür mal klar und deutlich sagen, müssen sich Mehrheits- und Oppositionspolitiker im Parlament fragen, wem sie mit ihrer Zurückhaltung eigentlich gedient haben: den Griechen, Portugiesen oder Iren – die über den Fiskalpakt ein Referendum abhalten wollen –, dem Europapolitiker Juncker, dem Luxemburger Staat, der eigenen Partei oder etwa den Banken?