d’Lëtzebuerger Land: Welche Eltern sind es, die ihre Kinder im Schengen-Lyzeum anmelden?
Volker Staudt: Die meisten, die sich bei uns vorstellen, informieren sich sehr genau, sei es bei unserem Tag der offenen Tür oder auf Informationsveranstaltungen im Saarland und in Luxemburg. Sie suchen unsere Schule gezielt aus und treffen ihre Entscheidung für oder gegen das Angebot sehr bewusst.
Rund 230 Schüler an Ihrem Lyzeum stammen aus Luxemburg. Woher kommen diese, von überall?
Inzwischen hat sich das Angebot unserer Schule herumgesprochen. Die Eltern, die sich bei uns bewerben, kommen aus Düdelingen bis Grevenmacher. Es gab auch eine Anmeldung aus Münsbach. Aber wenn es zu weit weg ist, lehnen wir ab. Eine solche Anfahrt kann man den Jugendlichen nicht zumuten.
Sie sagen, das Angebot habe sich herumgesprochen. Dann wissen Sie sicher, welche die Motive sind, warum Eltern ihre Kinder im Schengen-Lyzeum anmelden? Gibt es Unterschiede zwischen Deutschen und Luxemburgern?
Wir haben in der Vergangenheit jedes Jahr versucht, die Motive und Hintergründe der Kandidaturen zu erfassen, und es gibt Unterschiede. Im Grunde nannten alle befragten Eltern das pädagogische Konzept, aber die Deutschen interessieren sich noch mehr für das Sprachenangebot, während Luxemburger Eltern sich für unsere Schule entscheiden, weil hier, wie sie sagen, anders unterrichtet wird. Darüber hinaus wollen sie aber, dass ihr Kind weiter auf hohem Niveau Französisch und Deutsch lernt.
Können sich die Luxemburger Schüler, die in Perl zur Schule gehen, denn mit den anderen Luxemburger Schülern im Französischen messen?
Wir können uns messen, wir machen mit bei den Épreuves standardisées, wobei wir allerdings andere Voraussetzungen haben. Wir müssen in unseren Lernplänen die Standards der beiden Schulsysteme, des saarländischen und des luxemburgischen, vereinbaren. Bei uns lernen die Schüler Französisch als Fremdsprache. Deshalb sind die Bedingungen andere und auch die Ergebnisse sind anders zu bewerten. Und: Unsere Schule arbeitet von Beginn an mit Kompetenzen. Das heißt, salopp gesagt, sie kommen später mit Camus in Kontakt, dafür trauen sie sich eher zu kommunizieren.
Was verstehen Sie unter Kompetenzansatz? Es gibt offensichtlich sehr unterschiedliche Vorstellungen davon.
Wir unterscheiden zwischen den Kompetenzen Hörverstehen, Leseverstehen, Sprechen und selbstverständlich Schreiben. Bei uns ist die Fehlergewichtung eine andere. Es ist eine bewusste pädagogische Entscheidung, ob ein Sprachlehrer die Grammatikfehler in den Mittelpunkt stellt oder die Ausdrucksfähigkeit, indem er den Schüler trotz eventueller Fehler ermuntert zu sprechen. Die Tests zeigen uns: Beim Hör- und Leseverstehen sind unsere Schüler fit.
Was sagen die Tests noch aus?
Unsere Schüler fühlen sich wohl bei uns, sie kommen gerne in die Schule. Und das sagen nicht wir, das sagen unsere Schüler, die wir dazu regelmäßig befragen. Auch von unseren Lehrerkollegen bekommen wir die Rückmeldung, dass das Klima in unserer Schule freundlich ist und konstruktiv. Das ist für einen guten Unterricht sehr wichtig.
Am Schengen-Lyzeum gibt es bereits das Tutorat, das derzeit in Luxemburg im Rahmen der Sekundarschulreform diskutiert wird und das Ministerium verallgemeinern will.
Das Tutorat ist ganz wesentlicher Bestandteil der Unterrichtsqualität, das ist sogar messbar. Unsere Lehrer sind mehr als nur Wissensvermittler. Sie sind Lernbegleiter und Lernberater zugleich. Bei uns sind 15 Lehrer für fünf Klassen einer Jahrgangsstufe verantwortlich. Sie kennen ihre Schüler, denn sie begegnen ihnen in verschiedenen Fächern und beraten sie, wenn etwas mit dem Lernen nicht klappt.
