Es kann nur so gewesen sein: Der Schriftsteller (Sven) wollte ein Buch schreiben, hatte eine richtig tolle Idee - unauffälliger, zurückgezogener junger Schriftsteller mit Neigung zur Soziophobie wird unversehens zum Mörder - und wollte gerade beginnen zu schreiben. Da bekommt er Besuch. So ein Pech. Eigentlich ein guter Freund, aber wenn der mal anfängt zu quatschen, dann hält ihn keiner mehr auf. Und der platzt nun just in die Phase höchster Inspiration, aber unser Schriftsteller ist ein freundlicher Mensch, wenn er nicht gerade einen akuten Anfall von Soziophobie erleidet, kann sich also des Redeschwalles des Freundes nicht erwehren. Der gute Freund hat natürlich, was gute Freunde immer haben, gute Ratschläge. Die prasseln ein auf unseren armen Schriftsteller: schreib doch mal ein Buch über deine Generation. Unsere verlorene Generation zwischen der Generation Golf und - schreib doch mal Pop. Schreib doch mal über Luxemburg. Mann, du hast dich doch dort herausgemacht, du bist ein Held der freien Künste, das musst du denen 'mal erzählen, den Spießern dort, wie das so ist als freier Schriftsteller. Wie du lebst, was die alles versäumen, wenn sie ihre Nase nie 'rausstecken und in die weite Welt gehen, du hast das doch geschafft, zeig's ihnen, den ganzen Hobbykünstlern und Nebenbeischreibern. Und unser Schriftsteller ist so verwirrt und so verstört, dass er seinem guten Freund einfach seinen Platz überlässt, und der hackt und hackt in die Tastatur, fatalerweise nämlich schreibt er so schnell, wie er spricht, ein Sprechdenker, der sich erst während des Sprechens so allmählich zurechtlegt, worauf er eigentlich hinaus will. Und so schreibt nun leider der beste Freund des Schriftstellers über dessen Abenteuer und findet das so toll, selbst am Schreiben zu sitzen, dass er sich da festsetzt über Seiten, Seiten, Seiten. So kommt, was kommen muss: Klischee über Klischee. Der Schriftsteller schläft lange, der Kühlschrank ist immer leer, der Schriftsteller schläft natürlich nackt, hat ganz rebellisch den Pyjama ausgezogen, als er auszog aus Luxemburg, das Leben zu lernen, und dass er den Flug zur Lesung in Luxemburg verpassen wird, ist ziemlich schnell klar, aber der Freund des Schriftstellers braucht zirka zehn Seiten, um über die Hürde der zahllosen doch, ja, weil, der Sven ist ja so einer, und Wien ist so, etc. zum Punkt zu kommen, der aller Erzähllaune zum Trotz immer erst am Ende des Satzes sitzt. Nur ab und zu gelingt unserem Schriftsteller, den Freund kurz zu stoppen, dann schleichen sich herrlich absurde Irritationen in den Dochdoch.-Mhm.-Jaja-Redeschwall, der wohl ironisch sein soll, aber immer über die eigene Langatmigkeit stolpert. Dann endlich, nach fast 200 Seiten, ist der Freund erschöpft und unser Schriftsteller übernimmt wieder das Ruder, sprich: den Computer. Das wär schon 'was gewesen, das mit der großen Rebellion, denkt er sich noch, aber nicht Pop, sondern Anti-Pop, und nicht Generationsbuch, sondern Anti-Generationsbuch. Dann hockt er sich an die Tastatur und bringt zu Ende, was er sich ganz am Anfang, bevor der Freund hereinplatzte, ausgedacht hat. Und das ist die gute Nachricht: die letzten fünf Seiten von Raoul Biltgens Roman perfekt morden sind richtig spannend, absurd. Durch die 195 Seiten davor muss man eben irgendwie durchkommen.
Raoul Biltgen: perfekt morden; Roman; Molden Verlag Wien, 2005; 200 Seiten; 19,80 Euro; ISBN 3-85485-143-x