Zerstochene Autoreifen, brennene Olivenbäume und Hassgraffitis gehören zum Standardrepertoire junger fanatischer Israelis, um Nichtjuden aus dem Heiligen Land zu vergraulen. Im Vorfeld des Besuchs von Papst Franziskus Ende Mai und zusätzlich motiviert durch das Scheitern der Friedensverhandlungen, heizt die Gruppe „Tag Mechir“, zu deutsch: „Preisschild“ die Aggressionen an. Polizei, Grenzschutz und der inländische Nachrichtendienst Shin Beth arbeiten Hand in Hand, um zuallererst den Papstbesuch ohne Zwischenfälle zu bewältigen.
Noch keinen Monat ist es her, seit der von den USA vermittelte Versuch einer Annäherung zwischen Israel und den Palästinensern im Sande verlief. Israels Sicherheitsapparat geht in Habt-Acht-Stellung. „Jeder Funke kann ein Feuer auslösen“, warnt Generalstabschef Benny Ganz. Es wäre nicht das erste Mal, dass gescheiterte Friedensverhandlungen in eine Gewaltwelle münden.
Die Siedlerbewegung ist die eigentliche Gewinnerin des israelisch-palästinensischen Friedensduells, das wohl von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Auch wenn die Palästinenser den Kampf um die Sympathie der internationalen Öffentlichkeit für sich entscheiden konnten, so nimmt für die Siedler der Traum von „Großisrael“, das sich vom Mittelmeer bis zum Jordan erstreckt, immer klarere Form an, während die Vision vom Staat Palästina zunehmend verblasst.
Mit jedem Neubau von Wohnungen für Israelis im besetzten Land schrumpft Palästina. Allein während der neun Monate der Friedensverhandlungen, so berichtete die Friedensbewegung „Schalom achschaw“ („Frieden jetzt“), segnete die israelische Regierung den Baustart von 14 000 Wohnungen ab. Was bislang nur die national-religiöse Koalitionspartei „Das jüdische Haus“ offen forderte, scheint insgeheim längst Regierungspolitik zu sein: eine Annexion des noch unbewohnten palästinensischen Landes.
Ohne Friedensprozess kann noch ungehinderter weitergebaut werden. 14 Jahre ist es her, als die USA zum letzten Mal einen ernsthaften Vermittlungsversuch unternahmen. Über Wochen zog sich Ex-US-Präsident Bill Clinton damals völlig umsonst von allen anderen Pflichten zurück, einzig um den Nahen Osten zu befrieden. Nach dem jüngsten Scheitern John Kerrys wird sich so rasch kein Dritter die Hände verbrennen wollen am nahöstlichen Konflikt.
Für US-Verhältnisse ungewohnt offen schob der Vermittler aus dem Weißen Haus die Schuld den Israelis und der Siedlungspolitik zu. Kerry fühlte sich aber auch von den Palästinensern betrogen, als er erkennen musste, dass Präsident Mahmud Abbas die Versöhnung mit den Islamisten der Hamas vorantreibt, ohne ihn vorab darüber in Kenntnis zu setzen.
Abbas handelte aus Mangel an Alternativen. Neun Monate hatte er mit Israel verhandelt und sein Volk doch keinen Schritt näher zum eigenen Staat gebracht. Wenn es mit dem Frieden nicht klappt, dann will er zumindest mit der nationalen Einheit aufwarten, die sich sein Volk so sehr wünscht. Abbas wird im nächsten Jahr 80 Jahre alt und macht sich sicher Gedanken darüber, wie ihn die Geschichtsschreibung eines Tages erinnern wird.
Auch die Hamas wählte nicht aus freien Stücken den Weg der Versöhnung. Die Islamisten sind pleite, seit die einst wohlgesonnenen Finanziers in Katar und Iran den Geldhahn zudrehten, und seit die Steuereinnahmen für die Schmugglerware aus Ägypten ausbleiben. Nur zu gern würde die Hamas ein Stück vom Kuchen der Autonomiebehörde abbekommen. Um die Einheit funktionieren zu lassen, müsste die Hamas offiziell ablassen vom Kampf gegen die Juden und von der Befreiung „ganz Palästinas“, das sich wie „Großisrael“ zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer erstreckt.
„Unmöglich“, so kommentierte das Weiße Haus, sei es, von Israel zu verlangen, mit einer Terrororganisation zu verhandeln. In Europa hingegen begrüßte man die innerpalästinensischen Versöhnungsanstrengungen als „wichtigen Schritt zum Frieden“. Die beiden entscheidenen internationalen Akteure entblößen sich mit mangelnden Absprachen und widersprüchlichen Positionen, mit denen sie sich gegenseitig neutralisieren.
Je deutlicher die USA den Rückzug an dem Nahostkonflikt antreten, desto stärker ist europäisches Zutun gefragt. Israels Friedenslager konzentriert seine letzte Hoffnung auf eine Rettung vor der eigenen friedensunwilligen Regierung immer stärker auf die EU. „Wo sind die Antisemiten, wenn man sie braucht“, fragt mit einem lachenden und einem weinenden Auge der frühere Meretz-Chef Jossi Sarid.
Der schwerfällig Körper der europäischen Nationen möge sich nun endlich in Bewegung setzen. Nicht auf Zuckerbrot sondern auf die Peitsche reagiere die Regierung, meint auch Barak Ravid, politischer Korrespondent der liberalen Tageszeitung Haaretz. „Seit 20 Jahren spielt Europa zum ersten Mal eine Rolle.“ Ravid erinnert an die Pläne von Regierungschefs Benjamin Netanjahu, auf dem umstrittenen E1-Land eine neue Siedlung zu errichten, mit der sich der Ring der Siedlungen um Jerusalem schließen würde. „Ein Treffen der EU-Außenminister zum Thema reichte aus, um Netanjahu davon abzubringen“, sagt Ravid und fügt an, dass die europäischen Staaten „sehr wohl über Einflussmöglichkeiten verfügen“, sei es im Bündnis der EU oder im Alleingang.
Aktuell auf der europäischen Agenda steht die einheitliche Kennzeichnungspflicht von Produkten aus israelischen Siedlungen. Das Thema war aus Rücksicht auf Kerrys Friedensanstrengungen auf Eis gelegt worden. „Ich glaube nicht“, so frohlockt der linke Blogger Noam Sheisaf, „dass Europa uns diesmal davonkommen lässt“.