In Luxemburg unterrichten Sekundarschullehrer nur ein Fach und das auf wechselnden Klassen.
Das ist ja das Schöne, dass bei uns auch die Luxemburger Kollegen zwei Fächer unterrichten. Dadurch sind sie in einer Klasse präsenter und kennen auch ihre Schüler besser. Außerdem ist bei uns fest im Stundenplan vorgesehen, dass sich Tutoren mit ihren Schülern besprechen können. Montagmorgens gibt es in den unteren Klassen eine Stunde, in der die Mädchen und Jungen erzählen können, was sie in der Woche erlebt haben, was in der Schule ansteht oder was sie bedrückt. Viele von ihnen sind nach dem Wochenende wie aufgeladen.
In Luxemburg äußern Lehrer Bedenken dagegen, ob der Gesetzgeber das Tutorat vorschreiben oder ob er es den Schulen innerhalb ihrer Autonomie selbst überlassen soll, welches Profil sie anstreben und welche pädagogischen Instrumente sie einsetzen.
Jede Reformdebatte ist eine Diskussion um die Bedingungen für Bildung. Der Staat muss Rahmenbedingungen setzen, innerhalb derer die Schulen gemäß ihren räumlichen, regionalen und sozialen Möglichkeiten eigene Schwerpunkte setzen. Ein Lyzeum auf dem Land hat sicher andere Voraussetzungen als ein Lyzeum in der Stadt. Wichtig ist, dass jede Schule versucht, ihre Schüler bestmöglich zu fördern, damit diese sich frei entfalten können.
Ihre Schule ist an der Luxemburger Diskussion um die Sekundarschulreform nur am Rande beteiligt. Dabei gehört das Schengen-Lyzeum, obschon es in Deutschland steht, zum öffentlichen Luxemburger Schulangebot.
Wir haben den Beobachterstatus bewusst gewählt. Sollten wir um eine Position gebeten werden, geben wir gerne eine. Wir haben aber durch unser binationales Statut andere Voraussetzungen und deshalb wäre es vermessen, stärker auf die Luxemburger Debatte einwirken zu wollen.
Im Positionspapier der Luxemburger Lehrerdelegation schlägt diese als eine Lösung im Umgang mit der heterogenen Schülerschaft wiederholt die externe Differenzierung vor – neben mehr Ressourcen. Was braucht es, um Lehrer dazu zu befähigen, innerhalb der Klasse zu differenzieren?
Wir differenzieren auch extern, dass heißt, machen schwächeren Schülern gegebenenfalls gesonderte Förderangebote. Der Aspekt der Befähigung ist wichtig, denn differenzierter Unterricht stellt hohe Ansprüche an den Lehrer und seine Vorbereitung. Wer Binnendifferenzierung fordert, muss auch die Mittel dazu bereitstellen. Zum Beispiel in Form von Weiterbildungen und einer extra Vorbereitungsstunde. Mit Aufgabenpools zu arbeiten, das braucht Zeit.
Entstehen durch die Aufgabenpools, aus denen sich andere Fachlehrer bedienen und an denen sie sich inspirieren können, nicht aber auch Synergien?
Schon, aber es ist schlechterdings unmöglich die eine Klasse genauso zu unterrichten wie eine andere. Jeder Jahrgang ist ein anderer, die Schüler sind andere und folglich auch die Bedingungen für den Lehrer. Er muss sich auf die Schüler einstellen, ist beispielsweise ein hyperaktiver Schüler darunter, muss er den Unterricht vielleicht komplett umbauen.
Es gibt in Luxemburg ebenfalls Schulen, die in mühsamer Kleinarbeit Aufgabenpools erstellt haben – doch diese werden nur von einigen wenigen, besonders motivierten Lehrern genutzt.
Bei uns werden die Lehrer vorbereitet. Die letzte Woche in den Sommerferien nutzen wir, um das kommende Schuljahr zu planen und unsere Lehrer zu schulen. Ob in Tutorat, Gruppenarbeit oder Teambildung. Zudem organisieren wir Fachkonferenzen. Das funktioniert, die Lehrer, die zu uns kommen, kommen freiwillig. Sie sind bereit, sich derart einzubringen. Auch das spricht für unser Schulklima.