Albert Einstein hat das Gedankenexperiment in die Wissenschaft eingeführt. In der Politik ist es wohl schon seit Jahrtausenden en vogue. Was wäre wenn? Was wäre, wenn die Griechenlandkrise gelöst würde? Wäre dann die Eurozone all ihrer Probleme ledig? Das Gegenteil ist der Fall. Der Klamauk und die Dauerkrise um die Zahlungsfähigkeit oder -unfähigkeit von Griechenland verdeckt wie gebrechlich die Eurozone von ihrer Konstruktion her ist. Es gibt praktisch keinen ernst zu nehmenden Wirtschaftswissenschaftler, der nicht der Meinung ist, dass die Eurozone nur dann weiterbestehen wird, wenn sie sich stärker integriert. Das heißt, die Euroländer müssten eine gemeinsame Steuer- und Finanzpolitik sowie einen inneren Finanzausgleich institutionalisieren und dafür demnächst zumindest einen Fahrplan vorlegen.
Ohne die Griechenlandkrise würde viel stärker über Frankreich und Italien debattiert, die beide nicht einmal mehr so tun, als würden sie den 2011 verschärften Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten, den Angela Merkel ihnen in einer existentiellen Krise abgetrotzt hatte. Sie kommen damit durch, weil durch Griechenlands Unfähigkeit eine solide Politik zu formulieren und umzusetzen, der Eindruck entstanden ist, ein griechischer Austritt aus dem Euro sei das größte aller Probleme. In den Jahren 2009 – 2011 entschied tatsächlich der Bundestag über Sein oder Nichtsein des Euro. Ob das heute noch so ist, daran kann man inzwischen zweifeln. Zu still hat sich die deutsche Politik verhalten, als Paris und Rom klarmachten, dass ihnen Brüssel mit der Einhaltung des Stabilitätspaktes gerne den Buckel herunterrutschen darf. Zu unwichtig ist die griechische Krise für die europäischen Banken und die Wirtschaft geworden und zu deutlich weiß inzwischen (fast) jeder Deutsche, dass sein Land überproportional vom Euro profitiert.
Es ist eine Schande für Europa und Griechenland, dass man sechs Jahre nach Ausbruch der Krise überhaupt noch über Reformen diskutieren muss, die umzusetzen sind. All das hätte längst passiert sein müssen. Es wirkt lächerlich, wenn der Verbleib Griechenlands im Euro von der letzten Tranche über 7,2 Milliarden Euro eines Paketes abhängt, das mehr als 100 Milliarden und einen Schuldenschnitt umfasst. Dass es soweit kommen konnte, liegt nicht nur an griechischen Regierungen, die seit 2009 im Grunde nie etwas anderes gesagt haben, als „wir zahlen nichts“, sondern auch an den europäischen Geberländern, die nicht zu tief in die griechische Souveränität eingreifen wollten. Gerade für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel war es immer wichtig, dass Griechenland kein Beispiel für die Entmachtung eines Mitgliedstaates werden sollte. Auch deshalb hat das Land Reformen nur halbherzig durchgeführt, zum Schein und möglichst so, dass die Reichen geschont und die Armen belastet wurden. Würden weitere 7,2 Milliarden Euro gezahlt, wäre das nicht das Ende, sondern der Beginn weiterer Griechenlandhilfen.
Am 5. Juni wird es bitter ernst. Dann muss Griechenland die erste von vier Tranchen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen, die sich bis Ende Juni auf 1,5 Milliarden Euro addieren. Im Juli werden 3,5 und im August 3,2 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank fällig. Schon die letzte Überweisung von 750 Millionen Euro an den IWF konnte Griechenland nur bezahlen, weil es eine eigene Notfallreserve beim IWF über 650 Million Euro dafür verwendete.
Weil niemand den „Grexit“ will, brodelt die Gerüchteküche. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will angeblich dafür sorgen, dass die Zahlungsfristen auch ohne griechische Zugeständnisse verlängert werden. Eine entsprechende Meldung der griechischen Zeitung To Vima dementierte die EU-Kommission. Die EU-Kommission hätte auch gar nicht die Macht, solch Beschlüsse auf den Weg zu bringen. Der IWF will womöglich aus der Finanzierung ausscheiden, wenn die Gläubiger keinen Schuldenschnitt zulassen, denn er darf nur dann Geld verleihen, wenn die Tragfähigkeit der Schulden als gesichert erscheint. Ohne den IWF heißt es, sei Deutschland nicht bereit, weitere Kredite zu zahlen. Die Spitze des IWF steht von Seiten nicht-europäischer Länder unter Druck, für Griechenland seine Regeln nicht noch ein weiteres Mal über Gebühr zu verbiegen.
Sollte Griechenland auch nur eine der ab 5. Juni fälligen Tranchen nicht zahlen können, muss der IWF das Land für zahlungsunfähig erklären. Danach fallen die Dominosteine. Die EZB darf dann keine griechischen Bonds mehr als Sicherheiten bei griechischen Banken akzeptieren. Diese würden in kürzester Zeit Bankrott gehen, denn sie werden schon länger nur noch mit Notkrediten der EZB am Leben erhalten, die dann von der EZB nicht mehr ausgereicht werden dürften.
Bei 23 Wettanbietern in Großbritannien tippen 63,94 Prozent aller Wetter, dass Griechenland den Euro verlässt. Die europäische Politik schwört Stein und Bein, dass Griechenland im Euro bleibt. Selbst wenn das Land eine letzte Gnadenfrist erhielte, so wäre damit doch nicht mehr erreicht, als dass der ganze Zirkus von vorne beginnen würde.