Bekanntlich ist das europäische Theater aus dem Gottesdienst der alten Griechen an Dionysos erwachsen, den Gott des Weines, der Freude, der Trauben, der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns und der Ekstase. Aus wilden Spielereien entwickelte sich zuerst die Tragödie, der „Gesang der Böcke“, später dann die Komödie, der „Gesang des Kosmos“, worunter man einen tollen Fastnachtsumzug verstand. Die Farce wiederum ist eine derbe Komödie, die sich bewusst der Absurdität und des Unsinns bedient.
Seit dem Herbst 2009, dem Zeitpunkt, als die griechische Staatsschuldenkrise nicht mehr zu verschleiern war, führen die griechischen Parteien ihrem Volk, ihren europäischen und internationalen Partnern und den europäischen Bürgern einen Streifzug durch alle Genres der Theatergeschichte vor, bei denen den Griechen schon lange das Lachen im Halse steckengeblieben ist. Von den vielen Facetten des Dionysos scheint nur noch der Wahnsinn übriggeblieben zu sein. Nach mehr als fünf Jahren Spielzeit beginnt das Publikum zu ermüden und wendet sich gelangweilt ab. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und Co. stehen kurz davor ihren Landsleuten das Schlimmste anzutun, was man seinem Volk antun kann: Dass sich niemand mehr für ihr Schicksal interessiert. Wer will, wer kann sich noch über Griechenland und/oder die europäische Politik gegenüber dem Euroland aufregen? Der dünne Faden, an dem das Land hängt, droht an der Unfähigkeit seiner Politiker aller Couleur und der schieren Verzweiflung seiner Partner zu reißen.
Zuletzt sollten am 24. April auf einem Treffen der Euro-Finanzminister in Riga Nägel mit Köpfen gemacht werden. Stattdessen hieß es nachher, der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sei von seinen Kollegen beschimpft worden. In der Sache kritisierte man, dass Griechenland weiterhin keinerlei konkrete Reformen auf den Weg bringen wolle, konstruktive Gespräche mit den Gläubigern blockieren würde und dass die griechische Regierung unzutreffende Gerüchte über die Verhandlungen streue. Das nächste Treffen soll am 11. Mai stattfinden. Unter Druck setzen lassen wollen sich die Länder der Eurozone nicht mehr.
Am Montag kamen wieder Neuigkeiten auf den Markt. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras tauschte den Verhandlungsführer mit den Geldgebern aus, was die Medien und die Athener Börse als eine Entmachtung von Yanis Varoufakis interpretierten. Die Kurse stiegen um vier Prozent. Am Montagabend sagte Alexis Tsipras im griechischen Fernsehen, er sei zuversichtlich, dass man sich bis zum 9. Mai mit den Geldgebern einigen werde. Das wäre noch rechtzeitig vor dem nächsten Treffen der Eurofinanzminister. Allerdings sagte er auch, sollten unzumutbare Forderungen erhoben werden, müsse er, leider, leider, ein Referendum darüber abhalten. Dass der neue griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos am Montagmorgen versicherte, dass sein Land alle Schulden zurückzahlen werde, darf der interessierte Zuschauer getrost als Slapstick bewerten. Der Nachrichtenstrom aus Griechenland reißt nicht ab, der Neuigkeitswert bleibt gering. Nun kündigte Tspiras eine weitere Vermögenssteuer sowie diverse Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung an.
Die Europäische Union und die Eurozone haben mit Griechenland ein Problem, das sie schon aus dem Krieg in der Ukraine kennen. Hier wie da haben sie das schärfste Druckmittel von vorneherein ausgeschlossen. Im Falle Griechenlands wäre das die Drohung, dass das Land gegebenenfalls die Eurozone verlassen müsste. Das Problem ist nur: Was tun, wenn die griechische Politik einfach nicht liefern will? In Deutschland und anderen europäischen Staaten werden bei Kommunen, die Pleite gehen, Sparkommissare eingesetzt, die jeden Cent, der ausgegeben werden soll, gegenzeichnen müssen. Für Griechenland wäre das wahrscheinlich die einzige Lösung, um eine korrupte politische Klasse endgültig zu entmachten.
Die Eurozone verwässert derweil ihre Bedingungen. Hieß es früher, Reformvorhaben müssten umgesetzt werden, damit die letzten 7,2 Milliarden Euro fließen könnten, genügt heute eine Liste und die glaubhafte Versicherung, dass diese auf abgearbeitet werde. Dass Alexis Tsipras dazu in der Lage ist, hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Beitrag über seine Partei Syriza grundsätzlich in Frage gestellt. Syriza entstand 2004 aus einem Dutzend linker Splittergruppen, der Name steht für „Bündnis der radikalen Linken“. Größere Bestandteile des Bündnisses bestehen ihrerseits wieder aus Bündnissen wie der „Koalition der Linken und des Fortschritts“. Es gibt Ex-Kommunisten, Maoisten, Trotzkisten, eine ökologische Linke und, und, und. Der Autor fühlte sich bei der Beschreibung des Innenlebens von Syriza an Sketche des Monty Python’s Flying Circus erinnert.
Wichtigste Erkenntnis: Sollte sich Alexis Tsipras doch noch mit Griechenlands Gläubigern einigen und diese Einigung auch tatsächlich umsetzen wollen – was nach aller bisherigen Erfahrung zweierlei Dinge sind – würde ihm mindestens ein Drittel seiner Abgeordneten die Zustimmung im Parlament verweigern. Ein Ende des griechischen Dramas ist noch lange nicht abzusehen. An das griechische Volk denkt kaum noch jemand.