Gestern Morgen vor dem Bartringer Pflegeheim Les Parcs du troisième âge: Trotz Regen ist die Stimmung heiter, unter Schutzdächern mit der Aufschrift OGBL haben -zig Leute, überwiegend Frauen, das Trockene gesucht, trinken Kaffee, schießen Selfies, und erklären, „wir kämpfen, bis wir kriegen, was uns zusteht!“ Als Paul Geimer vorbeischaut, der frühere DP-Bürgermeister und heutige Präsident der vorwiegend kommunalen Trägerstiftung, heben ein lautes Pfeifkonzert und Buhrufe an.
Der gestrige Donnerstag war Tag zwei des vom OGBL organisierten Pflegeheimstreiks, des ersten in der Geschichte des Landes. Begonnen hatte er am Mittwoch mit der Frühschicht im Bettemburger Pflegeheim An de Wisen. Doch in Bartringen ist die Wirkung des Ausstands wesentlich höher: Dort hat mit 82 das Gros der 118 Mitarbeiter einen Arbeitsvertrag, der abgeschlossen wurde, als die Pflegeheime noch dem Krankenhausverband angehörten und dem Krankenhaus-Kollektivvertrag angeschlossen waren. In Bettemburg trifft das nur auf rund die Hälfte der 200-köpfigen Belegschaft zu. Dennoch seien im Heim An de Wisen Angehörige der Heiminsassen gebeten worden, bei deren Versorgung auszuhelfen, erzählt man sich unter den OGBL-Regendächern in Bartringen. In den Parcs du troisième âge dagegen war die Not gleich nach Streikbeginn so groß, dass sogar der Direktor Essen verteilte und Spritzen verabreichte.
Daran lag es vielleicht auch, dass in Bartringen der Streik gegen Mittag unterbrochen wurde: Die Direktion habe ein „Angebot“ gemacht, das der OGBL prüfe, meldete RTL. Ob es Auswirkungen hatte auf Bettemburg und vielleicht auch auf die Heime in Petingen und Luxemburg-Stadt, für die die Auszählung der Urabstimmungen noch andauerte und die eventuell ab dem heutigen Freitag beziehungsweise dem Samstag gleichfalls bestreikt werden sollten, war bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels unklar. Leicht ist es für die vier Pflegeheime nicht, den insgesamt 350 Mitarbeitern mit dem Klinik-Statut zu geben, was der OGBL ihnen sich zu erstreiken empfohlen hatte. Eigentlich richtet die Aktion sich an die Adresse der Regierung. Vier Monate vor den Wahlen soll ihr, nicht zuletzt der LSAP und ihrem Sozialminister Romain Schneider, der Pflegeheimstreik lästig und eine Lösung für ein im Grunde zwanzig Jahre altes Problem gefunden werden.
Denn ehe 1999 die Pflegeversicherung eingeführt wurde, unterstanden die Pflegeheime dem Gesundheitsministerium, waren Mitglied im Krankenhausverband und dessen Kollektivvertrag angeschlossen. Als die Pflegeversicherung nahte, vereinbarten die damaligen Chefs von OGBL und Caritas, John Castegnaro und Erny Gillen, auch für den Pflegesektor müsse ein starker Kollektivvertrag her. Dadurch sollte die Konkurrenz aus dem Ausland, die sich für die in Luxemburg neu geschaffene mobile Zuhaus-Pflege hätte interessieren können, jenseits der Grenzen gehalten werden. Über diesen „SAS-Kollektivvertrag“ wurde die Pflegebranche wie das Klinikwesen zum parastaatlichen Sektor, in dem Kollektivverträge nachholen, was in Gehälterabkommen für den öffentlichen Dienst beschlossen wurde.
