„A terme ass et fir mech kloer datt Kannerbetreiung zu Lëtzebuerg muss gratis ginn“, hatte Premierminister Jean-Claude Juncker in seiner Erklärung zur Lage der Nation 2008 versprochen. Das war vor vier Jahren. Heute ist auch Luxemburg in der Krise angekommen und von einer flächendeckenden Gratisbetreuung redet keiner mehr.
Im Gegenteil: Land-Informationen zufolge denkt die schwarz-rote Regierung daran, die Eltern finanziell deutlich stärker an der außerschulischen Kinderbetreuung zu beteiligen. Drei Modelle wurden durchgerechnet und Anfang Februar dem Regierungsrat vorgelegt. Eine Variante sieht vor, den finanziellen Beitrag der Eltern am Mittagessen um ein bis zwei Euro zu erhöhen. Einer zweiten Variante nach würde der Tarif pro Betreuungsstunde um 0,50 bis einen Euro steigen. Auch eine Mischform aus beiden Varianten liegt als Vorschlag auf dem Tisch.
Die Regierung begründet die Anhebung mit sozialen Motiven, nämlich „d’éliminer au niveau des avantages l’inégalité de traitement entre les enfants identifiés comme étant exposé au risque de pauvreté et les enfants vivant dans un ménage bénéficiaire du revenu minimum garanti“. Dafür soll die Anzahl der Gratisstunden für die Kinder mit Armutsrisiko, das sind in Luxemburg offiziellen Angaben zufolge immerhin zwischen 14 und fast 20 Prozent (je nach Statistik), um zehn Wochenstunden erhöht werden.
Bislang hat das CSV-geführte Familienministerium nur wenige, kaum differenzierte Daten zur Nutzung der Chèques service veröffentlicht. Jedoch geht aus dem aus mehreren Entwürfen bestehenden Vorschriftskatalog, über den die Regierungsmitglieder beraten haben und der dem Land in Auszügen vorliegt, hervor, dass im Januar 2012 insgesamt 2 431 Kinder von besonderen Vorzügen profitiert haben. Dabei kamen 1 864 Kinder aus einem Sozialhilfe-Haushalt und lediglich 567 Kinder waren amtlich vom Armutsrisiko bedroht (mit dem Empfang von Sozialhilfe gilt das Armutsrisiko amtlicherseits als behoben).
Deshalb würden sich die Kosten für eine Besserstellung der von Armut bedrohten Kinder auf überschaubare 500 000 Euro pro Jahr für den Staat belaufen. Ein Klacks, wenn man bedenkt, dass die Einsparungen, die durch eine stärkere finanzielle Beteiligung der Eltern, je nach bevorzugter Rechenvariante, zwischen 4,5 und 9,5 Millionen Euro pro Jahr liegen. Insgesamt gibt der Staat über 212 Millionen Euro für den Kinderbetreuungsbereich aus!
Von all dem ist freilich in dem für die Öffentlichkeit bestimmten abschließenden Sitzungsbericht des Regierungsrates nichts zu lesen: Die politisch brisante Anhebung des elterlichen Beitrags war im Gesetzespaket wohlweislich noch nicht enthalten. Ein taktisches Manöver, denn der Zeitpunkt für eine Anhebung des elterlichen Beitrags könnte kaum schlechter kommen.
Das Thema Kinderbetreuung sorgt immer wieder für erhebliche Aufregung. Vor zwei Wochen erst hatten Erzieher zum wiederholten Male eine Informationskampagne wegen unmöglicher Arbeitsbedingungen im Betreuungssektor gestartet (d’Land vom 24. Februar). Der Hintergrund ihrer Empörung: gering qualifiziertes Personal und stark flexibilisierte Arbeitszeiten, die eine gute Betreuung und Teamvorbereitung erschweren, sowie das Fehlen von pädagogischen Konzepten und landesweit verbindlichen Qualitätsstandards.
Das zumindest soll anders werden. Mit dem Paket, das die Regierung am 3. Februar diskutiert hat, soll die Qualität des Betreuungssektors sieben Jahre nach Einführung des Maison-relais-Gesetzes endlich verbessert werden. Interessant ist zunächst allerdings ein Detail: Die Regierung begründet ihre Initiative in ihrem Exposé des motifs damit, die Diskussion würde nunmehr nicht mehr ausschließlich um die Notwendigkeit von Betreuungsstrukturen kreisen, sondern inzwischen seien auch Erwartungen an mehr Qualität hinzugekommen. Fakt ist: Berufsorganisationen wie die Apeg und Gewerkschaften, aber auch Experten der Uni Luxemburg sowie außenstehende Beobachter wie das Land, hatten von vornherein fehlende pädagogische Konzepte und nicht vorhandene Qualitätsstandards zum Teil scharf kritisiert.
