Kaum wiedergewählt macht neue britische Premierminister David Cameron Dampf, als wäre ihm nichts lieber, als das leidige Thema Europa endlich loszuwerden. Der angeblich drohende Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der EU, ist ein Thema, das vor allem mit der Person Camerons verbunden ist, wobei oft vergessen wird, dass dieser die Briten in der EU halten will.
Leider hat Cameron seine Unterstützung daran geknüpft, dass die EU britischen Forderungen weit entgegenkommen soll. Weil EU-Kenner wissen, dass das erstens Unsinn ist – Großbritannien ist in den allermeisten Politikfeldern ein überaus loyales Mitglied der EU – und zweitens unmöglich, glauben viele daran, dass Großbritannien die EU abwählen wird. Drittens kommt hinzu, dass niemand weiß, was die britische Regierung konkret will, außer die Freizügigkeit einzuschränken und Migranten während der ersten Jahre keine soziale Unterstützung zu zahlen. Beides kollidiert mit fundamentalen Rechten der Unionsbürger. Nicht nur die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Holland habe hierzu schon ein geradezu sowjetisches Njet eingelegt.
Es geht also bei der Kampagne, die uns seit dieser Woche begleitet, viel weniger um konkrete Veränderungen, als darum die EU so zu verpacken, dass sie einer Mehrheit der Briten weiterhin gefällt. Die erste Szene in diesem Drama musste David Cameron gleich komplett streichen. Wie zahlreiche Medien schrieben, wollte er seine Kollegen beim informellen EU-Gipfel in Riga zwingen, über Großbritannien zu reden. Die allerdings hatten mit der östlichen Partnerschaft, der Ukraine und Griechenland schon so viele Probleme am Hals, dass sie dazu nicht bereit waren. Cameron mag mit 16 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung über ein gewisses Drohpotenzial verfügen, über ein Zwingpotential verfügt er definitiv nicht. So kam es, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der ersten Szene auftreten durfte. Er wurde letzten Montag von David Cameron zum Abendessen empfangen. Für den unbedarften britischen Bürger sollte es so aussehen, als hätte Cameron Juncker zum Rapport bestellt. Der Kommissionspräsident wollte ihm sichtlich den Spaß nicht verderben. Juncker wies in seiner freundlichen Art darauf hin, dass er gerne helfen wolle und dass es sicher notwendig sei, dass Cameron noch mit seinen EU-Amtskollegen spreche.
Der zweite Akt fand an diesem Mittwoch mit der Rede der englischen Königin statt, die das Programm der zweiten Regierung Cameron verlas. Zu Europa kündigte sie an, dass ihre Regierung eine EU-Reform zum Wohle aller Mitgliedstaaten anstrebe und dass das Parlament in Kürze ein Referendumsgesetz beschließen werde. Großbritannien will also ausdrücklich keine Reformen zum Wohle aller EU-Bürger, diesen feinen Unterschied sollte man beachten.
EU-Präsident Jean-Claude Juncker konnte David Cameron noch zu sich einladen. Zu den EU-Staats- und Regierungschefs muss er sich bequemen. Bis zum regulären EU-Gipfel am 25. und 26. Juni will er mit allen Kollegen gesprochen haben. Am Donnerstag wollte er nach Kopenhagen, Den Haag und Paris, an diesem Freitag nach Berlin. Fristgerecht zum Abendessen mit Juncker lieferte Le Monde am Montag Cameron die hors d’œuvre mit einem Artikel mit der Überschrift: „Le „no, thanks“ de Merkel et Hollande à Cameron“. Die Zeitung berichtete von einem gemeinsamen deutsch-französischen Positionspapier, das eine verstärkte Integration der Eurozone im Rahmen der gültigen europäischen Verträge vorsieht. Pikant ist daran vor allem, dass Cameron die Verträge unbedingt ändern will. Merkel und Hollande wollen laut Le Monde vorschlagen, dass die Wirtschaftspolitik, die wirtschaftliche, steuerliche und soziale Konvergenz, der Finanzsektor sowie die Steuerung der Währungsunion stärker integriert werden sollen. Angeblich war Juncker informiert worden, so dass er seinem Gastgeber Cameron schon einen ersten Eindruck vermitteln konnte.
Merkel, Hollande und Co. werden alles dafür tun, um Großbritannien eine goldene Brücke zu bauen, die die Substanz der EU nicht verändert. Das Vereinigte Königreich ist immer noch die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, auf die man nur ungern verzichtet. Deutsche Unternehmen haben dort mehr als doppelt so viel investiert wie in Frankreich. Aber die Briten haben weit mehr zu verlieren als die Kontinentaleuropäer und mit Frankfurt steht eine Stadt bereit, in die Fußstapfen Londons zu treten, sollten die Briten ihrer City den Boden unter den Füßen wegziehen. Der britische Kampf mit sich selbst und der EU wird Europa noch eine Weile erhalten bleiben. Der französische Finanzminister Michel Sapin rät „cool zu bleiben“ und zeigt sich bereit, die EU bürgernäher, einfacher und weniger bürokratisch zu machen. Sollte das gelingen, müssten die Europäer Cameron ein Denkmal setzen.