Doch trotz Parastaatlichkeit ist der Krankenhaus-Kollektivvertrag für die Beschäftigten günstiger als sein SAS-Pendant. In den Kliniken gilt die 38-Stundenwoche, statt 40 Stunden im Pflegewesen, es gibt mehr bezahlte Pausen, mehr Urlaubsgeld und vor allem um die 15 Prozent mehr Gehalt. Dass die Unterschiede ein Problem seien, fand der Pflegedienstleisterverband Copas schon vor Jahren. Denn während in den Pflegeheimen das Personal Krankenhaus-Privilegien genoss, stellten die Altenheime zum SAS-Vertrag ein. Heime mit Staatsbeamten, Kommunalbeamten oder Kommunalangestellten gab es auch. Vor zehn Jahren diskutierten Copas und Krankenhausverband, ihre Kollektivverträge „konvergieren“ zu lassen, wurden sich aber nicht einig, wohin: Der Copas schien der Krankenhausvertrag zu teuer. Der Krankenhausverband fürchtete, schlösse man sich SAS an, kämen die Interessen der Spitäler zu kurz, denn die Copas zählt viel mehr Mitglieder als die Fédération des hôpitaux. Der OGBL fand die Frage ebenfalls interessant und forderte eine Konvergenz zum besseren Krankenhausvertrag. Um verbandsintern voranzukommen, machten die Copas-Betriebe ab, dass die Pflegeheime bis Ende 2010 in den SAS-Vertrag wechseln und neues Personal ab 2011 zu dessen Bedingungen einstellen. Um ihnen die Bezahlung des dienstälteren Personals zu erleichtern, vereinbarten die Copas-Mitglieder einen Finanzausgleich zugunsten der Pflegeheime. Doch der funktionierte nur drei Jahre, weil der größte Akteur der Branche, der öffentlich-rechtliche Servior, der Copas damals noch nicht angehörte, in seinen Alten- und Pflegeheimen aber Mitarbeiter mit allen möglichen Statuten hat. In dem Pflegeheim-Finanzausgleich sah Servior eine unlautere Konkurrenz.
„Für all das können die Mitarbeiter nichts!“, erregt sich Nora Back, Syndikatspräsidentin und Mitglied der OGBL-Exekutive. Das war die Position, mit welcher der OGBL im Februar den Konflikt vor das Schlichtungsamt getragen hatte. Schon seit vergangenem Herbst sieht es so aus, als kämen nicht mehr alle Heime mit „Klinik-Belegschaft“ klar damit, dass der mehr zusteht als dem SAS-Personal. Da waren die neuen Kollektivverträge für die Spitäler und die SAS-Branche in Kraft getreten. Doch im Gegensatz zu früher holen sie nicht nur Gehälterabschlüsse aus dem öffentlichen Dienst nach, sondern überdies Laufbahnaufwertungen für Erzieher, Krankenpfleger und Pflegehelfer, wie sie in der 2015 in Kraft getretenen Beamtenreform vorgesehen sind. Dass die „korrekte“ Einstufung nach den Diplomen auch im Klinik- und Pflegewesen erfolgen müsse, hatte der OGBL drei Jahrzehnte lang gefordert. Die Regierung sagte im November 2014 auf einer Bipartite, wo sie sich die Zustimmung der drei größten Gewerkschaften zum Zukunftspak aushandelte, zu, für die Laufbahnaufwertung Sorge zu tragen. Deshalb schaut nun jeder auf sie. Auch die drei Pflegebetriebe Sodexo, Zitha Senior SA und die Stiftung Les Parcs du troisième âge. Mit der Begründung, „wir sind seit sieben Jahren SAS“ und im Krankenhaus-Kollektivvertrag stehe an erster Stelle, er binde nur die Spitäler, konterten sie die Gewerkschaftsposition vor dem Schlichter – und man kam keinen Schritt weiter. Ihr Personal mit Klinik-Statut hatten die drei Betriebe vor die Alternative gestellt: Eine Laufbahnaufwertung erhalte nur, wer vorher der Änderung seines Arbeitsvertrags zu SAS zustimmt. Wer im alten Statut bleiben will, behält die alte Karriere.