Nun also legt Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) ein umfassendes Gesetzespaket vor, das Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung erhält. Dazu sind diverse Instrumente vorgesehen. So sollen die Träger von Betreuungseinrichtungen dazu verpflichtet werden, sich ein pädagogisches Konzept im Rahmen eines „Referenzrahmens zur non-formalen Bildung“ geben. Damit ist zunächst eine außerschulische Bildung ohne Lehrprogramme und Lehrpläne gemeint, die sich aber an pädagogischen und entwicklungspsychologischen Prinzipien orientiert. Eine Kommission, bestehend aus Familien- und Erziehungsministerium, der Gemeindevertretung Syvicol, sowie den Arbeitgeberverbänden und dem Service national de la jeunesse, soll diesen Rahmen setzen. Eine Konsultation der Fachkräfte ist scheinbar, wie schon bei der Erstellung der Gesetzestexte, nicht vorgesehen.
Als Leitsätze für die Kinderbetreuung würden künftig dann verpflichtend für alle die „körperliche, psychologische, soziale, kognitive und affektive Bildung“ der Kinder und Jugendlichen gelten. Was das konkret bedeutet, definieren, innerhalb dem Referenzrahmen, die Träger selbst. Ihnen bleibt es überlassen, ein altersgemäßes pädagogisches Konzept (Plan d’action général) zu entwickeln und methodisch umzusetzen. Damit will der Staat eine gewisse Freiheit ziwschen verschiedenen Konzepten (Montessori, Reggio, et cetera) lassen. Ohne eine präzise Dokumentation und Veröffentlichung desselben, wird es künftig keine Betriebsgenehmigung mehr geben. Eine Art Logbuch beinhaltet die Hausregelung sowie die genauen Aufgaben und Tätigkeiten der Angestellten, die zudem verpflichtet wären, sich weiterzubilden. Für Kindergärtnerinnen, Erzieher und Personal, das ganztags in einer Einrichtung beschäftigt ist, sind 16 Stunden Weiterbildung jährlich vorgesehen. Für jene, die mindestens (!) 20 Stunden in einer Kinderbetreuungseinrichtung arbeiten, sind es jedoch nur acht Stunden. Das entspricht demselben Stundensoll, das auch für die Sekundarschullehrer vorgeschrieben ist. Allerdings: Im Betreuungssektor arbeiten zahlreiche Unqualifizierte und Niedrigqualifizierte auf Basis von Zehn- und Zwöf-Stunden-Verträgen. Zweifel daran, ob die Verpflichtung dazu beitragen wird, das Qualitätsniveau gerade bei dieser Personengruppe merklich anzuheben, sind also berechtigt. Zumal den Trägern weiterhin erlaubt ist, gering ausgebildetes Personal auf niedriger Stundenbasis einzustellen. Land-Informationen zufolge sind nicht alle Träger mit der Weiterbildungsformel glücklich, vereinzelt wollen Vertreter in den Beratungen mit dem Ministerium mehr gefordert haben.
Als zweite tragende Säule soll ein externes, regional organisiertes Monitoring-System dienen. Es hätte, neben dem Ministerium, künftig Sorge dafür zu tragen, dass die Einrichtungen ihren Qualitätsverpflichtungen nachkommen. So genannte Agents régionaux enfants et jeunesse würden ähnlich wie die Grundschulinspektoren die Qualität im Sektor überwachen, wobei sie übers Land verteilt in fünf Büros ansprechbar und für die jeweiligen Einrichtungen im ihren Bezirk zuständig wären. Auch für die Kontrolle der Tageseltern, für die ebenfalls verschärfte Qualitätsauflagen vorgesehen sind, wären sie zuständig. Nur: Was können 22 Agenten ausrichten, um die Sicherheit von mehr als 1 100 Kinderbetreuungseinrichtungen und Tageseltern zu kontrollieren und sowohl Eltern als auch dem Fachpersonal mit Rat und Tat zur Seite zu stehen? Allein im Jahr 2010 wurden 247 neue Betriebsgenehmigungen vergeben. Und der Sektor boomt weiter. Laut internen Berechnungen kämen auf einen Prüfer über 50 Einrichtungen. Ein Riesenpensum, wie das Familienministerium weiß und vorsorglich davon spricht, in einem zweiten Schritt gegebenenfalls die Zahl der Kontrolleure anzuheben. Die Personalkosten werden auf 2,5 Millionen Euro beziffert. Die Agenten sollen dem Service national de la jeunesse zugeordnet werden, der zum „Ressourcenzentrum“ umgebaut und dessen Führungsetage erweitert werden soll. Die Regierung begründet dies damit, der Service habe in diesem Feld bereits Expertise, so hat er Informationsbroschüren erstellt, ist selbst im Bereich der Ferien- und Freizeitaktivitäten tätig, betreut die Jugendhäuser. Allerdings: Inwiefern verträgt sich das Monitoring mit eigenen Aktivitäten in dem Bereich?
Damit die Qualitätsstandards greifen können, will die Regierung diese an die staatlichen Subventionen koppeln: Nur wer sich den Auflagen unterwirft, bekommt finanzielle Unterstützung, wer gegen sie verstößt, dem kann die Genehmigung als staatlich anerkannter oder konventionierter Dienstleister im Rahmen der Chèques service entzogen werden.
Auch ein Qualitätslabel soll eingeführt werden, das jedoch fakultativ bleibt. Offenbar hat die Regierung auch nicht vor, Eltern ein Recht zu geben, die Ergebnisse des Qualitätsmonitorings der Kinderbetreuungseinrichtung ihrer Wahl einzusehen. Im entsprechenden Entwurf steht dazu jedenfalls nichts.