Weil für das OGBL-Syndikat Gesundheits- und Sozialwesen die Laufbahnaufwertung eines der wichtigsten Anliegen ist, konnte es diese Alternative für die 350 Mitarbeiter in Bartringen, Bettemburg (Sodexo) und in den Heimen von Zitha Senior in Petingen, Consdorf und Luxemburg-Stadt kaum anders denn als Kampfansage auffassen. Zumindest nach außen. Bei genauerem Hinsehen liegen die Dinge komplizierter: Der OGBL setzte vor einem Jahr auch durch, dass das Personal in Kliniken und Pflegeeinrichtungen „gleich“ etwas von der besseren Einstufung bemerken sollte. Doch die wird in SAS- und Klinikvertrag auf geradezu gegenteilige Weise garantiert: Klinikpersonal bemerkt von der aufgewerteten Karriere „gleich“ etwas durch Prämien, die rückwirkend gezahlt werden. Das SAS-Personal dagegen erhält vor allem in naher Zukunft mehr Geld.
Warum der Unterschied? – Weil Spitäler ein Jahresbudget von der CNS erhalten, fällt ihnen die Zahlung von Prämien leicht, sofern die CNS dafür das Geld bereitstellt. Das tut sie auch, weil der Regierungsrat vergangenes Jahr beschloss, das „Globalbudget“ für alle Spitäler anzuheben.
Pflegeheime dagegen erhalten kein Budget, sondern finanzieren sich bei laufender Aktivität: zu zwei Dritteln aus der Pflegeversicherung, zu einem Drittel aus dem Heimpreis. Ihnen fällt es leichter zu sagen, was aufgewertete Laufbahnen künftig kosten. Der Gegensatz zwischen rückwirkenden Prämien und künftig mehr Gehalt ist nicht nur ein technischer. Karin Federspiel, die Chefin von Zitha Senior, hatte ihn im Dezember so umrissen: „Wollten wir Personal mit Klinik-Statut rückwirkende Prämien geben, müssten wir Pflegeleistungen erfinden, die wir in der Vergangenheit nicht gegeben haben“ (d’Land, 22.12.1017).
Vor allem deshalb trafen sich OGBL und LCGB einerseits, sowie Sodexo und die Bartringer Pflegeheimstiftung andererseits vergangene Woche zu einem Rettungsgespräch mit Romain Schneider. Man wollte sondieren, wie dessen Erklärung „das Geld ist da!“ im November im Parlament gemeint war. Denn nach den geltenden Regeln fließt „das Geld“, auf das der Minister eine gewisse Handhabe hat, an die Pflegebetriebe nur über die so genannte Valeur monétaire. Das ist ein landesweiter Durchschnittspreis in Euro, mit dem alle Pflegetarife multipliziert werden. CNS und Copas handeln ihn immer wieder neu aus, und der zuletzt neu ausgehandelte Wert berücksichtigt die nun höheren Personalkosten sehr wohl. „Aber das ist ein Durchschnitt. Da gibt es für kein Heim etwas extra, weil es Personal mit Klinik-Statut beschäftigt“, bemerkt Sodexo-Direktor Christian Erang. Andernfalls würde man „zwei verschiedene Pflegepreise einführen“. Die CNS bestätigt: Die Leute mit Klinik-Statut machen in der Gesamt-Personalkostenschätzung der Zukunft nur acht Prozent aus.
Das wurde auch im Gespräch mit dem Minister festgestellt. Und der erklärte, „mehr ist legal nicht machbar“, sagt Romain Schneiders Sprecher Abilio Fernandes dem Land. Zu dem Schluss sei am Mittwoch auch der Regierungsrat gelangt. Das Kabinett hoffe, „die Sozialpartner werden sich doch noch einig“. In Bartringen zumindest sah es danach gestern Nachmittag nicht wirklich aus: „Die Direktion hat zugesagt, die Leute zu bezahlen, sagt aber, es gehe sie nichts an, wie das geschieht“, gab Nora Back per SMS Bescheid. Dennoch war auch 15 Uhr noch Streikpause.
Erwogen worden war mit Romain Schneider, die Staatskasse anzuzapfen und aus einem „Kompensationsfonds“ die Extra-Bezüge der Mitarbeiter mit Klinik-Statut zu finanzieren. Doch die Idee ist noch längst nicht spruchrei. Der OGBL hält darauf, dass Arbeits- und Gehaltsbedingungen laut Klinik-Statut erhalten bleiben, bis der letzte Mitarbeiter, der unter das Statut fällt, pensioniert ist – was dem Vernehmen nach 2030 der Fall wäre. Die Betriebe scheinen das nicht so zu sehen: „Es sollte befristet sein, vielleicht bis 2020, dann muss Schluss sein“, sagt Christian Erang von Sodexo.
Entscheiden könnte über einen solchen Fonds und sein Funktionieren der Sozialminister nicht allein. Was vielleicht der Grund dafür ist, dass das Ministerium Anfang dieser Woche noch davon ausging, dass Gewerkschaften und Pflegebetriebe sich nach wie vor in der Schlichtung befänden und sich „hoffentlich noch einigen“, während der OGBL bereits am Donnerstag vergangener Woche die non-conciliation erklärt hatte und zu Streikvorbereitungen schritt. Dass die Mitarbeiter der Pflegeheime bereit sein könnten, ihr Klinik-Statut so einfach aufzugeben, scheint nicht sicher. Nora Back beantwortet die Frage, was finanziell auf dem Spiel stünde, nicht: Jede Situation sei „spezifisch“. Der Sodexo-Chef ist weniger zurückhaltend. „Selbst mit aufgebesserter Karriere ist der SAS-Vertrag weniger gut als der Krankenhaus-Kollektivvertrag ohne Aufwertung.“
Falls das stimmt, könnten längerfristig auch Servior und die Hospices civils der Hauptstadt, die beide im Herbst nachgaben und Leuten mit Klinik-Statut auch die Laufbahnaufbesserungen gewährten, sich das eines Tages anders überlegen. Das Entgegenkommen der Hospices civils steht ohnehin unter Vorbehalt: Der nächste Verwaltungsrat kann das anders sehen. Der nächste Schöffenrat der Stadt auch: DP und CSV waren einverstanden, den Hospizen in Hamm und Pfaffenthal eine „Defizitgarantie“ zu gewähren, falls wegen des Personals mit Klinik-Statut die Kasse nicht mehr stimmt. Andernfalls müssten die Heimpreise um monatlich 440 Euro angehoben werden, hatteHospizerwaltungsratspräsident Henri Grethen geschätzt. Was natürlich unpopulär und nicht leicht zu erklären wäre.
„Eine nationale Lösung muss her“, findet der LCGB. Und begründet damit, dass er nicht mit streikt – im Zitha-Pflegeheim in Consdorf, wo der LCGB die Personaldelegation dominiert, geht deshalb der Betrieb normal weiter. Doch dass die nationale Lösung ohne den Druck zu haben wäre, den der OGBL ausübt – danach sieht es nicht aus. Und die OGBL-Militanten im Regen in Bartringen fragten sich schon, wie die Koalition die Sache sähe: Könnte ja sein, der DP-Finanzminister findet so kurz vor den Wahlen, ein Fonds, um dem LSAP-Sozialminister ein Problem aus der Welt zu schaffen, sei zu viel verlangt. Sie fragten sich aber auch, ob Romain Schneider und seine Kabinettskollegen daran nicht schon früher hätten denken können. Vor allem Roman Schneider, als er sagte: „Das Geld ist da!“ Um 16.30 Uhr war es dann offiziell: Die Parc-Stiftung zahlt, wie vom OGBL verlangt. Sie will um das Geld aber, so ihre Presseerklärung, „beim Staat nachsuchen“.